Frankreichs unverrückbares Kriegsziel <span class="pagenumber">[336]</span>

23 Frankreich verfolgte das Ziel einer Zerschlagung des Deutschen Reichs zwar keineswegs so konsequent, wie von Hitler behauptet, die französische Deutschlandpolitik unter Ministerpräsident Raymond Poincaré in der Zeit von Januar 1922 bis Juni 1924 schloss diese Option jedoch mit ein. Aufsehen erregte am 25. 10. 1922 die Frankfurter Zeitung mit der Veröffentlichung eines Geheimberichts vom 28. 5. 1922, in dem der Vorsitzende der Finanzkommission der französischen Abgeordnetenkammer, Adrien Dariac, für eine Autonomie des Rheinlands plädiert hatte. Diese sollte in drei Stufen verwirklicht werden: (1) Finanzielle Neuorganisation des Rheinlands unter Anbindung an den französischen Markt (die »Zollgrenze im Osten gegen Deutschland [sollte] erhöht und im Westen gegen Frankreich erniedrigt [sic!]« werden); (2) »Ersetzung der preußischen Beamten durch rheinische Beamte«; (3) »Ausdehnung der Gewalten der Hohen Kommission und die Einberufung einer gewählten Versammlung«. An die Idee eines autonomen Rheinstaates knüpfte Poincaré während der Ruhrkrise an. Zeitweilig unterstützte Frankreich auch separatistische Strömungen in Deutschland, vor allem im Rheinland und in der Pfalz.

Vgl. Ursachen und Folgen, Bd. 5, Dok. 1113, Zitate S. 294 f.; Hallgarten, Hitler, S. 11; Bariéty, Politik, S. 22 – 24; Ilić, Frankreich, S. 145 mit Anm. 5; Soutou, Rhein, S. 70 – 79; Kap. II/10, Anm. 45; Kap. II/13, Anm. 64. Zur Mäßigung der französischen Deutschlandpolitik unter den Nachfolgern Poincarés vgl. Anm. 37 in diesem Kapitel.

24 Ähnlich wie die anderen am Krieg beteiligten Staaten rechnete auch Frankreich im August 1914 mit einem kurzen, siegreichen Waffengang. Diese Hoffnung verband sich mit der Vorstellung, französische Truppen würden rasch Berlin erreichen und erobern. Weniger naiv, aber ebenso offensiv war die Operationsplanung des französischen Generalstabs unter Joseph Joffre. Dessen im Mai 1913 vom französischen Heeresminister Eugène Étienne akzeptierter »Plan XVII« rechnete fälschlicherweise mit einem deutschen Angriff in den Ardennen und plante Gegenoffensiven im Gebiet um Metz und Diedenhofen/Thionville – zwei seit 1871 zum Deutschen Reich gehörende Städte. Von den Planungen des französischen Generalstabs konnte Hitler freilich keine Kenntnis haben.

Vgl. Becker, Comment, S. 491 f.; Krumeich, Aufrüstung, S. 14, 93, 139 – 147; Snyder, Ideology, S. 96 – 98; Williamson, Joffre, S. 147 – 150; Doughty, France; Becker, Joffre.

28 Hitlers Aufzählung östlicher Kriegsschauplätze wirkt vergleichsweise wahllos und verweist darauf, dass ihm das östliche Kriegsgebiet persönlich fremd blieb. Unter den genannten Schlachtorten war Warschau der bedeutendste: Hier kam es im Oktober 1914 zu Kämpfen zwischen Teilen der deutschen 9. Armee und russischen Truppen, nachdem das österreichisch-ungarische Armeeoberkommando aufgrund massiver Verluste um Unterstützung gebeten hatte. Im Rahmen der deutschen Narew-Offensive wurde Warschau am 4. 8. 1915 eingenommen. Dagegen war die Einnahme der Festungsstadt Kowno (heute: Kaunas) am 18. 8. 1915 eher ein Nebenprodukt einer auf Wilna zielenden Operation. Riga wiederum wurde am 5. 9. 1917 von deutschen Truppen eingenommen. Nischni Nowgorod hingegen liegt mehrere hundert Kilometer östlich von Moskau an der Wolga und befand sich zu keinem Zeitpunkt des Ersten Weltkriegs in Reichweite deutscher Truppen. Hitler könnte den Ort mit der nordwestlich von Warschau gelegenen Festungsstadt Nowo-Georgiewsk (Modlin) verwechselt haben, die am 19. 8. 1915 erobert wurde. Hitlers Fehler blieb lange unbemerkt. Erst in den Mein-Kampf-Ausgaben ab 1937 wurde der falsche Ortsname korrigiert und durch Iwangorod ersetzt – eine kleine Stadt südöstlich von Warschau, die aber kein wichtiges Ziel deutscher Operationen gewesen war. Vielmehr war es die österreichisch-ungarische 1. Armee, die nach starken Verlusten von 40.000 bis 50.000 Mann die Festung dann im August 1915 erobern konnte.

