Selbstfindung

Hitler stand vor dem Nichts, als er 1924 an Mein Kampf zu schreiben begann. Von außen betrachtet schien alles verloren. Dabei hatte es doch eine Zeit lang den Anschein gehabt, als habe der Taugenichts aus der oberösterreichischen Provinz endlich seine Aufgabe und seine Rolle gefunden – als Propagandist, Demagoge, »Trommler« und vielleicht sogar als neuer »Führer«, auf dessen Ankunft das völkische Lager schon so lange gewartet hatte. Das Problem war freilich, dass der Politiker Hitler von einem Vorgriff auf die Zukunft lebte, von bloßen Versprechungen, denen er damals unmöglich gerecht werden konnte. Mit Rhetorik allein aber ließen sich Ergebnis und Folgen des verlorenen Ersten Weltkriegs kaum revidieren, sodass sich Hitler als Vorsitzender der NSDAP bis 1923 zunehmend in eine Rolle hineinmanövrierte, in der er mehr und mehr zum Getriebenen, zum Sklaven seiner Ankündigungen wurde. Der Rest der Geschichte, jenes Desaster, in dem der »Marsch auf Berlin« bereits nach wenigen Kilometern endete, ist schon oft erzählt worden – Hitlers Flucht, seine Verhaftung, sein psychischer Zusammenbruch, seine Katharsis und schließlich der Prozess, in dessen Verlauf er wieder zurückfand in die Rolle des Volksredners.

Politisch aber schien Hitler inzwischen chancenlos: Die NSDAP war verboten, ihr Eigentum konfisziert, ihre Protagonisten verhaftet oder geflohen, während sich die versprengten Nachfolgegrüppchen der NSDAP durch ergebnislose Streitereien lähmten. Vor allem aber: 1924 schien die junge Republik endlich stabilisiert. Sie hatte blutige Revolten überstanden, eine verheerende Inflation, Sezessionen und Grenzkämpfe; nun aber versprachen der Umbau einer Kriegs- zu einer Friedenswirtschaft sowie die Regelung der deutschen Reparationsverpflichtungen durch den Dawes-Plan endlich eine langfristige wirtschaftliche Erholung. Schon deshalb schien die Zeit der NSDAP vorbei zu sein. Bei der Reichstagswahl vom 7. Dezember 1924 kamen ihre zersplitterten Nachfolgeorganisationen denn auch nicht über drei Prozent der Stimmen. 124

An diesem Punkt Null begann Hitler alles neu zu erfinden: sich selbst, seine Partei und auch deren Strategie. Die Situation hierfür war günstig. Das lag nicht nur daran, dass seine Haftbedingungen in der Festungshaftanstalt Landsberg überaus komfortabel gewesen waren. 125 Auch der permanente Zuspruch, den Hitler in seiner Haft erhielt – angefangen von seinen Mitgefangenen, über den Direktor der Anstalt und das Wachpersonal bis hin zu seinen zahlreichen Besuchern –, dürfte Zweifel oder gar Gefühle der Reue kaum bei ihm gefördert haben. Vielmehr konnte er sich durch die nicht abreißenden Sympathiebekundungen bestätigt fühlen, schon weil sein Umfeld die Pose des Siegers, die er sich während seines Prozesses zugelegt hatte, begierig aufsog und reproduzierte. Wohl noch wichtiger für die Situation Hitlers im Jahr 1924 aber war ein ganz anderer Punkt: die disziplinierende Wirkung der Haft, die den Aktivitätsrausch der vergangenen Jahre jäh beendete. Seine insgesamt 264 Tage in Landsberg boten Hitler Zeit und Ruhe, um über sich und seine Situation nachzudenken und all das, was hinter ihm lag, zu ordnen und zu verarbeiten. Das war ganz offensichtlich notwendig. Schon 1922, während Hitlers erster Inhaftierung126, hatte Rudolf Heß am 7. Juli geschrieben: »Hitler sitzt in Stadelheim für einen Monat […] An sich tut die Ruhe Nerven u[nd] Stimme sehr gut.«127 Nun hatte Hitler wieder diese Ruhe gefunden. Er nutzte sie.

