Die erste große Volksversammlung <span class="pagenumber">[387]</span>

195 Hitlers Konflikt mit Karl Harrer hatte mehrere Gründe. Keineswegs war Harrer jene schwache, der Propaganda abgeneigte Figur, als die ihn Hitler darstellte. Vielmehr drängten Harrer und Drexler seit September 1919 auf eine Neuausrichtung der DAP, zu der auch eine größere öffentliche Präsenz gehören sollte. Harrer stellte dabei im November 1919 den Druck von Materialien und sogar eines Programms in Aussicht. Wenngleich länderübergreifende Kontakte zu den Nationalsozialisten in Österreich und in der Tschechoslowakei vermutlich nur indirekt über Gottfried Feder bestanden (ein nicht näher zuzuordnendes Grußschreiben aus München an die Tagung dieser Gruppen in Wien Anfang Dezember 1919 trägt seine Handschrift), so hatte die DAP bereits in dieser Phase Verbindung zur Thule-Gesellschaft in München, zur Großdeutschen Freiheitspartei in Berlin sowie zur DsP und stand zudem unter starkem Einfluss des ungleich größeren DVSTB. Dieser reichte so weit, dass der Münchener Beobachter, der damals die DsP und den DVSTB favorisierte, Ende November 1919 Teile des Schriftverkehrs der DAP abwickelte. Eine völlig eigenständige Entwicklung, wie sie Hitler vorschwebte, war unter diesen Umständen kaum möglich.

Nachdem es vermutlich bereits zuvor zu Einigungsgesprächen zwischen Drexler und verschiedenen Münchner Splitterparteien gekommen war, ließ sich Harrer am 7. 12. 1919 auf Verhandlungen mit der DNVP ein. Auch wenn er einen formalen Zusammenschluss ablehnte, befürwortete Harrer doch eine weitgehende Kooperation, die auch die Propaganda einschließen sollte. Gerade dies musste Hitler treffen, der darauf nicht nur mit der Ausarbeitung eines eigenen Parteiprogramms reagierte, sondern auch die Forderung nach einer neuen Parteistruktur erhob, die den Einfluss Harrers eliminieren sollte. Der Konflikt verschärfte sich, als Harrer im Januar 1920 in einer Ausschusssitzung mit dem Vorwurf konfrontiert wurde, dass die Parteibücher nicht stimmen und Belege fehlen würden. Die von Hitler und der späteren NS-Geschichtsschreibung in den Vordergrund gestellte Auseinandersetzung über die erste große Massenversammlung vom 24. 2. 1920 spielte hingegen nur eine untergeordnete Rolle. Harrer konnte sich letztlich gegen Hitler und Drexler, der sich auf Hitlers Seite schlug, nicht behaupten und trat – nach den Angaben Anton Drexlers – am 5. 1. 1920 als Parteiführer zurück. Hitler selbst lehnte indes zum damaligen Zeitpunkt die Übernahme einer verantwortlichen Führungsfunktion noch ab. Nach Harrers Ausscheiden wurde der Ausschuss der Deutschen Arbeiterpartei, der nun die Partei leiten sollte, auf neun Personen vergrößert. Seine Besetzung wechselte danach in rascher Folge.

Vgl. StA München, Pol. Dir. München 6698 und 6708; StA München, Pol. Dir. 6721, 5; IfZ-Archiv, MA 747/1372: Schreiben Rudolf Schüßlers an das NSDAP-Hauptarchiv vom 20. 11. 1941 und Antragsliste vom 7. 1. 1920; BA Berlin, R 8005/26: Bericht Lindeiner-Wildaus; Münchener Beobachter vom 22. 10. 1919, [Inserat der DsP]; VB vom 27. 11. 1919, »Aus der Bewegung«; Deutsche Arbeiter-Presse (Wien) vom 24. 12. 1919, »Begrüßungsschreiben zum Parteitag«; Hitler, Reden, Bd. III/2, Dok. 62; Volz, Daten (1939), S. 5; Brandstötter, Riehl, S. 154 f., 160; Striesow, Volkspartei, Bd. 1, S. 300 f.; Tyrell, Trommler, S. 29 – 38; Maser, Sturm, S. 168 f.; Weißbecker, Partei, S. 547; Gilbhard, Thule-Gesellschaft, S. 243 – 245; Auerbach, Wurzeln, S. 66 – 68; Joachimsthaler, Weg, S. 259 – 266, 294; Kershaw, Hitler, Bd. 1, S. 185 – 189; Ohnezeit, Opposition, S. 107 f.; Jacob, Thule-Gesellschaft, S. 132 f.; Plöckinger, Soldaten, S. 146 f., 151 Anm. 58; Anm. 208 in diesem Kapitel.

