Die erste Zirkusversammlung <span class="pagenumber">[142]</span>

105 Eine plumpe und maßlose Übertreibung. Mit insgesamt knapp 3.000 Mitgliedern (Jahreswechsel 1920/21) war die NSDAP von »Zehntausenden« weit entfernt, ganz zu schweigen davon, dass sich der Zuwachs – Anfang 1920 waren es noch rund 200 Parteimitglieder gewesen – keineswegs primär aus dem »marxistischen« Lager speiste, worunter Hitler freilich undifferenziert sehr unterschiedliche Gruppierungen subsumierte. Im Januar 1921 hatte Hitler – im Widerspruch zur vorliegenden Passage in Mein Kampf – noch die angebliche Dominanz der »marxistischen« Propaganda beklagt: »Man überschwemmt das Volk heute mit Vorträgen und Aufklärungsschriften, mit literarischen Ergüssen und Kunsterzeugnissen, die jeden noch einigermaßen vernünftigen Menschen unfehlbar verrückt machen müssen. Es wäre eigentlich Pflicht und Selbstverständlichkeit für eine Polizeibehörde, die von einer langhaarigen, bolschewistischen Dekadenz in Szene gesetzte ›Aufklärung‹ unbedingt zu unterbinden.« Da die Polizei diesem Treiben aber nicht Einhalt gebiete, drohte Hitler, künftig selbst alle Veranstaltungen und Vorträge notfalls mit Gewalt zu verhindern, die zersetzend auf die »ohnehin schon kranken Volksgenossen« einwirken würden.

Vgl. Jäckel/ Kuhn (Hrsg.), Hitler, Dok. 182, Zitat S. 295. Zur Mitgliederentwicklung der NSDAP vgl. Anm. 125 in diesem Kapitel; Kap. II/13, Anm. 13. Zu Hitlers inkohärentem Marxismusbegriff in Mein Kampf

vgl. Kap. II/15, Anm. 91.

109 Die vom 24. bis zum 29. 1. 1921 in Paris tagende Konferenz des Obersten Rats der Alliierten legte die deutsche Reparationssumme nicht auf 100, sondern auf 226 Milliarden Goldmark fest, zahlbar in 42 Jahresraten. Dieser Betrag sorgte in Deutschland für einen Sturm der Entrüstung, diente jedoch primär als Verhandlungsbasis für die Londoner Konferenz, die am 1. 3. 1921 begann. Deren Ergebnis war eine Reduzierung der deutschen Gesamtschuld auf 132 Milliarden. Durchgesetzt wurde diese Summe durch ein auf sechs Tage terminiertes Ultimatum der Alliierten vom 5. 5. 1921; bei Nichtakzeptanz drohte die Besetzung des Ruhrgebiets. Zuvor hatte der Reichsminister des Auswärtigen und Leiter der deutschen Delegation, Walter Simons, den Gegenvorschlag von 50 Milliarden unterbreitet, was die Alliierten jedoch zurückwiesen. Die Behandlung der Reparationsfrage in London löste in Deutschland eine schwere innenpolitische Krise aus, an der die Regierung Fehrenbach zerbrach. Die Krise wurde auch dadurch verschärft, dass das Ultimatum die im Versailler Vertrag fixierten Bestimmungen zur Demilitarisierung und zur Auslieferung deutscher Kriegsverbrecher erneuerte. Am 11. 5. 1921 nahmen der Reichstag und eine neu gebildete Regierung aus DDP, Zentrum und SPD unter Reichskanzler Joseph Wirth (Zentrum) das Ultimatum an.

Vgl. Krüger, Außenpolitik, S. 121 – 132; Büttner, Weimar, S. 153 – 158.

