Heraus aus der Enge des Lebensraums! <span class="pagenumber">[306]</span>

23 Anspielung auf den Untergang des Weströmischen Reichs, für den die »Völkerwanderung« im 4. und 5. Jahrhundert mitverantwortlich war. Germanische Völker wie die Alanen, Sueben, Vandalen und Westgoten drangen innerhalb weniger Jahrzehnte fast in das gesamte Weströmische Reich vor und errichteten dort eigene Reiche. Die weströmischen Kaiser bemühten sich, sie als Verbündete zu gewinnen und nahmen zahlreiche Germanen in ihr Heer auf. Dadurch wurde der weströmische Staat jedoch immer stärker von seinen germanischen Söldnern abhängig. Die faktische Macht hatten schließlich germanische Heerführer. Einer von ihnen, Odoaker, setzte im Jahre 476 den römischen Kaiser Romulus Augustulus ab und ernannte sich selbst zum »König von Italien«. Die »Völkerwanderung« war allerdings nur einer von mehreren Faktoren, die zum Untergang des Römischen Reichs führten. Ebenso spielten ökonomische Probleme, soziale Unruhen, Seuchen und Bürgerkriege eine wichtige Rolle.

Vgl. Pohl, Völkerwanderung, S. 30 – 39; Ward-Perkins, Untergang, S. 11 – 67; Heather, Untergang, bes.S. 507 – 526.

24 Hitler maß die politische Macht eines Staates zuerst an »Volkszahl« und Raum, erst dann an dessen militärischer Stärke. Der Faktor Wirtschaftskraft war für ihn vergleichsweise unerheblich. Bereits in einer Rede am 18. 9. 1922 in München hatte er geäußert: »Die Wirtschaft ist ein Sekundäres. Die Weltgeschichte lehrt uns, daß kein Volk durch Wirtschaft groß wurde oder zugrundeging.« Ähnliche Bemerkungen finden sich schon im ersten Band von Mein Kampf. Allerdings war Hitler an wirtschaftlichen Fragen nicht völlig uninteressiert. Ab Ende der 1920er Jahre spielten ökonomische Aspekte in seinem Denken eine größer werdende Rolle. Die Eroberung von »Lebensraum« bedeutete für ihn nicht nur den Gewinn von neuem Siedlungsland und Nahrungsmitteln, sondern immer auch von Rohstoffen.

Vgl. Jäckel/ Kuhn (Hrsg.), Hitler, Dok. 405, Zitat S. 690 f.; Turner (Hrsg.), Hitler, S. 112, 182 f.; Zitelmann, Hitler (1989a), S. 306 – 342; Kap. I/4, S. 157 – 161 und Kap. I/8, S. 219 – 221 sowie die dortige Kommentierung.

28 Die Vorstellung, dass das deutsche Volk nicht genug Lebensraum besitze und sein Territorium ausdehnen müsse, um zu überleben, hatte bereits im Kaiserreich Konjunktur. So schrieb der Marburger Geograf Theobald Fischer im Jahr 1900, das Deutsche Reich sei in seinen gegenwärtigen Grenzen eine »Eintagsfliege« und müsse entweder zerfallen oder expandieren. Im Gegensatz zu Friedrich Ratzel ging Fischer allerdings davon aus, dass eine Ausdehnung auch ohne Gewalt zu erreichen sei. Zum populären Schlagwort wurde »Volk ohne Raum«, als der Schriftsteller Hans Grimm, ein Sympathisant der Nationalsozialisten, 1926 seinen gleichnamigen Roman veröffentlichte. Grimm sprach mit nationalem Pathos jene Deutschen an, die sich durch den Frieden von Versailles gedemütigt fühlten. Die Forderung nach neuem Lebensraum in Form überseeischer Kolonien verband er mit imperialistischen und auch rassistischen Vorstellungen. In seiner 1954 erschienenen Schrift Warum – Woher – aber Wohin? behauptete Grimm, Hitler habe laut eigener Aussage den Roman Volk ohne Raum mehrfach gelesen und auch den Aufsatz Überbevölkerung und Kolonialproblem gekannt, den Grimm 1920 verfasst hatte. In Letzterem hatte der Autor den Verlust der Kolonien beklagt und geschrieben, die größte deutsche Frage sei die der Überbevölkerung: »Sie liegt jedem anderen deutschen Probleme und den meisten Weltproblemen zugrunde.«

Vgl. Grimm, Überbevölkerung, Zitat S. 336; Grimm, Volk, Bd. 1, bes.S. 3; Grimm, Warum, S. 113; Faber, Vorgeschichte, S. 393; Smith, Novel; Wagner, Volk; Gümbel, Volk, bes.S. 127 – 139; Oswalt, Schlachtruf; Vordermayer, Bildungsbürgertum, bes.S. 60 – 68.

halfen zur Strecke zu bringen.23 Heute befinden wir uns in einer Welt von sich bildenden großen Machtstaaten, in der unser eigenes Reich immer mehr zur Bedeutungslosigkeit herabsinkt.

Es ist notwendig, daß wir uns diese bittere Wahrheit kühl und nüchtern vor Augen halten. Es ist notwendig, daß wir das Deutsche Reich nach Volkszahl und Flächeninhalt in seinem Verhältnis zu anderen Staaten durch die Jahrhunderte hindurch verfolgen und vergleichen, und ich#1929: vergleichen, und ich ersetzt durch: vergleichen. Ich weiß, daß dann jeder mit Bestürzung zu dem Resultat kommen wird, welches ich eingangs dieser Betrachtung schon aussprach: Deutschland ist keine Weltmacht mehr, gleichgültig, ob es militärisch stark oder schwach dasteht.24

Wir sind außer jedes#1937: jedes ersetzt durch: jedem Verhältnis zu den anderen großen Staaten der Erde geraten, und dies nur dank der geradezu verhängnisvollen außenpolitischen Leitung unseres Volkes, dank völligen Fehlens einer, ich möchte fast sagen, testamentarischen Festlegung auf ein bestimmtes außenpolitisches Ziel25, und dank des Verlustes jedes gesunden Instinktes und Triebes zur Selbsterhaltung.26

Wenn die nationalsozialistische Bewegung wirklich die Weihe einer großen Mission für unser Volk vor der Geschichte erhalten will, muß sie, durchdrungen von der Erkenntnis und erfüllt vom Schmerz über seine wirkliche Lage auf dieser Erde, kühn und zielbewußt den Kampf aufnehmen gegen die Ziellosigkeit und Unfähigkeit, die bisher unser deutsches Volk auf seinen außenpolitischen Wegen leiteten.27 Sie muß dann, ohne Rücksicht auf »Traditionen« und Vorurteile, den Mut finden, unser Volk und seine Kraft zu sammeln zum Vormarsch auf jener Straße, die aus der heutigen Beengtheit des Lebensraumes28 dieses Volk hinausführt zu neuem Grund und Boden und damit auch für immer von der Gefahr befreit, auf dieser Erde zu vergehen oder als Sklavenvolk die Dienste anderer besorgen zu müssen.