197 Planung und Vorbereitung der Versammlung waren tatsächlich sehr kurzfristig. Allerdings war Hitlers Beitrag nicht annähernd so herausragend, wie er behauptet. Erst eine Einzelspende von 300 Mark in der Versammlung mit Dietrich Eckart und Anton Drexler am 5. 2. 1920 ließ die Zusammenkunft vom 24.  2. überhaupt möglich werden. Auch sonst waren die Voraussetzungen schwierig: Aufgrund einer Propagandaoffensive verschiedener völkischer Organisationen stand die DAP damals unter Zugzwang. So hielt der DVSTB am 7. 1. 1920 in München gleichzeitig zwei Massenversammlungen im Wagnerbräu und Kindl-Keller ab. Letztere lockte 6 – 7.000 Teilnehmer an, darunter auch Hitler und Gottfried Feder. Einer Versammlung des Deutschen Bunds mit Otto Ballerstedt vom 9. 1. 1920 wohnte wiederum Dietrich Eckart bei. Tumulte und Auseinandersetzungen bei diesen Versammlungen hatten zur Folge, dass am 12. 1.  öffentliche Veranstaltungen verboten wurden. Aufgrund zahlreicher Proteste (auch seitens der SPD) wurde das Verbot jedoch bereits am 9. 2.  wieder aufgehoben. Für die DAP stellte sich nun das Problem, selbst erstmals eine Massenversammlung organisieren zu müssen, wollte sie nicht in der Bedeutungslosigkeit versinken. Dies galt umso mehr, als sich zum ersten Jahrestag der Ermordung Kurt Eisners am 21. 2. 1920 linke, völkische und monarchistische Gruppen Münchens eine heftige Propagandaschlacht lieferten. Schon am 19. 2. fanden Versammlungen der Bayrischen Königspartei und des DVSTB im Löwenbräukeller statt, bei der der Berliner Antisemit Richard Kunze »vor tausenden von Zuhörern über den Staatsbankrott« sprach. Am 21. 2. wiederholte der DVSTB im Kindl-Keller diese Versammlung. Am selben Tag erschienen Tausende von Teilnehmern (die Zahlenangaben schwanken zwischen 6.000 und 40.000) am Ostfriedhof zu einer Gedenkfeier für Kurt Eisner. In dieser Situation entschloss sich die Führung der DAP zu einer großen Versammlung am 24. 2. 1920.  Hitler war daran zunächst nur am Rande beteiligt, da er am 19. 2.  zu einem Vortrag nach Passau gefahren war. Nach dem Bericht Johannes Dingfelders, Hauptredner der Versammlung vom 24. 2., waren es Anton Drexler und Rudolf Schüßler, die ihn am 20. 2.  in dieser Sache aufsuchten. Dingfelder erklärte sich offenbar umgehend bereit, seinen Vortrag »Was uns not tut!« – den er nach eigenen Angaben zuvor bereits fünfmal für den Heimatdienst Bayern gehalten hatte – auf der geplanten Versammlung erneut zum Besten zu geben. Am 21. 2. 1920 wurde die Veranstaltung im Völkischen Beobachter angekündigt, parallel dazu begannen die Abschlussarbeiten am Parteiprogramm. In den Ankündigungen der Versammlung war allerdings nur von Dingfelder die Rede; Hitler und das Programm wurden an keiner Stelle erwähnt.

Vgl. BayHStA, Kriegsarchiv, RWGrKdo 4, 288 und 417: Versammlungsberichte; StA München, Pol. Dir. 6697: Versammlungsbericht; BA Berlin, NS 26/1214: Erinnerungen Dingfelders; BA Berlin, RK B 35: Lebenslauf Drexlers vom 28. 3. 1939; Münchner Neueste Nachrichten vom 8. 1. 1920 (AA), »Die Judenfrage«; vom 12. 1. 1920, »Das Verbot öffentlicher politischer Versammlungen«; Münchener Post vom 12. 1. 1920, »Verbot der politischen Versammlungen!«; Münchener Zeitung vom 20. 2. 1920, »Die Königspartei«, »Staatsbankrott«; Münchener Post vom 20. 2. 1920, »Fühlhörner der Monarchisten«; VB vom 21. 2. 1920, »Aus der Bewegung«; Der Kampf vom 23. 2. 1920, »Totenfeier am Ostfriedhof«; Neue Zeitung vom 26. 2. 1920, »Rechtspflege im Freistaat Bayern«; Drexler, Erwachen, S. 12 f.; Eckart, Tagebuch, S. 496 – 499; Jäckel/ Kuhn (Hrsg.), Hitler, Dok. 71; Phelps, Drexler, S. 1138; Phelps, Hitler (1963), S. 276; Lohalm, Radikalismus, S. 294; Franz-Willing, Ursprung, S. 107; Plöckinger, Soldaten, S. 172 f.; Anm. 208, 216 in diesem Kapitel.

