Die erste Zirkusversammlung <span class="pagenumber">[144]</span>

115 Die Polizeidirektion München hatte bereits am 2. 2. 1921 einen Flugblatttext für die »Riesen-Protestversammlung« im Zirkus Krone genehmigt. Ob Hitler, wie er hier behauptet, auch ungenehmigte Texte verbreiten ließ, ist unklar. Jedenfalls führte die ungewöhnliche und offensive Verteilung der Flugblätter aus Kraftfahrzeugen mit wehenden Parteifahnen zu polizeilichen Ermittlungen: »Das Durchrasen der Stadt mit Kraftfahrzeugen zum Zwecke der Verteilung von Flugblättern, wie es am 3. Februar stattfand, hat einen zu revolutionären Einschlag, als daß es gebilligt werden könnte.« Die von den Beamten der Polizeidirektion vorgebrachte Forderung, keine weiteren Flugblätter der NSDAP zu genehmigen, wurde vom Münchner Polizeipräsidenten und NS-Sympathisanten Ernst Pöhner allerdings abgelehnt. Die Aktion blieb damit ohne Folgen für die NSDAP. Deren Protektion brachte Ernst Pöhner und Wilhelm Frick jedoch immerhin einen Aktenvermerk im Bayerischen Staatsministerium des Innern ein.

Vgl. StA München, Pol. Dir. 6663: Flugblattentwurf und Bericht vom 5. 2. 1921; BayHStA, MInn 71712: Schreiben des bayerischen Innenministeriums vom 11. 2. 1921; Kap. I/12, Anm. 205, 206; Kap. II/9, Anm. 161.

116 Die Verwendung zumeist beflaggter Lastkraftwagen für Propagandazwecke war typisch für die Münchner Räterepublik. Nach der Darstellung des amerikanischen Journalisten Ben Hecht, den das Chicago Daily Journal 1919 nach Deutschland sandte, um über die junge Republik zu berichten, bediente sich vor allem Erich Mühsam dieser Möglichkeit: »Mühsam […] hatte einen kleinen Lastwagen zu seinem eigenen Bedarf abkommandiert. Damit unternahm er Rundreisen durch Münchens Straßen. Wann immer er eine Menschenmenge sah, hielt er seinen Wagen an, stellte sich auf den Sitz und begann eine Ansprache. […] Tausende von Arbeitern […] faßten eine Abneigung gegenüber ihrem lyrischen Sprecher. Sobald er ein Gedicht zu rezitieren anfing, hoben sie an zu schreien und schwenkten ihre Gewehre. Verschiedene Male hatten sie seinen Lastwagen gestürmt und ihn von seiner Bühne heruntergerissen.«

Möglich ist auch, dass Hitler diese Idee seinem Mentor Dietrich Eckart verdankte. Schon am 24. 5. 1919 vermerkte Eckart nicht ohne Stolz in seiner Zeitschrift Auf gut deutsch: »Einen Tag vor der Errichtung der ›Räterepublik Baiern‹ ließ ich durch ganz München mittels Autos eine Unzahl meiner Flugblätter ›An alle Werktätigen‹ verbreiten, und richtige Fabrikarbeiter waren es, die mir dabei halfen. Ehe sie es taten, bekam jeder von ihnen das Flugblatt vorgelesen, auch jeder der Chauffeure, und dann fuhren wir los.« Wie ernst es Hitler mit der Verwendung von Kraftfahrzeugen zur Parteipropaganda, aber auch zur Mobilisierung der SA war, zeigte sich spätestens im April 1930. Die von ihm angeordnete Aufstellung des Nationalsozialistischen Automobilkorps (ab 1931: Nationalsozialistisches Kraftfahrkorps) diente primär Propagandafahrten und hatte – trotz einiger organisatorischer Probleme – vor allem 1932 einen großen Anteil an der permanenten öffentlichen Präsenz der NSDAP und ihrer Funktionäre.

Vgl. Hitler, Reden, Bd. III/3, Dok. 30; Eckart, Sturmtage, Zitat S. 229; Hecht, Revolution, Zitat S. 65 f.; Hochstetter, Motorisierung, bes.S. 21 – 66; Bauer, Geschichte, S. 148; Plöckinger, Soldaten, S. 197 f.; Kap. I/11, Anm. 64.

schleunigst einige Flugblätter diktierte und in Druck gab, um sie nachmittags verbreiten zu lassen. Sie enthielten natürlich die Auf‌forderung zum Besuch der Versammlung.

Zwei Lastkraftwagen, die ich mieten ließ, wurden in möglichst viel Rot eingehüllt, darauf ein paar unserer Fahnen gepflanzt und jeder mit fünfzehn bis zwanzig Parteigenossen besetzt; sie erhielten den Befehl, fleißig durch die Straßen der Stadt zu fahren, Flugblätter abzuwerfen, kurz Propaganda für die Massenkundgebung am Abend zu machen.115 Es war zum erstenmal#1944: zum erstenmal ersetzt durch: das erstemal, daß Lastkraftwagen mit Fahnen durch die Stadt fuhren, auf denen sich keine Marxisten befanden.116 Das Bürgertum starrte daher den rot dekorierten und mit flatternden Hakenkreuzfahnen geschmückten Wagen mit offenen Mäulern nach, während in den äußeren Vierteln sich auch zahllose geballte Fäuste erhoben, deren Besitzer ersichtlich wutentbrannt schienen über diese#1933: diese ersetzt durch: die neueste »Provokation des Proletariats«. Denn Versammlungen abzuhalten hatte nur der Marxismus das Recht, genau so wie auf Lastkraftwagen herumzufahren. Wenn beides andere taten, dann hatte der Marxist wieder das heilige Recht darauf, dies als eine Provokation derer zu empfinden, die bisher die alleinigen Inhaber dieses Monopols waren.#1929: gestrichen: Wenn beides andere taten, dann hatte der Marxist wieder das heilige Recht darauf, dies als eine Provokation derer zu empfinden, die bisher die alleinigen Inhaber dieses Monopols waren.

Um sieben Uhr abends war der Zirkus noch nicht gut besetzt. Ich wurde alle zehn Minuten telephonisch verständigt, und war selbst ziemlich unruhig; denn um sieben Uhr oder ein Viertel nach sieben Uhr waren die anderen Säle meistens schon halb, ja oft schon fast#1937: fast ersetzt durch: ganz;
1939: fast voll gewesen. Allerdings klärte sich dies bald auf. Ich hatte nicht mit den riesigen Dimensionen des neuen Raumes gerechnet: tausend Personen ließen den Hofbräuhaussaal#1944: Hofbräuhaussaal ersetzt durch: Hofbräuhausfestsaal schon sehr schön besetzt erscheinen, während sie vom Zirkus Krone einfach verschluckt wurden.117 Man sah sie kaum. Kurze Zeit darauf kamen jedoch günstigere Meldungen, und um dreiviertel#1944: dreiviertel ersetzt durch: drei Viertel acht Uhr hieß es, daß der Raum zu drei Viertel#1933: Viertel ersetzt durch: Vierteln gefüllt sei und sehr große Massen vor den Kasseschaltern#1933: Kasseschaltern ersetzt durch: Kassenschaltern stünden. Daraufhin fuhr ich los.

Zwei Minuten nach acht Uhr kam ich vor dem Zirkus an. Es war noch immer eine Menschenmenge vor ihm zu sehen, zum Teil bloß