Die falsche deutsche Bündnispolitik <span class="pagenumber">[133]</span>

13 Nachdem Hitler bis zum Ersten Weltkrieg in der Schleißheimer Straße 34 wohnte, zog er nach seiner Entlassung aus dem Heer in die Thierschstraße 41; dort bezog er am 1. 5. 1920 ein Zimmer als Untermieter. Hitlers wechselnde Wohnungen in München dokumentieren seinen politischen Aufstieg: Seit November 1929 konnte er sich – durch eine Bürgschaft des Verlegers Hugo Bruckmann – eine über 300 Quadratmeter große Neunzimmerwohnung am Prinzregentenplatz leisten. Zugleich verringerten sich Hitlers Aufenthalte in München parallel zu seinen politischen Erfolgen: Seit Beginn der 1930er Jahre bevorzugte er den Obersalzberg als Rückzugsort, seit 1933 war er als Reichskanzler oft – aber längst nicht ständig – in Berlin. 1939 kaufte er zwar die Wohnung am Prinzregentenplatz, suchte sie aber immer seltener auf.

Vgl. Nerdinger (Hrsg.), Ort, S. 65; Weyerer, München, S. 12 f., 56 f.

15 Mit der abwertenden Differenzierung zwischen »rechnerischem Verstand« und »gefühlvollem Gemüt« stand Hitler in der Tradition eines gegenaufklärerischen Antirationalismus, der seit der Jahrhundertwende gerade in lebensreformerischen Texten immer wieder aufgegriffen wurde und sich von den 1880er bis zu den 1930er Jahren in der »Lebensphilosophie« niederschlug. »Verstand« und »Gemüt« wurden hier zunehmend als konkurrierende Gegensätze begriffen. Prominentester Vertreter einer völkisch verengten »Lebensphilosophie« war Julius Langbehn. In dessen Hauptwerk Rembrandt als Erzieher (1890), einer der einflussreichsten kulturkritischen Schriften der damaligen Zeit, hieß es etwa: »Auf die Vertreter der Wissenschaft sieht das heutige deutsche Volk mit einer fast abergläubischen Verehrung; […] Man hat gemeint, daß Zahl und Maß die Welt regieren oder daß Geld die Welt regiert; aber beides ist nicht wahr; denn der Geist regiert die Welt.« Vor diesem Hintergrund empfahl Langbehn dem deutschen Volk, es solle »das Kälteverfahren d. h. den Weg des Verstandes in seiner Bildung aufgeben, und das Wärmeverfahren d. h. den Weg der Empfindung wieder aufnehmen. Die Heilerfolge würden außerordentliche sein.«

Vgl. Langbehn, Rembrandt, Zitate S. 313 f.; Schnädelbach, Philosophie, S. 174 – 193; Behrendt, Langbehn; Heinßen, Kulturkritik; Stalfort, Erfindung, S. 273 f.; Chalard-Fillaudeau, Lebensreform; Kap. I/3, Anm. 233.

17 Verglichen mit den übrigen europäischen Großmächten war Österreich-Ungarn 1914 auf einen Krieg schlecht vorbereitet. Die Militärausgaben der Habsburgermonarchie sanken zwischen 1870 und 1910 von 24,1 % auf 15,7 % des Haushalts. Auch wurden in Österreich-Ungarn lediglich 22 – 29 % der Wehrpflichtigen militärisch ausgebildet, während es in Russland 37 %, im Deutschen Reich 40 %, in Frankreich sogar 86 % waren. Zudem war die Organisation der k. u. k. Armee kompliziert und schwerfällig; mit dem Kriegsministerium, dem Landesverteidigungsministerium und dem Honvédministerium in Budapest waren drei Ressorts für die bewaffnete Macht zuständig. Vor Kriegsbeginn besaßen k. u. k. Heer und Kriegsmarine nicht mehr als 159.500 Mann, k. k. Landwehr 24.717 Mann, k. u. Honvéd 25.000 Mann und die bosnisch-herzegowinischen Einheiten 7.260 Mann. Gleichwohl gelang es der Habsburgermonarchie »entgegen aller Skepsis vor 1914«, bei Kriegsausbruch ein Heer »von drei Millionen Soldaten aus elf Nationalitäten« zu mobilisieren.

Vgl. Allmayer-Beck, Macht, bes.S. 81 – 85; Höbelt, Rollercoaster, S. 122; Lein, Pflichterfüllung, S. 39 – 51; Rauchensteiner, Weltkrieg, S. 51 – 63; Leonhard, Büchse, Zitat S. 225; Kap. I/3, Anm. 29.

