Das Opfern der Besten <span class="pagenumber">[166]</span>

20 In den deutschen Streitkräften des Ersten Weltkriegs existierten verschiedene Funktionen und Formationen, die sich grundsätzlich nur aus Freiwilligen rekrutierten wie etwa die U-Boot-Truppe oder das fliegende Personal. Zu den bekanntesten Freiwilligenformationen wurden auf deutscher Seite die sogenannten Sturm-Bataillone, die 1915 aus der Sturm-Abteilung Calsow sowie aus dem Sturm-Bataillon Nr. 5 (Rohr) hervorgegangen waren. Seit 1916 wurde für jede Armee im Westen bzw. jede Heeresgruppe im Osten je ein Sturm-Bataillon aus Pionieren und Infanterie als Kampf- und Lehrtruppe errichtet. Ihr Einsatz erfolgte stets an den Brennpunkten des militärischen Geschehens. Diese Bataillone bestanden in der Regel aus: 1 – 5 Sturm-Kompanien, 1 – 2 Maschinengewehr-Kompanien, einem Flammenwerfer-Trupp, einer Infanteriegeschütz-Batterie und einer Minenwerfer-Kompanie. Daneben bildeten auch die Divisionen eigene kleinere Sturm-Abteilungen bzw. -Kompanien. Für diese Einheiten kam nur ausgesuchter personeller Ersatz infrage; Bedingungen waren »freiwillige Meldung, Alter bis 25 Jahre, unverheiratet, volle körperliche und geistige Frische und Leistungsfähigkeit«. Insgesamt formierte die deutsche Armee während des Ersten Weltkriegs 17 Sturm-Bataillone und zwei selbstständige Sturm-Kompanien.

Vgl. Cron, Geschichte, S. 125 – 127; Gruss, Sturmbataillone, S. 139 f.; Samuels, Doctrine; Gudmundsson, Tactics; Raths, Massensturm, bes.S. 165 – 201.

23 Mit der Mobilmachung im Jahr 1914 wurden keine völlig neuen Armeen aufgestellt – erst recht keine Armeen aus Kriegsfreiwilligen. Vielmehr wurden mit Kriegsbeginn die acht bereits existenten Armee-Inspektionen im Deutschen Reich aufgelöst und in Armeen umgewandelt. Reine Reserveverbände – also Verbände ohne organisatorische Vorläufer – wurden erst ab der Hierarchieebene der Armeekorps und Divisionen gebildet. Insgesamt handelte es sich hierbei um 28 Reserve-Korps (ferner einige Ersatz- und Landwehr-Korps) sowie um 55 Reserve-Divisionen, ferner um 34 Landwehr- sowie sechs Ersatz-Divisonen. Aber selbst in diesen Reserve-Verbänden war der Status ihrer Angehörigen höchst unterschiedlich: Neben aktiven Soldaten, etwa beim Rahmenpersonal, standen (gediente) Reservisten, (ungediente) Ersatzreservisten und schließlich die Kriegsfreiwilligen. In Hitlers Regiment, dem Königlich Bayerischen Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 16 »List«, betrug der Anteil der Kriegsfreiwilligen beispielsweise 30 %.

Vgl. Matuschka, Organisationsgeschichte, S. 222 – 230; Weber, Krieg, S. 31 f.; Kap. I/5, Anm. 52.

24 Laut Artikel 57 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. 4. 1871 war jeder Deutsche wehrpflichtig. Allerdings legte Artikel 60 die »Friedens-Präsenzstärke des Deutschen Heeres« auf 1 % der Bevölkerung fest. Daher hatte der Reichstag die Stärke des deutschen Heeres im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens immer wieder neu festzulegen – unter Berücksichtigung des Bevölkerungswachstums. Da es sich hierbei um eine der wenigen militärpolitischen Einflussmöglichkeiten des Reichstags handelte, entwickelte sich die deutsche Rüstungspolitik schon bald »zu einem parteipolitischen Schlachtfeld«, auf dem der Kaiser, das Preußische Kriegsministerium, der Generalstab, der Reichskanzler und eben der Reichstag mit seinen Parteien als Akteure auftraten. Obwohl das deutsche Heer von 420.000 Mann (1875) auf 663.000 Mann (1913) wuchs, wurde das Potenzial an Wehrpflichtigen bis 1914 aus politischen, finanziellen, aber auch aus militärpolitischen Erwägungen längst nicht ausgeschöpft. Im Sommer 1914 waren daher 5,4 von 10,4 Millionen Wehrpflichtigen nicht ausgebildet.

Vgl. Bundes-Gesetzblatt des Deutschen Bundes 1871, S. 79 f., Zitat S. 80; Schmidt-Richberg, Regierungszeit, S. 49 – 58; Förster, Militarismus; Frevert, Nation, S. 207 – 301; Stein, Heeresrüstungspolitik, Zitat S. 46; Kap. I/10, Anm. 81.

