Beaufsichtigung zwischen Schul- und Militärzeit <span class="pagenumber">[47]</span>

98 Die Assoziation von »Eitelkeit« auf »wohlgeformte Körper« und einem als rassenbiologisch »zweckmäßig« ausgerichteten Geschlechtsleben erinnert an Schriften der lebensreformerischen und »rassenhygienisch« motivierten Freikörperkultur des Kaiserreichs. Richard Ungewitter, ein nicht zuletzt durch mehrere Gerichtsprozesse berühmt gewordener Vorreiter der FKK-Bewegung, hielt die Nacktheit in seiner Schrift Nacktheit und Kultur (1913) aus »Gründen der gesunden Zuchtwahl« für nötig, »damit Starke und Gesunde sich paaren, Schwächlinge aber nicht zur Vermehrung kommen«. Ferner glaubte Ungewitter, dass das »deutsche Weib« nicht mehr »so viele[n] exotischen fremden Rassen nachlaufen« würde, bekäme es nur »öfter einen nackten germanischen Mann« zu Gesicht. Generell stand die NS-Bewegung der Freikörperkultur jedoch distanziert gegenüber. Am 3. 3. 1933 erklärte sie der Reichsminister des Innern Wilhelm Frick in einem polizeiinternen Runderlass gar als eine »der größten Gefahren für deutsche Kultur und Sittlichkeit«, gegen die in aller Schärfe vorgegangen werden müsse.

Vgl. Ungewitter, Nacktheit, Zitat S. 130; Gerstenhauer, Rassenlehre, S. 39; Scheuch, Nackt, Zitat S. 88; Koerber, Freikörperkultur; Wedemeyer-Kolwe, Körperkultur, bes.S. 190 – 219.

101 Die Figur des jüdischen Verführers, der »arische« Frauen und Mädchen geschlechtlich »schände«, ihrer rassischen »Reinheit« beraube und sie in den moralischen Abgrund stoße, war seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert ein gängiges antisemitisches Stereotyp. In den »Zehn deutschen Geboten der gesetzlichen Selbsthilfe«, die Theodor Fritsch in seinem erstmals 1887 erschienenen Antisemiten-Katechismus verbreitete, wurde der Leser unter anderem zu Folgendem ermahnt: »Du sollst dein Blut reinhalten. Erachte es als ein Verbrechen, Deines Volkes edle arische Art durch Juden-Art zu verderben. Denn wisse, das jüdische Blut ist unverwüstlich und formt Leib und Seele nach Juden-Art bis in die spätesten Geschlechter.« Das Motiv der planmäßigen »Vergiftung« und »Verunreinigung« deutschen »Blutes« durch jüdische Männer griff Artur Dinter in dem Roman Die Sünde wider das Blut (1917) auf, der in den 1920er Jahren mit über 200.000 verkauften Exemplaren zum Bestseller avancierte. Innerhalb der NSDAP war es vor allem Julius Streicher, der in seiner Wochenzeitung Der Stürmer durch besonders vulgäre, pornografische Darstellungen gegen »jüdische Rassenschänder« hetzte. Im Dritten Reich kam es schließlich zu öffentlichen Anprangerungen von »Rassenschändern«, wobei meist Frauen mit sexuellen Beziehungen zu einem Juden betroffen waren.

Vgl. Fritsch, Antisemiten-Katechismus, Zitat S. 313; Dotterweich, Transformation; Przyrembel, Reinheitsmythos, S. 65 – 84; Ruault, Streicher, bes.S. 20 – 63; Roelcke, Roman; Kap. I/10, Anm. 111; Kap. I/11, Anm. 228; Kap. II/15, Anm. 118.