Hitler und seine Anhänger brauchten einen Neuanfang, sie brauchten eine neue Strategie und sie brauchten nicht zuletzt so etwas wie einen theoretischen Überbau. Ohne eine ausformulierte Ideologie, ohne eine ausführlichere Begründung und Rechtfertigung dessen, was Hitler als »politisches Glaubensbekenntnis«128 verstand, wäre die NSDAP aller Wahr­scheinlichkeit nach eine radikale Splitterpartei geblieben, deren Wirkung sich auf München und sein Umland begrenzt hätte. Dass es für die NSDAP »nichts schriftliches als Unterlage«129 gab, so Hitlers langjähriger Chefadjutant Julius Schaub in seinen Erinnerungen, war Hitler sehr wohl bewusst. In Landsberg soll Hitler daher geäußert haben: »Ich habe jetzt Zeit. Ich werde das Programm der NSDAP und die ganzen Ideen ausführlich niederschreiben. […] Das Parteiprogramm selbst ist die einzige [Unterlage], die existiert. Aber das ist ja nur ein Umriß und das unmittelbare politische Ziel. Es muss etwas Grundlegendes geschaffen werden.«130 All das, was er bislang erlebt, gelesen und erdacht hatte, wollte Hitler nun zu einer – zumindest für ihn und seine Anhänger – plausiblen, ideologischen Synthese zusammenführen.

Für einen Autor von gerade einmal 35 Jahren, dem jede tiefere Vorbildung durch Schule131 oder Beruf fehlte und der nur wenig von der Welt gesehen hatte, war dies ein gleichermaßen ehrgeiziges wie riskantes Unterfangen. 132 Das Ergebnis war entsprechend. Das war auch schon vielen Zeitgenossen bewusst – selbst solchen, die eigentlich bereit waren, Hitler und seiner Politik zu folgen. Schon allein die heterogene, auseinanderstrebende Struktur des Texts, der sich keinem bestimmten Genre zuordnen lässt – Autobiografie und Parteigeschichte vermischen sich mit taktischen Handlungsanleitungen, Zukunftsentwürfen und ideologischem Grundsatzprogramm –, verdeutlicht, wie schwer sich Hitler mit seinem Buchprojekt tat. Gleichzeitig ist der unauflösbare Bezug des Buchs zur eigenen Lebensgeschichte ein vielsagender Hinweis auf die egozentrische Befangenheit des Autors: Für Hitler ließ sich die Entwicklung der NSDAP und ihrer Ideologie nur dann darstellen, wenn beides gleichsam in die eigene Geschichte eingebettet wurden.

Eine weitere gravierende Schwäche von Hitlers Buch ist seine enorme Redundanz: die Wiederholungen, aber auch die Längen, Abschweifungen, Brüche wie überhaupt der disparate Charakter des Ganzen, der bisweilen selbst für wohlmeinende Leser eine Zumutung war. Auf den ersten Blick erscheint Mein Kampf über weite Strecken als eine relativ ungeordnete Kompilation von Lesefrüchten, Erfahrungen und bloßen Behauptungen; das Buch bleibt oft vage, wirkt sprunghaft, ist mitunter widersprüchlich, zerfahren und unlogisch, selbst in den Kategorien einer rechtsradikalen Ideologie. Ursache dafür ist – darauf wurde bereits hingewiesen – nicht zuletzt die komplizierte Genese des Buchs. 133 Noch wichtiger aber war, dass Hitler im Schreiben wie auch im logischen Denken jede systematische Schulung fehlte. Anstatt das Erlebte und das Erlesene wirklich zu verarbeiten, ging es ihm vor allem um die Zusammenführung des Heterogenen, des weit Zerstreuten. Seine schöpferische Leistung, wenn man denn Hitler eine solche zugestehen will, begründete sich vor allem darin, dass er das Erlebte, Erdachte und Angelesene in eine Synthese, in ein in sich weitgehend konsistentes Ideengebäude zusammenführte, oder besser: förmlich zusammenzwang. Interessanterweise war er sich dabei der Subjektivität seines Vorgehens durchaus bewusst; nicht zufällig polemisiert er in seiner Schrift immer wieder gegen den in seinen Augen spezifisch deutschen »Objektivitätsfimmel«134 und seine angeblich verheerenden Folgen. 135 Für Hitler waren Erkenntnisprozess und Theoriebildung nicht allein Resultat eines intellektuellen Verfahrens, er sah darin immer auch einen Willensakt. Hans Frank gegenüber erklärte er mit Blick auf die Entstehung von Mein Kampf: »Im übrigen ist Wollen mehr als Wissen. Hätte der Herrgott die Welt nur ›gewußt‹ und nicht auch ›gewollt‹, dann wäre heute noch Chaos!«136