25 Die Erste Flandernschlacht vom 20. 10. bis 18. 11. 1914 beendete die erste militärische Phase des Ersten Weltkriegs. Nachdem der deutsche Vorstoß auf Paris in der Marneschlacht gescheitert war, bewegten sich die beiden gegnerischen Seiten in Richtung Nordsee, um sich gegenseitig an der Flanke zu umgehen; in der Ersten Flandernschlacht kulminierten schließlich diese Operationen, die jedoch keine der beiden Seiten für sich entscheiden konnte. Weder gelang es den deutschen Truppen, bei Ypern durchzubrechen, noch war die alliierte Seite in der Lage, das deutsche Scheitern zu einer wirkungsvollen Gegenoffensive auszunützen. In der Folge gingen die Kämpfe endgültig in einen Stellungskrieg über. Die Verluste der 4. Deutschen Armee während der Ersten Flandernschlacht waren im Übrigen deutlich niedriger als von Hitler veranschlagt. Sie beliefen sich insgesamt auf 96.620 Tote, Verwundete und Vermisste.

Vgl. Der Weltkrieg 1914 bis 1918, Bd. 5, S. 272 ff.; Sanitätsbericht über das Deutsche Heer, Bd. 2, S. 249.

27 Die Frage nach der körperlichen, mentalen und auch politischen Tauglichkeit deutscher Wehrpflichtiger wurde schon in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg kontrovers diskutiert. Tatsächlich mussten in Deutschland nur 53 % aller Wehrpflichtigen dienen, in Frankreich hingegen 84 % – so die Zahlen für 1911. Von den deutschen Musterungsjahrgängen 1904 – 1908 wurden fast 30 % der Wehrpflichtigen als »untauglich«, 19 % als »mindertauglich« eingestuft. Zeitgenössische demografische Untersuchungen offenbarten, dass der Anteil der Tauglichen in ländlichen Gebieten größer war als in städtischen, wobei die Tauglichkeitsquote parallel zur Größe der Stadt noch weiter fiel. Zu den am häufigsten ausgemusterten Berufsgruppen zählten Buchhändler, Postbeamte, Kaufleute, Apotheker, Ingenieure, Techniker, Schuhmacher und Schneider; großzügig gehandhabt wurde die Zurückstellung bei Freiberuflern, Studenten, Lehramtskandidaten und Künstlern. Seit Sommer 1914 wurde diese Praxis dann auf die Arbeiter in der Montan- und Rüstungsindustrie ausgedehnt. Schon diese Angaben verdeutlichen, dass Hitlers systematische Diskreditierung der »Untauglichen« als »Drückeberger« nicht im Entferntesten der damaligen gesellschaftlichen und mentalen Wirklichkeit entsprach. Sieht man einmal davon ab, dass in der wilhelminischen Gesellschaft der Ausschluss vom Wehrdienst als Stigma empfunden wurde, so haben sich nicht wenige der ehemals »Untauglichen« dann 1914 als Kriegsfreiwillige gemeldet – nicht zuletzt Hitler selbst, der noch am 5. 2. 1914 von einer Salzburger Musterungskommission für »zum Waffen- und Hilfsdienste untauglich, zu schwach« befunden worden war.

Vgl. BayHStA, PrASlg. 1160: Oberösterreichische Landesregierung, Landesevidenzreferat, Zahl 786, Amtsbestätigung vom 23. 2. 1932 (Abschrift des Musterungsbescheid vom 5. 2. 1914, Zitat); Bindewald, Wehrfähigkeit; Stein, Heeresrüstungspolitik, S. 60 – 69; Joachimsthaler, Weg, S. 28; Hartmann, Volkskörper.

28 Es verdient Beachtung, wie ungeniert Hitler hier ganz unterschiedliche religiöskulturelle Traditionen miteinander kombiniert, die ursprünglich nichts miteinander zu tun hatten. Der Begriff des »heiligen Opfertods« verweist auf die christliche Martyrologie, in deren Zentrum das passive Opfer des Gläubigen steht. Aus dieser Tradition entwickelte sich die Figur des kriegerischen Märtyrers; militärische Institutionen und Aktionen können gesegnet, Denkmäler und Friedhöfe religiös überhöht werden. Der Begriff Walhall entstammt dagegen einem ganz anderen Kulturkreis: Walhall, die »Wohnung der Gefallenen«, gilt in der nordischen Mythologie als eine Art Kriegerparadies, als Zentrum einer Kriegerkultur, die Tapferkeit und Todesverachtung zu ihren zentralen Werten zählte. Nach Walhall, das erstmals Ende des 9. Jahrhunderts erwähnt wurde, bringen die Walküren die tapfersten, im Kampf gefallenen Krieger. Ungeachtet Hitlers abenteuerlicher Kombination aus Elementen der christlichen und nordischen Religion hütete sich die NS-Führung nach 1933, eine Rückkehr zur Religion der heidnisch-germanischen Götter zu propagieren. Zu den »Nordischen«, den sogenannten Asen-Gläubigen, gehörte zwischen 1933 und 1945 nur ein winziger Teil der deutschen Gesellschaft.