Vgl. Hitler, Kampf (^{265 – 269}1937), S. 763; Bettag, Eroberung; Stone, Front; Liulevicius, Kriegsland; Stone, Narew-Offensive; Rauchensteiner, Weltkrieg, bes.S. 254 f., 258 f., 463 f.; Leonhard, Büchse, S. 184, 186 f., 626 f., 678.

Tätigkeit und ihrer Ergebnisse nicht mehr wegleugnen, dann finden sie tausend und aber tausend Gründe der Entschuldigung für ihre#1939: ihre ersetzt durch: die;
1944: ihre Nichterfolge, und wollen nur einen einzigen nicht zugeben, daß sie selbst der Hauptgrund alles Übels sind.

* * *

Schon1929: Schon ersetzt durch: Spätestens# im Winter 1922/23 hätte man allgemein verstehen müssen, daß sich Frankreich auch nach dem Friedensschluß mit eiserner Konsequenz bemühe#1937: bemühe ersetzt durch: bemühte;
1939: bemühe, sein ihm ursprünglich vorschwebendes Kriegsziel doch noch zu erreichen. Denn niemand wird wohl glauben, daß Frankreich im entscheidendsten Ringen seiner Geschichte viereinhalb Jahre lang das an sich nicht zu reiche Blut seines Volkes20 einsetzte, nur um später die vorher angerichteten Schäden durch Reparationen21 wieder vergütet zu erhalten. Selbst Elsaß-Lothringen allein würde noch nicht die Energie der französischen Kriegsführung#1944: Kriegsführung ersetzt durch: Kriegführung erklären22, wenn es sich nicht dabei schon#1937: gestrichen: schon; 1939: wieder eingefügt: schon um einen Teil des wirklich großen politischen Zukunftsprogrammes#1937: Zukunftsprogrammes ersetzt durch: Zukunftsprogramms;
1939: Zukunftsprogrammes der französischen Außenpolitik gehandelt hätte. Dieses Ziel aber heißt: Auflösung Deutschlands in ein Gemengsel von Kleinstaaten.23 Dafür hat das chauvinistische Frankreich gekämpft, wobei es allerdings sein Volk in Wahrheit als Landsknechte dem internationalen Weltjuden verkaufte.

Dieses französische Kriegsziel wäre schon durch den Krieg an sich zu erreichen gewesen, wenn, wie man anfangs zu Paris hoffte, der Kampf sich auf deutschem Boden abgespielt hätte.24 Man stelle sich vor, daß die blutigen Schlachten des Weltkrieges nicht an der Somme25, in Flandern26, im Artois27, vor Warschau, Nishnij Nowgorod#1937: Nishnij Nowgorod ersetzt durch: Iwangorod [sic!], Kowno, Riga28 und wo sonst überall noch stattgefunden hätten, sondern in Deutschland, an der Ruhr und am Main, an der Elbe, vor Hannover, Leipzig, Nürnberg usw., und man wird wohl zustimmen müssen, daß die Möglichkeit einer Zertrümmerung Deutschlands gegeben gewesen wäre. Es ist sehr fraglich, ob unser junger föderativer Staat29 viereinhalb Jahre lang die gleiche Belastungsprobe ausgehalten hätte, wie das seit Jahrhunderten stramm zentralisierte und nur nach dem unumstrittenen Mittelpunkt Paris sehende Frankreich.