Der »Bildungsoffizier« <span class="pagenumber">[226]</span>

41 Die Schrift Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie – 1867 erschien der erste Band, zwei weitere erschienen posthum – gilt als eines der Hauptwerke von Karl Marx. Darin analysiert und kritisiert er die kapitalistische Gesellschaft, ihre Produktionsweise und ihren Klassencharakter. Die groteske Vorstellung, ausgerechnet die Sozialdemokratie sei allein zum Schutz des jüdischen »internationalen Finanz- und Börsenkapitals« gegründet worden, war ein Stereotyp antisemitischer Propaganda. In entsprechenden Kreisen war seit 1906 auch die Bezeichnung »Judenschutztruppe« für die Sozialdemokratie verbreitet. Theodor Fritsch schrieb in seinem in der völkischen Bewegung viel gelesenen Handbuch der Judenfrage: »Es war seit Jahrzehnten vorauszusehen, daß die von jüdischer Seite mit heißer Gier betriebene Zusammenraffung aller Erdenschätze immer mehr Besitzlose, immer mehr Enterbte schaffen würde. So mußte der Tag kommen, wo der Unwille der besitzlosen Massen sich gegen die Inhaber der goldenen Milliarden erhob. Dem sollte vorgebeugt werden. Darum gründeten die Juden Marx und Lassalle die Organisation des Proletariats, die Sozial-Demokratie.« Die Sozialdemokratie ihrerseits betrachtete den Antisemitismus als eine Krisenerscheinung der bürgerlichen Gesellschaft und bekämpfte ihn.

Vgl. Fritsch (Hrsg.), Handbuch, Zitat S. 27 (Herv. i. Orig.); Toury, Orientierung, S. 212; Leuschen-Seppel, Sozialdemokratie, S. 70 – 76; Berger, Marx, S. 11; Kap. I/5, Anm. 70; Kap. II/6, Anm. 64.

42 Der spätere Journalist und Nationalsozialist Hermann Esser besuchte ebenfalls einen der Aufklärungskurse und beschwerte sich im Anschluss daran bei Hauptmann Karl Mayr darüber, dass die Kursleitung jede Form einer antisemitischen Propaganda unterbunden habe. Zwar lehnte man dort den Antisemitismus nicht ab, fürchtete aber eine Einstellung der Kurse, sollten sie durch antisemitische Zwischenfälle Aufsehen erregen. Diese Linie wurde auch später beibehalten. Eine offene und ausführliche Diskussion, wie von Hitler dargestellt, ist daher sehr unwahrscheinlich; auch in Gottfried Feders Tagebuch finden sich keinerlei Hinweise darauf. Die in der Forschungsliteratur verbreitete Bemerkung des Historikers Karl Alexander von Müller, Hitler sei ihm bei den Aufklärungskursen erstmals aufgefallen, erscheint zweifelhaft. Zu widersprüchlich sind Müllers Angaben: So verweist er etwa auf den ersten Kurs an der Münchner Universität, an dem Hitler jedoch in Wirklichkeit nicht teilgenommen hat. Gleichzeitig nennt er auch andere Veranstaltungsorte, an denen jedoch erst später Kurse stattfanden.

Vgl. IfZ-Archiv, ED 874/1; Müller, Mars, S. 338; Plöckinger, Soldaten, S. 103 f. mit Anm. 22, 126, 271. 

