Der Traum vom Weltfrieden <span class="pagenumber">[149]</span>

103 Auch dieser Gedanke findet sich bereits in Heinrich Claß’ berühmtem Pamphlet Wenn ich der Kaiser wärʼ (1912): »Das Bündnis mit Österreich-Ungarn hat für uns nur Wert, wenn dessen Heer stark und leistungsfähig ist; zerfällt das Heer infolge des weiteren inneren Zerfalles des Staates, so schwindet jedes Interesse an dieser Bundesgenossenschaft […].« Claß verteidigte also den Zweibund, allerdings nur unter Voraussetzungen, die in den Augen Hitlers nicht gegeben waren. Das Deutsche Reich, so Claß, müsse »zum Äußersten entschlossen« sein, »wenn Habsburg deutschfeindlich würde. Man kann ruhig das Schlagwort aussprechen: Der Habsburgerstaat wird deutschfreundlich sein, oder er wird nicht sein.« Es verdient Beachtung, dass auch die deutsche Reichsregierung am 15. 11. 1915 in einem Kommuniqué an ihren Bündnispartner die Sorge zum Ausdruck brachte, dass in Österreich seit Abschluss des Zweibunds im Jahr 1879 die »Vorherrschaft des Deutschtums vielfach Einbuße erlitten« habe; dem »germanische[n]« Element sei aber bei »Abschluß des Bundes« die »Führung« zugedacht gewesen. Da die Reichsregierung genau diese »Grundlage« des Bündnisses nun gefährdet sah, ohne dies näher zu erläutern, forderte sie die k. u. k. Regierung »dringend« auf, »in ihr geeignet scheinender Weise Vorkehrungen zu treffen, durch welche eine fortschreitende Slawisierung Österreichs verhindert und dem germanischen Element die im Interesse Österreichs als germanische Ostmark zukommende führende Stellung wieder zugewiesen« werde. Diese anmaßende Forderung wies die k. u. k. Regierung freilich entschieden zurück. Der Zweibund, so hieß es in einer Replik vom 24. 11. 1915, basiere nicht »auf der Grundlage der Vorherrschaft der Deutschen in Österreich und der Magyaren in Ungarn«, sondern auf der »Gesamtkraft und dem Gesamtwillen aller gleichberechtigten Bürger der beiden Staaten der Monarchie«. Indessen sei die Dominanz der Deutschen in Österreich nicht gefährdet und könne auch »nicht gefährdet werden«. Sie aber »gesetzmäßig dekretieren zu wollen«, wie von der deutschen Reichsleitung gefordert, »hieße dieser wichtigen Sache den schlechtesten Dienst erweisen«.

Vgl. Frymann, Kaiser, Zitate S. 165, 167 (Herv. i. Orig.); Sutter, Stellung, bes.S. 323 – 326, Zitate S. 324 f.; Kap. I/5, Anm. 34.

104 Eine haltlose Behauptung, wie sie sich etwa auch in Erich Ludendorffs Kriegserinnerungen (1919) findet. Darin heißt es, alle »deutsche[n] Regierungen« nach Bismarck hätten »überhaupt kein anderes großes außenpolitisches Ziel als die Erhaltung des Friedens« gehabt. Zwar hatte keiner der europäischen Staaten vor der Julikrise 1914 gezielt einen Angriffskrieg vorbereitet, sämtliche Staatsführungen akzeptierten aber den Krieg als ein Mittel der Politik. Auch gab es »bei den führenden Militärs in den kontinentaleuropäischen Mächten ein Denken in den Kategorien eines Präventivkrieges – nicht nur in Berlin und Wien, sondern auch in Paris und St. Petersburg«. Richtig daran ist, dass sich spätestens seit der Ersten Marokkokrise (1904 – 1906) die Möglichkeit eines großen europäischen Kriegs in naher Zukunft kaum mehr leugnen ließ. Das Deutsche Reich war hier – entgegen Hitlers Behauptung – keine Ausnahme; vielmehr lässt sich vor 1914 in der deutschen Politik bis hin zu Wilhelm II., wie auch in weiten Teilen der deutschen Presse und Publizistik, die (sozialdarwinistisch konnotierte) Überzeugung nachweisen, Kriege seien über kurz oder lang unvermeidlich und müssten daher in der Außenpolitik mit einkalkuliert werden. Vermutlich hatte Hitler vor allem den von 1909 bis 1917 amtierenden Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg vor Augen. Aufgrund seiner angeblichen Nachgiebigkeit und Schwäche als »Kriegskanzler« war Bethmann Hollweg in der deutschen Rechten allgemein verhasst. Vor allem der völkische Publizist Hans Freiherr von Liebig, dessen Schriften Hitler schätzte, attackierte Bethmann Hollweg seit 1915 in mehreren Veröffentlichungen auf das Schärfste.

