Die Massenvergiftung der Nation <span class="pagenumber">[256]</span>

79 Der Völkerbund als erste ständige internationale Organisation zur Sicherung des Friedens wurde auf Basis des »14-Punkte-Programms« gegründet, das US-Präsident Woodrow Wilson am 8. 1. 1918 als Grundlage für einen Waffenstillstand formuliert hatte. Seine Satzung trat am 10. 1. 1920 in Kraft und war integraler Bestandteil des Versailler Vertrags. Der Völkerbund, dessen Sitz Genf war, war unter anderem verantwortlich für die Verwaltung des Saargebiets und der früheren deutschen Kolonien (Mandatsgebiete) sowie für die Aufsicht über die Freie Stadt Danzig. Mitglieder des Völkerbunds waren zunächst 32 Siegermächte des Ersten Weltkriegs und 13 neutrale Staaten. Bis 1937 erwarben weitere 21 Staaten die Mitgliedschaft, darunter 1934 auch die Sowjetunion. Das Deutsche Reich, dem die Aufnahme in den Völkerbund zunächst verweigert worden war, verhandelte seit Herbst 1924 im Rahmen der Verständigungspolitik über einen Beitritt. Die Aufnahme in den Völkerbund erfolgte schließlich am 10. 9. 1926. Die deutsche Rechte sah darin eine unverantwortliche Preisgabe deutscher Interessen und reagierte mit massiver öffentlicher Kritik. Hitlers Polemik gegen den Völkerbund, die auch seine Reden durchzieht, war daher weder überraschend noch originell. Am 14. 10. 1933 nutzte das NS-Regime die zögerliche Haltung Frankreichs und Großbritanniens bezüglich der militärischen Gleichberechtigung Deutschlands als Vorwand, um die seit Februar 1932 laufende Genfer Abrüstungskonferenz zu verlassen. Fünf Tage später erfolgte der Austritt des Deutschen Reichs aus dem Völkerbund.

Vgl. RGBl. 1919/II, S. 717 – 747; Knock, Wars, S. 96, 106; Krüger, Außenpolitik, 353 – 356; Hildebrand, Reich, S. 475 – 488, 584 f.; Wintzer, Deutschland, bes.S. 119 – 128, 531 – 560; Büttner, Weimar, S. 357 – 363. 

81 Die allgemeine Wehrpflicht hatte ihren Ursprung in Frankreich. Nach den anfänglichen Niederlagen in den Revolutionskriegen beschloss der französische Nationalkonvent 1793 eine »Massenaushebung«, die »Levée en masse«. Alle ledigen männlichen Franzosen im Alter von 18 bis 25 Jahren waren fortan dienstpflichtig, ein Freikauf von der Wehrpflicht oder die Entsendung eines Stellvertreters waren verboten. Preußen nahm sich das Prinzip des »Bürgers in Uniform« während der Reformära zum Vorbild; in den Befreiungskriegen kam dieses Modell dann zum Einsatz. Am 17. 3. 1813 wurde die preußische Landwehr errichtet, in die alle wehrfähigen Männer im Alter von 17 bis 40 Jahren ohne Rücksicht auf ihren Stand eingezogen werden konnten. Am 3. 9. 1814 erließ der preußische König Friedrich Wilhelm III. dann das Gesetz über die Verpflichtung zum Kriegsdienste, durch das alle wehrfähigen Männer im Alter von 17 bis 50 Jahren erfasst wurden. Dienstpflichtige, die jünger als 20 oder älter als 38 Jahre waren, blieben allerdings nur für den Landsturm vorgesehen, der im Fall einer feindlichen Invasion einberufen werden konnte. Diese allgemeine Wehrpflicht war damals in Deutschland einzigartig. Selbst Frankreich ging bereits wenige Jahre nach der Verkündung der »Levée en masse« wieder dazu über, seine Wehrpflichtigen auszulosen. Erst die preußischen Erfolge in den deutschen Einigungskriegen führten europaweit zu einem Umdenken und vielerorts zur Einführung von Wehrverfassungen, die sich am preußischen Vorbild orientierten.

Vgl. Frauenholz (Hrsg.), Entwicklungsgeschichte, Bd. 5, Dok. 35, 36, 46; Krumeich, Entwicklung; Stübig, Wehrverfassung; Frevert, Nation, S. 18 – 49.

83 Dass die Presse unter die Kontrolle einer erdrückenden Übermacht deutschfeindlich gesinnter Juden geraten sei, war seit dem späten 19. Jahrhundert ein Kernelement antisemitischer Agitation. Die Leitung einzelner bedeutender liberaler Tageszeitungen durch jüdische Chefredakteure und die statistische Überrepräsentation von Juden im Journalismus (gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil von rund 1 %) reichte völkischen Autoren, um von einer völligen »Verjudung« der Presse zu sprechen – häufig unter Rückgriff auf willkürliches und aberwitzig übertriebenes Zahlenmaterial: So waren laut Paul Bangs Pamphlet Judas Schuldbuch »neun Zehntel der deutschgedruckten Zeitungen jüdisch oder in Abhängigkeit von Juda und ihm zu Diensten«. Georg Ahlemann, 1924 Reichstagsabgeordneter der Nationalsozialistischen Freiheitspartei, unterstellte gar, dass »getrost von 95 v[on] H[undert] Übergewicht der jüdisch beeinflußten Presse« gesprochen werden könne. In seiner Broschüre Der jüdische Zeitungs-Polyp übertrug Theodor Fritsch diese Unterstellung ins Globale: »Juda« leite »mit der Presse […] die Geschicke der Völker der ganzen Erde«. Zugleich listete Fritsch über 350 vermeintlich »jüdische, judenfreundliche und unvölkische« deutsche Zeitungen auf.