Genau dieser ordnende Wille scheint Mein Kampf aber zu fehlen – zumindest auf den ersten Blick. Hier schreibe, so Hellmut von Gerlach im Sommer 1932 in der Weltbühne, »ein sadistischer Oberkonfusionsrat«. 137 Und doch stand hinter diesem »bramarbasierende[n] Monolog«138 ein System, »eine in sich schlüssige Synthese«. 139 Dass diese in ihrer Systematik und vor allem in ihrer Gefährlichkeit nicht so erkannt wurde, wie man es sich aus der Rückschau wünschen würde, dass Hitler viel zu oft unterschätzt wurde, begründete sich nicht zuletzt in seiner mangelnden Professionalität als Autor. Wenn überhaupt, so präsentierte Mein Kampf weniger Erkenntnisse, sondern vor allem den mühseligen Prozess der Erkenntnisfindung, und das in einer oft unbeholfenen, mitunter geradezu grauenhaften Sprache.140

Trotz oder gerade wegen der schwierigen und mühseligen Entstehungsbedingungen lässt sich die Bedeutung, die dieser Klärungs- und Selbstfindungsprozess für Hitler selbst hatte, kaum überschätzen. Hier ging es nicht allein darum, dass sich ein Autodidakt als Denker, Schriftsteller, ja fast schon als Religionsgründer stilisierte. Hitlers oft zitierte Wendung, die Festungshaft in Landsberg sei seine »Hochschule auf Staatskosten«141 gewesen, war weit mehr als nur Sarkasmus. Hitler nahm diese Chance ernst, so wie er auch das, was er dort unter großen Mühen zu Papier gebracht hatte, sehr ernst nahm. Landsberg war für ihn tatsächlich eine »Hochschule« – nur dass sich auch hier am autodidaktischen Prinzip des Wissenserwerbs für ihn nichts geändert hatte. Jedenfalls war ihm noch im Februar 1942 klar, welche Bedeutung die Zeit in Landsberg für ihn hatte: »Die dreizehn Monate Haft, an sich nicht viel, waren mir doch lang geworden. Ich war ja so freiheitsdurstig! Aber ohne die Haftzeit wäre ›Mein Kampf‹ nicht entstanden, und ich darf sagen, in dieser Zeit bin ich begrifflich über viele Dinge, die ich vorher mehr aus Ahnung vertreten hatte, im dauernden Nachdenken erst zu voller Klarheit gelangt. Letztlich kommt auch aus dieser Zeit jenes Maß an Selbstvertrauen, Optimismus und Glauben, das schlechterdings sich durch nichts mehr erschüttern läßt.«142 Das war nicht nur sein eigener Eindruck. Hitler sei – so Hans Frank – »mit der selbstsicheren Haltung eines Mannes aus Landsberg« zurückgekommen, »der ›weiß, was er nun will!‹«.143

Für Hitler jedenfalls war sein Buch die definitive »Darstellung meines eigenen Werdens«, die offizielle Parteigeschichte, vor allem aber ein prinzipielles Manifest, in dem er »zur gleichmäßigen und einheitlichen Vertretung einer Lehre das Grundsätzliche derselben niedergelegt« hatte – so seine umständliche Definition im Vorwort von Mein Kampf. Für ihn hatten die dargelegten Inhalte, wie schon sein Vokabular verrät, etwas Endgültiges, vergleichbar mit jener Ausbildung, oder besser: Erstarrung seiner Weltanschauung, die seinen Worten zufolge, ja angeblich bereits in Wien, vor 1914 erfolgt sei: »In dieser Zeit bildete sich mir ein Weltbild und eine Weltanschauung, die zum granitenen Fundament meines derzeitigen Handelns wurden. Ich habe zu dem, was ich einst mir so schuf, nur weniges hinzuzulernen gemußt [sic!], zu ändern brauchte ich nichts.«144 Wenn Hitler dies bereits für die Zeit vor 1914 für sich in Anspruch nahm, so musste dies für die Grundsätze, die er in Mein Kampf mühsam formuliert hatte, erst recht gelten. So gesehen lässt sich jene Passage, wie so oft in Mein Kampf, als Rückprojektion lesen. Und es passt in diesen Zusammenhang, wenn Hitler an anderer Stelle des Buchs das Parteiprogramm der NSDAP, über dessen Dürftigkeit er sich keine Illusionen machte, zu etwas erklärte, das »unverrückbar« sei und »unerschütterlich«.145