102 Schon im Kaiserreich wurde vor allem im bürgerlich-nationalen Milieu intensiv über Möglichkeiten einer staatlich kontrollierten Erziehung der männlichen schulentlassenen Jugend bis zu Beginn der Wehrpflicht diskutiert. Geprägt war die Debatte einerseits von der Sorge, die als besonders »gefährdet« geltende städtische Arbeiterjugend an die »subversiven Tendenzen« der Sozialdemokratie zu verlieren, andererseits von dem Bestreben, die im schulischen Turnunterricht eingeübte »Wehrfähigkeit« der Jungen in der Zeit zwischen Volksschule und Wehrdienst aufrechtzuerhalten. Von diesen Überlegungen war auch der 1916/17 diskutierte Entwurf eines Reichsjugendwehrgesetzes geprägt. Aufgrund der Bedeutung jugendlicher Arbeitskräfte für die Kriegsproduktion wurde dieses Vorhaben aber nicht weiter verfolgt. Anders dagegen das Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst (Hilfsdienstgesetz) vom 6. 12. 1916, das alle »männliche[n] Deutsche[n]« ab dem 17. Lebensjahr, die »nicht zum Dienste in der bewaffneten Macht einberufen« waren, zum »vaterländischen Hilfsdienst« verpflichtete. Gemeint waren damit alle Arbeiten in »Behörden, behördlichen Einrichtungen, in der Kriegsindustrie, in der Land- und Forstwirtschaft, in der Krankenpflege, in kriegswirtschaftlichen Organisationen jeder Art oder in sonstigen Berufen oder Betrieben, die für Zwecke der Kriegführung oder der Volksversorgung unmittelbar oder mittelbar Bedeutung« hatten.

Vgl. RGBl. 1916, S. 1333 – 1339; Schubert-Weller, Militarisierung, S. 47 – 73, 288 – 326; Tauber, Schützengraben, S. 149 – 162.

die Eitelkeit muß herangezogen werden. Nicht die Eitelkeit auf schöne Kleider, die sich nicht jeder kaufen kann, sondern die Eitelkeit auf einen schönen, wohlgeformten Körper, den jeder mithelfen kann, zu bilden.

Auch für später ist dies zweckmäßig. Das Mädchen soll seinen Ritter kennen lernen#1937: kennen lernen ersetzt durch: kennenlernen.98 Würde nicht die körperliche Schönheit heute vollkommen in den Hintergrund gedrängt durch unser laffiges99 Modewesen, wäre die Verführung von Hunderttausenden von Mädchen durch krummbeinige, widerwärtige Judenbankerte100 gar nicht möglich.101 Auch dies ist im Interesse der Nation, daß sich die schönsten Körper finden und so mithelfen, dem Volkstum neue Schönheit zu schenken.

Heute wäre dies alles freilich am allernötigsten, weil die militärische Erziehung fehlt und damit die einzige Einrichtung ausgeschieden ist, die im Frieden wenigstens teilweise einholte, was durch unsere sonstige Erziehung versäumt wurde. Und auch dort war der Erfolg nicht nur in der Ausbildung des Einzelnen#1937: Einzelnen ersetzt durch: einzelnen an sich zu suchen, sondern in dem Einfluß, den er auf das Verhältnis der beiden Geschlechter untereinander ausübte. Das junge Mädchen zog den Soldaten dem Nichtsoldaten vor.

Der völkische Staat hat die körperliche Ertüchtigung nicht nur in den offiziellen Schuljahren durchzuführen und zu überwachen, er muß auch in der Nachschulzeit dafür Sorge tragen, daß, solange ein Junge in der körperlichen Entwicklung begriffen ist, diese Entwicklung zu seinem Segen ausschlägt. Es ist ein Unsinn, zu glauben, daß mit dem Ende der Schulzeit das Recht des Staates auf die Beaufsichtigung seiner jungen Bürger plötzlich aussetzt, um mit der Militärzeit wieder zu kommen#1944: wieder zu kommen ersetzt durch: wiederzukommen. Dieses Recht ist eine Pflicht, und als solche immer gleichmäßig vorhanden.102 Der heutige Staat, der kein Interesse an gesunden Menschen besitzt, hat nur diese Pflicht in verbrecherischer Weise außer acht gelassen. Er läßt die heutige Jugend auf Straßen und in Bordells#1937: Bordells ersetzt durch: Bordellen;
1939: Bordells verkommen103, statt sie an den#1944: den ersetzt durch: die Zügel zu nehmen und körperlich solange#1937: solange ersetzt durch: so lange weiter zu bilden#1937: weiter zu bilden ersetzt durch: weiterzubilden, bis eines Tages ein gesunder Mann und ein gesundes Weib daraus erwachsen sind.104

In welcher Form der Staat diese#1930: diese ersetzt durch: dieser;
1933: diese Erziehung weiterführt, kann