Die Liste verdeutlicht, wie wenig es bedurfte, um unter Antisemiten als »verjudet« zu gelten, umfasste sie doch unter anderem auch die Münchner Neuesten Nachrichten, die in den 1920er Jahren eine klar konservative Linie verfolgte. Neben der Frankfurter Zeitung war völkischen Autoren das Berliner Tageblatt besonders verhasst, dessen jüdischer Chefredakteur Theodor Wolff schon 1922 auf Mordlisten völkischer Extremisten auftauchte. Er starb 1943, kurze Zeit nach seiner Deportation ins KZ Sachsenhausen. Insgesamt wurde der Einfluss liberaler, demokratischer, großstädtischer Zeitungen seitens der deutschen Rechten deutlich überzeichnet, der Einfluss der zumeist konservativen, regionalen und lokalen Blätter hingegen unterschätzt. Zugleich wurde der Einfluss der Rechtspresse kleingeredet oder geleugnet, etwa die Erfolge des Scherl-Verlags, der seit 1916 durch den Mitbegründer des ADV, Alfred Hugenberg, geleitet wurde.

Vgl. Fritsch (Hrsg.), Handbuch, S. 450 – 481; Fritsch, Zeitungs-Polyp, S. 1 – 14, Zitat S. 8; Meister, Schuldbuch (^3/41919), S. 102 – 117, Zitat S. 104; Ahlemann, Einführung, Zitat S. 57; Holz, Nachrichten, S. 198 – 201; Schwarz, Tageblatt, S. 321 – 326; Sösemann, Journalismus; Suchy, Presse; Sabrow, Verschwörung, S. 211 – 215; Volkov, Juden, S. 54 f.; Büttner, Weimar, S. 283 f., 292; Kap. II/6, Anm. 60, 62.

Welche Kost aber hat die deutsche Presse der Vorkriegszeit diesen# 1930: diesen ersetzt durch: den Menschen vorgesetzt? War dies# 1930: dies ersetzt durch: es denn# 1926: gestrichen: denn nicht das ärgste Gift, das man sich nur vorzustellen vermag? Wurde hier# 1930: hier ersetzt durch: dem Herzen unseres Volkes nicht schlimmster Pazifismus78 in das Herz unseres Volkes# 1930: gestrichen: in das Herz unseres Volkes zu einer Zeit eingeimpft, da die andere Welt sich schon anschickte, Deutschland langsam aber sicher abzudrosseln? Hatte nicht# 1930: gestrichen: nicht diese# 1944: diese ersetzt durch: die Presse# 1930: eingefügt: nicht schon im Frieden in das# 1930: in das ersetzt durch: dem Gehirn des Volkes# 1939: Volkes ersetzt durch: Volks;
1944: Volkes den Zweifel an das Recht des eigenen Staates eingeflößt, um dasselbe# 1939: dasselbe ersetzt durch: es so in der Wahl der Mittel zu seiner Verteidigung von vornherein zu beschränken? War es nicht die deutsche Presse, die den Unsinn der »westlichen Demokratie« unserem Volke schmackhaft zu machen verstand, bis dieses endlich von all den begeisterten Tiraden gefangen, seine Zukunft glaubte# 1930: seine Zukunft glaubte ersetzt durch: glaubte, seine Zukunft einem Völkerbunde79 anvertrauen zu können? Hat sie nicht unser# 1930: nicht unser ersetzt durch: nicht mitgeholfen, unser Volk zu einer elenden Sittenlosigkeit zu erziehen mitgeholfen# 1930: gestrichen: mitgeholfen ? Wurden nicht Moral und Sitte von ihr lächerlich gemacht, als rückständig und spießerlich# 1926: spießerlich ersetzt durch: spießig gedeutet, bis endlich wirklich# 1930: gestrichen: wirklich auch unser Volk »modern« wurde? Hat sie nicht in dauerndem Angriff die Grundfesten der Staatsautorität so lange unterhöhlt, bis dann# 1930: gestrichen: dann ein einziger Stoß genügte, um dieses Gebäude zum Einsturz zu bringen?80 Hat sie nicht einst gegen jeden Willen, dem Staate zu geben, was des Staates ist, mit allen Mitteln angekämpft, nicht in dauernder Kritik das Heer herabgesetzt, die allgemeine Wehrpflicht81 sabotiert, zur Verweigerung der militärischen Kredite82 aufgefordert usw., bis dann# 1930: gestrichen: dann der Erfolg nicht mehr ausbleiben konnte?

Die Tätigkeit der sogenannten liberalen Presse war Totengräberarbeit am deutschen Volke# 1930: Volke ersetzt durch: Volk und deutschen Reiche# 1930: deutschen Reiche ersetzt durch: Deutschen Reich . Von den marxistischen Lügenblättern kann man dabei überhaupt schweigen; ihnen ist das Lügen genau so Lebensnotwendigkeit wie der Katze das Mausen; ist doch ihre Aufgabe nur, dem Volke das völkische und nationale Rückgrat zu zerbrechen# 1930: zerbrechen ersetzt durch: brechen , um es so# 1944: gestrichen: so reif zu machen für das Sklavenjoch des internationalen Kapitals und seiner Herren, den# 1930: den ersetzt durch: der Juden.83

Was aber hat der Staat gegen diese Massenvergiftung der Nation unternommen? Nichts, aber rein gar nichts.# 1926: Punkt ersetzt durch: Ausrufezeichen;
1937: Punkt;
1939: Ausrufezeichen Ein paar lächerliche Erlässe# 1937: Erlässe ersetzt durch: Erlasse , ein paar Strafen gegen zu große# 1930: zu große ersetzt durch: allzu heftige Niederträchtigkeiten und