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Wie aber hat man sich die Ergebnisse der Hitlerschen Selbstfindung vorzustellen? Aus der Unzahl an Themen, die Hitler in Mein Kampf anspricht, sollen im Folgenden einige zentrale Aspekte aufgegriffen und knapp zusammengefasst werden, auch um den Benutzer der Edition einen ersten Überblick über diesen unübersichtlichen, vertrackten Text im Sinne orientierender Resümees zu bieten. Dies soll vor allem durch eine textimmanente Interpretation geschehen, die zunächst den Stand von Hitlers Klärungsprozess Mitte der 1920er Jahre abzubilden versucht. Dass dabei das, was nach diesem Klärungsprozess passierte, nicht völlig ignoriert werden kann, liegt in der Natur der Sache und entspricht auch dem Konzept dieser Edition. In Mein Kampf hat sich Hitler vieles zurechtgelegt, wie er es gerne gehabt hätte – seine Biografie, die Geschichte seiner Partei sowie deren künftige Struktur, Position und Strategie. Doch war Mein Kampf immer auch der Versuch eines in die Zukunft gerichteten Selbst- und Gesellschaftsentwurfs.

Vor allem aber ist Mein Kampf ein ungemein egozentrisches Buch, das viel mehr präsentiert als Hitlers Weltanschauung und Lebensbeschreibung. Dieses Legendenwerk vollbringt das nicht gerade kleine Kunststück, seinen Autor – einen gescheiterten Demagogen, der schließlich im Gefängnis gelandet war – zur großen historischen Persönlichkeit zu stilisieren, zum Gravitationszentrum in der Geschichte der NSDAP und – so die beständige Insinuation dieses Buchs – womöglich auch in einem ungleich größeren Geschichtsprozess. Das geschieht schleichend. Da Mein Kampf immer auch als Autobiografie angelegt ist, präsentiert sich Hitler hier zwangsläufig in vielen Rollen – als eine Art Student, als Maler, als verhinderter Baumeister, als Frontsoldat und »Bildungsoffizier«146 (was immer das sein sollte), als Politiker und schließlich als Parteiführer. Seine eigentliche Berufung aber findet er, daran lässt das Buch keinen Zweifel, in der Rolle des Propagandisten. Immer wieder betont Hitler seine Rolle als »Propagandaleiter der Partei«147.  Zwei ganze Kapitel, die Kapitel Kriegspropaganda (I/6) und Propaganda und Organisation (II/11), sind primär dem Thema der Propaganda gewidmet. Dabei ist die Darstellung seiner eigenen propagandistischen Begabung alles andere als bescheiden: Schon als Gefreiter will er den Entschluss gefasst haben, »nach dem Kriege als Redner […] wirken zu wollen«. 148 Nachdem er dann 1919 – übrigens gleich zweimal – erkannt habe: »Ich konnte reden«149, sei seinem Aufstieg »zum Massenversammlungsredner«, dem »das Pathos geläufig«150 wurde, nichts mehr im Weg gestanden. Auch nach der Neugründung der NSDAP sieht sich Hitler weiterhin in dieser Rolle: Die »breite Masse eines Volkes« unterliege nun einmal – so seine apodiktische Feststellung – »immer nur der Gewalt der Rede«. 151 Wenn er postuliert, nur einer »unter tausend Rednern« bringe es fertig, »vor Schlossern und Hochschulprofessoren zugleich in einer Form zu sprechen«152, die alle erreiche, dann besteht wenig Zweifel daran, wer damit gemeint ist.