19 Der Satz erinnert an ein Urteil Erich Ludendorffs, der sich in seinen Kriegserinnerungen nicht nur abfällig über das militärische Potenzial Österreich-Ungarns äußerte, sondern auch die Meinung vertrat, die Doppelmonarchie sei in ihrer Bedeutung von deutscher Seite völlig falsch beurteilt worden. An Hitlers Meinung, die Deutschen wüssten kaum etwas über ihr Nachbarland, sollte sich auch künftig nichts ändern. Noch am 25. 1. 1942 echauffierte er sich gegenüber Heinrich Himmler, Oberst Kurt Zeitzler und dem Chef der Reichskanzlei, Hans Heinrich Lammers: »Die Leute vom Altreich haben von Nationalitäten keinen Schimmer; sie sind aufgewachsen, umgeben von einer Wolke von Dummheit. Keine Ahnung vom Problem Österreich! Daß es sich hier nicht um einen Staat in unserem Sinn, sondern um ein Gemengsel handelte, haben sie nicht begriffen! Divisionen hatte Österreich nicht, Österreich hatte Tschechen, Kroaten, Serben! Heilige Einfalt, hier ist alles vergeblich.«

Vgl. Hitler, Monologe, Zitat S. 227. Zum Urteil Ludendorffs vgl. Kap. II/13, Anm. 138.

an irgendeinem anderen Flecken Erde# 1933: Flecken Erde ersetzt durch: Flecken der Erde;
1937: Fleck der Erde;
1939: Fleckchen der Erde;
1944: Flecken Erde auf dieser Welt, liegt ja# 1926: gestrichen: ja wohl mitbegründet in der Tatsache, daß sie mit der Entwicklung meines eigenen Lebens unzertrennlich verbunden ist und bleibt13; daß ich aber damals schon das Glück einer wahrhaft inneren Zufriedenheit erhielt, war nur dem Zauber zuzuschreiben, den die wunderbare Wittelsbacherresidenz14 wohl auf jeden nicht nur mit einem rechnerischen Verstande, sondern auch mit gefühlvollem Gemüt# 1944: Gemüt ersetzt durch: Gemüte gesegneten Menschen ausübt.15

Was mich nun# 1926: gestrichen: nun außer meiner beruflichen Arbeit am meisten anzog, war auch hier wieder das Studium der politischen Tagesereignisse, darunter besonders außenpolitischer Vorgänge. Ich kam zu den letzteren über den# 1937: den ersetzt durch: dem [sic!];
1939: den Umweg der deutschen Bündnispolitik, die ich von meinen österreichischen Zeiten her schon für ebenso unrichtig wie falsch hielt# 1930: für ebenso unrichtig wie falsch hielt ersetzt durch: für unbedingt falsch hielt .16 Immerhin war mir in Wien der volle Umfang dieser Selbsttäuschung des Reiches noch nicht ganz klar geworden# 1937: klar geworden ersetzt durch: klargeworden;
1939: klar geworden . Ich war damals geneigt, anzunehmen (oder# 1926: anzunehmen (oder ersetzt durch: anzunehmen – oder redete mir es vielleicht auch selber bloß als Entschuldigung vor), daß# 1926: vor), daß ersetzt durch: vor –, daß man möglicherweise in Berlin schon wisse, wie schwach und wenig verläßlich der Bundesgenosse in Wirklichkeit sein würde17, jedoch aus mehr oder minder geheimnisvollen Gründen mit dieser Einsicht zurückhalte, um eine Bündnispolitik zu stützen, die ja Bismarck selber einst begründet hatte18 und deren plötzlicher Abbruch nicht wünschenswert sein konnte, schon um das lauernde Ausland nicht irgendwie aufzuschrecken oder den inneren Spießer zu beunruhigen.

Freilich der Umgang, vor allem im Volke selber, ließ mich zu meinem Entsetzen schon in kurzer Zeit sehen, daß dieser Glaube falsch war. Zu meinem Erstaunen mußte ich überall feststellen, daß über das Wesen der Habsburgermonarchie# 1939: Habsburgermonarchie ersetzt durch: Habsburger-Monarchie;
1944: Habsburgermonarchie selbst in den sonst gut unterrichteten Kreisen aber auch kein blasser Schimmer vorhanden war.19 Gerade im Volke war man in dem Wahne verfangen, den Bundesgenossen als eine ernste Macht ansehen zu dürfen, die in der Stunde der Not sicher sofort ihren Mann stellen würde. Man hielt in der Masse die Monarchie noch# 1930: gestrichen: noch immer für einen »Deutschen«# 1930: »Deutschen« ersetzt durch: »deutschen« Staat und glaubte darauf auch bauen zu können. Man war der Meinung, daß die Kraft auch hier nach den Millionen gemessen werden könnte,