Vgl. Weigel (Hrsg.), Märtyrer-Porträts; Simek, Religion, S. 16, 209 ff.; Kap. II/12, Anm. 34.

29 Hitlers Verachtung für all das, was unter Begriffen wie militärisches Hinterland, Etappe oder auch Heimatfront zu subsumieren ist, war auch während des Zweiten Weltkriegs förmlich mit Händen zu greifen. Das betraf zum einen den militärischen Raum selbst: Fast jeder Mann musste nach vorn, an die Front; das Verhältnis von »Kämpfern« zu »Versorgern« besaß daher in den deutschen Streitkräften eine Relation von 85:15 % – ein eklatanter Gegensatz etwa zur US-Armee, bei der die entsprechende Relation 57:43 % betrug. Zum anderen zeigte sich dieses Missverhältnis aber auch auf strategischer Ebene. Der deutschen Führung war es nicht möglich, eine langfristig geplante, koordinierte und nachhaltige Rüstungspolitik zu entwickeln, die sowohl die Bedürfnisse aller drei Teilstreitkräfte als auch die einer modernen Massengesellschaft im Krieg berücksichtigt hätte.

Vgl. Tooze, Ökonomie; Creveld, Kampfkraft, S. 69 ff.; Hartmann, Wehrmacht, S. 457 – 466.

lige für U-Boote, Freiwillige für Flugzeuge, Freiwillige für Sturmbataillone usw.20 – immer und immer wieder durch viereinhalb Jahre hindurch bei tausend Anlässen Freiwillige und wieder Freiwillige –, und man sieht stets das gleiche Ergebnis: Der#1937: Der ersetzt durch: der;
1939: Der bartlose Jüngling oder der reife Mann, beide von glühender Vaterlandsliebe, von großem persönlichen#1937: persönlichen ersetzt durch: persönlichem Mut oder höchstem Pflichtbewußtsein erfüllt, sie meldeten sich. Zehntausend, ja hunderttausend solcher Fälle kamen vor, und allmählich#1937: vor, und allmählich ersetzt durch: vor; allmählich;
1939: vor, und allmählich wurde dieses Menschentum immer dünner und dünner.21 Was nicht fiel, ward#1944: ward ersetzt durch: war entweder zu Krüppeln zerschossen22 oder verkrümelte sich allmählich infolge der Kleinheit der übriggebliebenen Zahl. Man bedenke aber vor allem, daß das Jahr 1914 ganze Armeen aus sogenannten Freiwilligen23 aufstellte, die, dank der verbrecherischen Gewissenlosigkeit unserer parlamentarischen Taugenichtse, keine gültige Friedensausbildung erhalten hatten24, und so nun als wehrloses Kanonenfutter dem Feinde preisgegeben waren. Die vierhunderttausend, die damals in den Kämpfen in#1944: in ersetzt durch: von Flandern fielen oder zu Krüppeln wurden25, konnten nicht mehr ersetzt werden.26 Ihr Verlust war mehr als das Ausscheiden einer bloßen Zahl. Durch ihren Tod schnellte die Wage [sic!] auf#1930: Wage auf ersetzt durch: Waage, auf der guten Seite, zu wenig beschwert, in die Höhe, und schwerer wogen nun als früher die Elemente der Gemeinheit, der Niedertracht und der Feigheit, kurz die Masse des Extrems des Schlechten.27

Denn noch eins kam dazu:

Nicht nur, daß auf den Schlachtfeldern das Extrem des Besten in der ungeheuerlichsten Weise durch die viereinhalb Jahre hindurch gelichtet worden war, das Extrem des Schlechten hatte sich in der wundervollsten Art unterdessen konserviert. Sicherlich traf auf jeden sich freiwillig meldenden Helden, der nach heiligem Opfertod dann die Stufen nach Walhall28 emporstieg, ein Drückeberger, der sehr vorsichtig dem Tode den Rücken kehrte, um sich statt dessen mehr oder weniger nützlich in der Heimat zu betätigen.29

So ergibt das Ende des Krieges folgendes Bild: Die mittlere breite Schichte#1937: Schichte ersetzt durch: Schicht [sic!] der Nation hat ihren Zoll an pflichtgemäßen Blutopfern gebracht; das Extrem der#1939: der ersetzt durch: des Besten hat sich in vorbildlichem