Doch verraten schon die Ereignisse des Jahres 1921: Hitlers harscher Konflikt mit der Parteileitung, bei dem er sich dann als Parteivorsitzender durchsetzte153, dass sein Ehrgeiz bereits früh viel weiter zielte. Die Rolle des Propagandisten, des »Trommlers«, war für ihn nicht mehr als eine Einfallspforte in die Politik – eine Chance zur Mobilisierung der Massen zugunsten der von ihm als »richtig« erkannten Politik. Der »Agitator«, so Hitler im Kapitel Propaganda und Organisation (II/11), sei nun einmal auch der geeignetste Politiker. Dagegen sei ein »großer Theoretiker« nur selten »ein großer Führer. Viel eher wird das der Agitator sein.« Dieser müsse immer auch »Psychologe sein, sogar wenn er nur Demagoge wäre. Er wird dann immer noch besser zum Führer geeignet sein als der menschenfremde, weltferne Theoretiker. Denn Führen heißt: Massen bewegen können.« Die Vereinigung aber, so Hitler weiter, »von Theoretiker, Organisator und Führer in einer Person ist das Seltenste, was man auf dieser Erde finden kann; diese Vereinigung schafft den großen Mann.«154

An der Identität dieses »großen Mannes« aber bestand für ihn kein Zweifel. Endet die oben zitierte Passage mit jenem Hinweis auf den »großen Mann«, so beginnt die darauf folgende kaum zufällig mit dem Wort: »Ich«. 155 Wie gewiss ihm die eigene Größe war, mit welch feierlichen Gefühlen er auf die eigene Person blickte und wie sehr er diese Wahrnehmung mit kaum verhüllter Aufdringlichkeit zu einer öffentlichen zu machen suchte, hat er nochmals an einer anderen Stelle von Mein Kampf wiederholt. Diese Passage im Kapitel Beginn meiner politischen Tätigkeit (I/8) ist so aufschlussreich, dass es sich lohnt, sie in ganzer Länge zu zitieren: »Innerhalb langer Perioden der Menschheit kann es dann einmal vorkommen, daß sich der Politiker mit dem Programmatiker vermählt. Je inniger aber diese Verschmelzung ist, um so größer sind die Widerstände, die sich dem Wirken des Politikers dann entgegenstemmen.« Er arbeite »für Ziele, die nur die wenigsten begreifen. Daher ist dann sein Leben zerrissen von Liebe und Haß. Der Protest der Gegenwart, die den Mann nicht begreift, ringt mit der Anerkennung der Nachwelt, für die er ja auch arbeitet. Denn je größer die Werke eines Menschen für die Zukunft sind, um so weniger vermag sie die Gegenwart zu erfassen, um so schwerer aber ist mithin auch der Kampf und um so seltener der Erfolg. Gelingt dies aber dennoch in Jahrhunderten Einem, dann kann ihn vielleicht in seinen späten Tagen schon ein leiser Schimmer des kommenden Ruhmes umstrahlen. Freilich sind diese Großen nur die Marathonläufer der Geschichte; der Lorbeerkranz der Gegenwart berührt schon nur mehr die Schläfen des sterbenden Helden.«156 Bemerkenswert an dieser Textstelle ist nicht nur eine Selbststilisierung, die durchaus schon Züge eines kommenden Größenwahns erkennen lässt; deutlich wird auch, wie ausgeprägt Hitlers Fähigkeit zur Verleugnung der Realität war. Damals waren dies Fantastereien, ohne jede Aussicht auf Verwirklichung. Doch sollten sie wenige Jahre später eine geradezu verheerende Wirkung entfalten, weit über das Umfeld dieses Mannes hinaus.

Vorläufig jedenfalls waren Hitlers Erfolge bescheiden. Immerhin hatte er durch Mein Kampf in einem ganz vordergründigen Sinne zu einer Rolle gefunden – zu der des »Schriftstellers«. 157 Es fällt jedenfalls auf, wie häufig und gern er diesen Titel seit 1925 führte. Für jemanden, der in der ehemaligen Habsburgermonarchie sozialisiert worden war, war eine solche Berufsbezeichnung eine nicht unwesentliche Bestätigung. Zum ersten Mal hatte Hitler mit Mein Kampf etwas geleistet, das den bürgerlichen Vorstellungen einer gesicherten Existenz entsprach, auch weil er damit bares Geld verdiente, allein bis Ende Oktober 1925 ganze 11.231 Reichsmark. »Bei mir als politischem Schriftsteller«158, heißt es denn auch in einer 1925 entstandenen Eingabe an das Finanzamt. Wenigstens in dieser Hinsicht war Hitler damals in der Realität angekommen.