Vgl. Ludendorff, Kriegserinnerungen, Zitat S. 287; Leonhard, Büchse, Zitat S. 119; Kap. I/5, Anm. 22; Kap. I/10, Anm. 216; Kap. II/2, Anm. 171. Zum deutschen Anteil am Ausbruch des Ersten Weltkriegs vgl. Kap. I/6, Anm. 39.

Hand zu schlagen# 1926: aus der Hand zu schlagen ersetzt durch: zu entreißen , dann durfte man wahrlich nicht erwarten, daß es jemals zu solch weitausschauenden und verwegenen Plänen die Hand bieten würde. Die Haltung des alten Reiches zur österreichischen Frage war der Prüfstein für sein Verhalten im Schicksalskampf der ganzen Nation.

Auf alle Fälle durfte man nicht zusehen, wie Jahr um Jahr das Deutschtum mehr zurückgedrängt wurde102, da ja der Wert der Bündnisfähigkeit Österreichs ausschließlich von der Erhaltung des deutschen Elements bestimmt wurde.103

Allein, man beschritt diesen Weg ja# 1937: gestrichen: ja; 1939: wieder eingefügt: ja überhaupt nicht.

Man fürchtete nichts so sehr als den Kampf, um endlich in der ungünstigsten Stunde dennoch zu ihm gezwungen zu werden.

Man wollte dem Schicksal enteilen und wurde von ihm ereilt. Man träumte von der Erhaltung des Weltfriedens und landete beim Weltkrieg.

Denn# 1930: Denn ersetzt durch: Und dies war der bedeutendste Grund, warum man diesen dritten Weg der Gestaltung einer deutschen Zukunft gar nicht einmal ins Auge faßte. Man wußte, daß die Gewinnung neuen Bodens nur im Osten zu erreichen war, sah den dann nötigen Kampf und wollte um jeden Preis doch den Frieden; denn die Parole der deutschen Außenpolitik hieß schon längst nicht mehr: Erhaltung der deutschen Nation auf allen Wegen als vielmehr: Erhaltung des Weltfriedens mit allen Mitteln.104 Wie dies dann gelang, ist bekannt.

Ich werde darauf noch besonders zurückkommen.

So blieb also noch die vierte Möglichkeit.

Industrie und Welthandel, Seemacht und Kolonien.

Eine solche Entwicklung war allerdings zunächst leichter und auch wohl schneller zu erreichen. Die Besiedelung# 1937: Besiedelung ersetzt durch: Besiedlung von Grund und Boden ist ein langsamer Prozeß, der oft Jahrhunderte dauert; ja darin ist ja# 1944: gestrichen: ja gerade seine innere Stärke zu suchen, daß es sich dabei nicht um ein# 1944: gestrichen: ein plötzliches Aufflammen, sondern um ein langsames# 1930: langsames ersetzt durch: allmähliches aber gründliches und andauerndes Wachsen handelt, zum Unterschiede von einer industriellen Entwicklung, die im Laufe weniger Jahre aufgeblasen werden kann, um dann aber auch mehr einer Seifenblase,