112 Eine völlig abwegige Behauptung: Die »großen« Parteien setzten sich intensiv mit dem Londoner Ultimatum und den alliierten Reparationsforderungen auseinander – wie allein schon der Rücktritt der Regierung Fehrenbach angesichts des Verlaufs der Londoner Konferenz am 4. 5. 1921 belegt. Erich Koch-Weser (DDP), damals Reichsminister des Innern, notierte nach einer Sitzung mit den Parteiführern der Koalition (Zentrum, DDP, DVP) am 4. 5. abends in sein Tagebuch: »Alle Parteiführer gegen neue Vorschläge. Nun bringt Fehrenbach wider alle Abrede nochmals die Frage des Rücktritts zur Sprache. [Adolf] Kempkes mit Heftigkeit dafür. Ähnlich [Jacob] Rießer. [Peter] Spahn sagt, das müsse Kabinett selbst wissen. [Eugen] Schiffer […] erklärt, daß das Kabinett nicht mehr längere Dauer haben könne, sei sicher, aber der Zeitpunkt heute sei unangebracht. [Johannes] Hieber entschieden gegen jede Krise. [Walter] Simons, durch die Volksparteiler verärgert, erklärt, er könne nicht mehr bleiben; ein neues Kabinett müsse zum Ultimatum Stellung nehmen. […] Fehrenbach erklärt, er gehe mit Simons. […] Besprechung zwischen [Otto] Geßler, Schiffer, Hieber, Simons, mir. Ich erkläre, Kabinett hätte nur bleiben können, wenn Führer der Koalitionsparteien es gewünscht hätten. Jetzt könnten auch wir nur für Demission eintreten. Parteiführer derselben Meinung.« Auch in den anschließenden Verhandlungen der Parteien über eine neue Regierungsbildung spielte deren Haltung zum Londoner Ultimatum, das bis zum 11. 5. 1921 befristet war, eine herausragende Rolle.

Vgl. AdR, Kabinett Fehrenbach, Dok. 245, Zitat S. 664; Krüger, Außenpolitik, S. 132 f.; Büttner, Weimar, S. 148 f.; Mühlhausen, Ebert, S. 443 – 454; Anm. 109 in diesem Kapitel.

zu werden.105 Die Öffentlichkeit in München hatte uns kennengelernt. Man sprach von uns, und das Wort »Nationalsozialist« wurde vielen geläufig und bedeutete schon ein Programm. Auch die Schar der Anhänger, ja selbst der Mitglieder begann ununterbrochen zu wachsen, so daß wir im Winter 1920/21 schon als starke Partei in München auftreten konnten.

Es gab damals außer den Marxisten#1929: Marxisten ersetzt durch: marxistischen Parteien keine#1929: eingefügt: Partei, vor allem keine nationale Partei#1929: gestrichen: Partei, die auf solche Massenkundgebungen#1937: Massenkundgebungen ersetzt durch: Massenkundgebung;
1939: Massenkundgebungen hätte hinweisen können wie#1944: wie ersetzt durch: wir [sic!] wir.106 Der fünftausend Menschen umfassende#1933: umfassende ersetzt durch: fassende Münchener-Kindl-Keller#1944: Münchener-Kindl-Keller ersetzt durch: Münchner-Kindl-Keller107 war öfter als einmal zum Brechen voll gewesen, und nur einen einzigen Raum gab es, an den wir uns noch nicht herangewagt hatten, und dies war der Zirkus Krone.108

Ende Januar 1921 stiegen für Deutschland wieder schwere Sorgen auf. Das Pariser Abkommen, auf Grund dessen sich Deutschland zur Zahlung der wahnwitzigen Summe von hundert Milliarden Goldmark verpflichtete, sollte in der Form des Londoner Diktats zur#1937: gestrichen: zur; 1939: wieder eingefügt: zur;
1944: wieder gestrichen: zur Wirklichkeit werden.109

Eine in München seit langem bestehende Arbeitsgemeinschaft sogenannter völkischer Verbände110 wollte aus diesem Anlaß zu einem größeren gemeinsamen Protest einladen. Die Zeit drängte sehr, und ich selbst war angesichts des ewigen Zauderns und Zögerns, gefaßte Beschlüsse#1929: Beschlüsse ersetzt durch: Entschlüsse auch zur Durchführung zu bringen, nervös. Man redete zuerst von einer Kundgebung am#1944: am ersetzt durch: auf dem Königsplatz111, unterließ dies aber wieder, da man Angst davor hatte, von den Roten auseinandergehauen zu werden, und projektierte eine Protestkundgebung vor der Feldherrnhalle. Allein auch davon kam man wieder ab und schlug endlich eine gemeinsame Versammlung im Münchener-Kindl-Keller#1944: Münchener-Kindl-Keller ersetzt durch: Münchner-Kindl-Keller vor. Unterdes war Tag für Tag vergangen, die großen Parteien hatten von dem furchtbaren Ereignis überhaupt keine Notiz genommen112 und die Arbeitsgemeinschaft selber konnte sich nicht entschließen, endlich einen festen Termin für die beabsichtigte Kundgebung zu bestimmen.

Dienstag, den 1. Februar 1921, forderte ich dringlichst einen endgültigen Entscheid. Ich wurde vertröstet auf Mittwoch. Mittwoch verlangte ich nun unbedingt klare Auskunft, ob und wann die Ver-