198 Seit April 1920 nahm die Zahl der NSDAP-Versammlungen zwar deutlich zu, dennoch blieben die angekündigten Themen in der Regel überaus allgemein und vermieden jeden tagespolitischen Bezug. Außer Hitler sprachen vor allem Anton Drexler und etliche Gastredner. Selbst Hitlers Angriffe gegen Otto Ballerstedt unter der Ankündigung »Reichszertrümmerer und Französlinge« waren wohl nur für Eingeweihte als Tagesaktualität zu erkennen (1919 hatte Ballerstedt die Schrift Großpreußen und Reichszertrümmerung veröffentlicht). Ende Februar 1922 sprach Hitler rückblickend von rund 90 Massenversammlungen der NSDAP, was im Wesentlichen den Angaben in der von der NSDAP geführten Ver-sammlungsliste entspricht.

Vgl. IfZ-Archiv, MA 733: Versammlungsliste; StA München, Pol. Dir. 6721: Versammlungsliste; StA München, Pol. Dir. 6698: Plakatverbot vom 8. 9. 1920; Jäckel/ Kuhn (Hrsg.), Hitler, Dok. 143, 363; Anm. 186 in diesem Kapitel.

Abneigung und Wut gegen uns. So durften wir also wohl darauf hoffen, bei unserer ersten großen Massenversammlung den Besuch unserer Freunde aus dem roten Lager im größten# 1930: im größten ersetzt durch: in größtem Umfange# 1930: Umfange ersetzt durch: Umfang;
1937: Umfange;
1939: Umfang;
1944: Umfange zu erhalten.

Auch ich war mir klar darüber, daß die Wahrscheinlichkeit einer Sprengung194 groß war. Allein der Kampf mußte eben ausgetragen werden, wenn nicht jetzt, dann einige Monate später. Es lag ganz bei uns, schon am ersten Tage# 1939: Tage ersetzt durch: Tag;
1944: Tage die Bewegung zu verewigen# 1930: gestrichen: zu verewigen durch blindes, rücksichtsloses Einstehen für sie# 1930: eingefügt: zu verewigen . Ich kannte vor allem die Mentalität der Anhänger der roten Seite# 1933: Seite ersetzt durch: Seiten;
1944: Seite nur zu gut, um nicht zu wissen, daß ein Widerstand bis zum äußersten am ehesten nicht nur Eindruck erweckt, sondern auch Anhänger gewinnt. Zu diesem Widerstand mußte man dann# 1926: gestrichen: dann eben entschlossen sein.

Der damalige erste Vorsitzende der Partei, Herr Harrer, glaubte meinen Ansichten in bezug auf den gewählten Zeitpunkt nicht beipflichten zu können und trat in der Folge als ehrlicher, aufrechter Mann von der Führung der Bewegung zurück.195 An seine Stelle rückte Herr Anton Drexler vor. Ich selber# 1944: selber ersetzt durch: selbst hatte mir die Organisation der Propaganda vorbehalten und führte diese nun auch rücksichtslos durch.196

So wurde nun# 1926: gestrichen: nun als Termin für die Abhaltung dieser ersten großen Volksversammlung der noch unbekannten Bewegung der 24. Februar 1920 bestimmt.

Die Vorbereitungen leitete ich persönlich. Sie waren sehr kurze# 1930: kurze ersetzt durch: kurz .197 Überhaupt wurde nun# 1926: gestrichen: nun der ganze Apparat darauf eingestellt, blitzschnelle Entscheidungen treffen zu können. Zu Tagesfragen sollte in Form von Massenversammlungen innerhalb vierundzwanzig Stunden Stellung genommen werden können# 1930: gestrichen: können .198 Die Ankündigung derselben sollte durch Plakate und Flugblätter stattfinden, deren Tendenz nach jenen Gesichtspunkten bestimmt wurde, die ich in meiner Abhandlung über Propaganda in groben Umrissen schon niedergelegt habe. Wirkung auf die breite Masse, Konzentration auf wenige Punkte, immerwährende Wiederholung derselben, selbstsichere und selbstbewußte Fassung des Textes in den Formen einer apodiktischen