43 Tatsächlich wurde Hitler erst am 26. 10. 1919 zum Schützen-Regiment 41 in München kommandiert, also drei Monate nach dem von ihm erwähnten Kurs. Damit blendet Hitler einen ganzen Abschnitt seiner Biografie aus: Seine Zeit im Aufklärungskommando im Durchgangslager für Kriegsheimkehrer in Lechfeld bei Augsburg im August 1919 sowie die darauffolgenden Monate, in denen Hitlers persönliche Zukunft völlig ungeklärt war. Nicht weniger unklar ist der Begriff »Bildungsoffizier«, den es als offiziellen Titel nie gab. Hitler bezeichnete sich damit zu Unrecht als Offizier. In den frühen 1920er Jahren verwandte er diese Bezeichnung so selbstverständlich, dass selbst die Polizeidirektion München ihn darunter führte. Doch blieb Kritik nicht aus – vermutlich der Grund dafür, dass Hitler den Begriff in Mein Kampf immerhin in Anführungszeichen setzte. Nicht nur Hitler, sondern auch andere Propagandisten in der Reichswehr legten sich damals eigene Titel zu. In der Forschungsliteratur wird mit Blick auf Hitlers Zeit als »Bildungsoffizier« immer wieder auf den Text I was Hitler’s Boss verwiesen, der 1941 anonym in den USA erschien und meist Karl Mayr zugeschrieben wird. Diese Schrift ist als Quelle jedoch problematisch: Zahlreiche widersprüchliche oder falsche Angaben zu Hitlers Frühzeit und zu den militärischen Verhältnissen in München 1919 sprechen gegen Mayr als Autor – der ohnehin bereits 1940 in Paris verhaftet und nach Berlin gebracht worden war.

Vgl. I was Hitler’s Boss; Joachimsthaler, Weg, 241 – 245; Plöckinger, Texte, S. 100; Plöckinger, Soldaten, S. 102 mit Anm. 11, 133 – 139, 169 f.

und unseres Volkes, die Ernährung seiner Kinder und Reinhaltung des Blutes, die Freiheit und Unabhängigkeit des Vaterlandes, auf daß unser Volk zur Erfüllung der auch ihm vom Schöpfer des Universums zugewiesenen Mission heranzureifen vermag.39

Jeder Gedanke und jede Idee, jede Lehre und alles Wissen haben diesem Zweck zu dienen. Von diesem Gesichtspunkte aus ist auch alles zu prüfen und nach seiner Zweckmäßigkeit zu verwenden oder abzulehnen. So kann keine Theorie zur tödlichen Doktrin erstarren, da alles ja nur dem Leben zu dienen hat.

Die# 1930: Die ersetzt durch: So waren die Erkenntnisse Gottfried Feders aber waren# 1930: gestrichen: aber waren die Veranlassung, in gründlicher Weise mich# 1930: in gründlicher Weise mich ersetzt durch: mich in gründlicher Weise mit diesem mir# 1944: eingefügt: ja bis dahin noch wenig vertrauten Gebiete überhaupt zu befassen.

Ich begann nun# 1926: gestrichen: nun wieder zu lernen und kam nun erst recht zum Verständnis des Inhalts# 1944: Inhalts ersetzt durch: Inhaltes und# 1937: gestrichen: und; 1939: wieder eingefügt: und des# 1944: gestrichen: des Wollens der Lebensarbeit des Juden Karl Marx.40 Sein »Das# 1930: gestrichen: Das Kapital« wurde mir jetzt erst recht verständlich, genau so wie der Kampf der Sozialdemokratie gegen die nationale Wirtschaft, der nur den Boden für die Herrschaft des wirklich internationalen Finanz- und Börsenkapitals vorzubereiten hat.41

Allein noch in einer anderen Hinsicht waren diese# 1944: diese ersetzt durch: die Kurse für mich von größter Folgewirkung.

Ich meldete mich eines Tages zur Aussprache. Einer der Teilnehmer glaubte, für die Juden eine Lanze brechen zu müssen, und begann sie in längeren Ausführungen zu verteidigen. Dies reizte mich zu einer Entgegnung. Die weitaus überwiegende Anzahl der anwesenden Kursteilnehmer stellte sich auf meinen Standpunkt.42 Das Ergebnis aber war, daß ich wenige Tage später# 1930: eingefügt: dazu bestimmt wurde, zu einem damaligen Münchener Regiment als sogenannter »Bildungsoffizier« einzurücken.43

Die Disziplin der Truppe war zu dieser Zeit noch ziemlich schwach. Sie litt unter den Nachwirkungen der Soldatenratsperiode.