Das österreichische Ultimatum <span class="pagenumber">[168]</span>

20 Anspielung auf die zahlreichen Huldigungsadressen und Reden, die an Franz Joseph I. zu verschiedenen Anlässen gerichtet wurden, vor allem zu seinen Thronjubiläen und Geburtstagen. Der Kaiser blieb für die meisten Untertanen eine zentrale Identifikationsfigur, was jedoch nichts an den gravierenden ethnischen und politischen Spannungen in dem heterogenen Vielvölkerstaat änderte. Diese Spannungen manifestierten sich etwa beim Besuch der deutschen Bundesfürsten unter Führung Kaiser Wilhelms II. in Wien anlässlich des 60.  Thronjubiläums im Jahr 1908. Der Besuch löste heftige Kontroversen zwischen tschechischen und deutschsprachigen Medien aus; in Brünn kam es sogar zu öffentlichen Protesten und Ausschreitungen.

Vgl. Prager Tagblatt vom 8. 5. 1908, »Eine tschechische Stimme über die Fürstenhuldigung«; Unowsky, Pomp, S. 181 f.; Brix, Geschenke, S. 52; Kubíčkovà/ Nosková, Blutbad, S. 411.

21 Maria Theresia von Österreich (1717 – 1780), ab 1740 Erzherzogin von Österreich und Königin von Ungarn und Böhmen, seit 1745 Kaiserin. Hitler spielt hier auf den Österreichischen Erbfolgekrieg (1740 – 1748) an, der 1740 nach dem Tod von Kaiser Karl VI. ausbrach. Der österreichische Regent hinterließ keinen männlichen Erben, und trotz anderslautender Verträge (»Pragmatische Sanktion«) wurde die Erbfolge einer Frau von einigen Mächten nicht anerkannt. Ausgelöst wurde der Krieg, in den alle großen europäischen Mächte verwickelt waren, als der preußische König Friedrich der Große das zu Österreich gehörende Schlesien besetzen ließ. Das Ergebnis des Waffengangs war ambivalent: Maria Theresia wurde als Monarchin anerkannt; Preußen konnte jedoch seine schlesischen Eroberungen behalten und wurde zu einer europäischen Großmacht.

Vgl. Browning, War; Duchhardt, Balance, bes.S. 303 – 318; Schlie, Duell, S. 61 – 81; Kap. II/8, Anm. 16.

22 Die Vorstellung, der Krieg sei unvermeidbar, war vor dem Ersten Weltkrieg vor allem in bürgerlichen und aristokratischen Schichten weitverbreitet. Doch auch im Lager der sozialistischen Linken wich die grundsätzliche Ablehnung des Kriegs nicht selten einer fatalistischen Haltung. Zwar existierte eine breite pazifistische Strömung innerhalb der Arbeiterschaft, aber selbst überzeugte Kriegsgegner wie August Bebel zweifelten schließlich daran, dass sich ein Krieg verhindern ließe. Der deutsche Generalstabschef Helmuth von Moltke schrieb im Dezember 1911, fast alle europäischen Staaten würden einen großen Krieg erwarten und vorbereiten. Im folgenden Jahr erschien das einflussreiche Buch Deutschland und der nächste Krieg des Generals und Militärhistorikers Friedrich von Bernhardi, der davon überzeugt war, »daß wir den Krieg um unsere Weltstellung unter keinen Umständen vermeiden können«. Den Krieg lange hinauszuschieben, habe wenig Sinn; vielmehr müsse unter möglichst günstigen Bedingungen eine Entscheidung herbeigeführt werden. Am 8. 12. 1912 erklärte auch Moltke, er halte einen Krieg für unvermeidlich; je eher er stattfinde, desto besser. Diese Meinung vertrat auch Wilhelm von Stumm, der Leiter der politischen Abteilung im Auswärtigen Amt. Der Publizist Theodor Wolff notierte am 17. 2. 1915 in sein Tagebuch, er habe Stumm in Berlin getroffen und dieser habe ihm erklärt: »Wenn der Krieg nicht jetzt gekommen wäre, hätten wir ihn unter schlechteren Bedingungen in zwei Jahren gehabt.«

Kaiser Wilhelm II. betrachtete den Krieg gar als eine notwendige Auseinandersetzung der »Germanen« mit den Slawen – eine Deutung, die er aus der rechtsnationalen Presse übernommen hatte. Allerdings trat an die Stelle des Topos vom »unvermeidlichen Krieg«, der die Vorkriegszeit lange beherrschte hatte, in den Tagen unmittelbar vor Kriegsausbruch in der bürgerlichen Öffentlichkeit der Antitopos vom »vermeidbaren Krieg«: Bis zuletzt wurde die latente Kriegsbereitschaft von der Hoffnung überlagert, dass die Krise auch diesmal ohne Zusammenstoß der europäischen Großmächte vorübergehen würde, zumal es dem europäischen Mächtekonzert zwischen 1871 und 1914 immer wieder gelungen war, Krisen und Konflikte friedlich beizulegen oder sie zu begrenzen.

Vgl. Wolff, Tagebücher, Bd. 1, Zitat S. 166 f.; Bernhardi, Deutschland, Zitat S. 121; Chickering, Alldeutschen; Mommsen, Topos, S. 197 – 215; Geinitz/ Hinz, Augusterlebnis, S. 24 – 26; Nübel, Kriegserwartungen, S. 26 f.; Clark, Schlafwandler, S. 709 – 718.

23 Die Auffassung, Österreich-Ungarn habe im Sommer 1914 außenpolitisch keine andere Wahl gehabt und man könne daher der Regierung in Wien ihr Ultimatum nicht vorhalten, wurde während der Kriegsschulddebatte in der Weimarer Republik von prominenten Historikern, Politikern und Militärs vertreten, etwa von Maximilian Graf von Montgelas oder Hans Delbrück. Letzterer schrieb 1924: »Mit einer bloßen Züchtigung Serbiens war Österreich nicht gedient und durfte es sich nicht begnügen, sondern was es wollte und wollen mußte, war die Beseitigung oder wenigstens wesentliche Einschränkung der Gefahr, mit der das serbische Treiben Österreich am Leben bedrohte. […] Es trifft deshalb nicht die Sache, wenn man dem österreichischen Ultimatum vorwirft, daß es zu scharf gewesen sei. Die Österreicher wollten ja, daß es zu scharf sei, und richtig formuliert müßte der Vorwurf, wenn es einer ist, lauten, daß Österreich die kriegerische Aktion gegen Serbien hätte unterlassen sollen. Ob das Ultimatum etwas mehr oder weniger scharf war, war sachlich gleichgültig.«

Vgl. Montgelas, Leitfaden, S. 98; Merkblatt zur Kriegsschuldfrage, S. 11; Delbrück, Stand, Zitat S. 309 f.; Anm. 17 in diesem Kapitel.

preisung versteckt lauerte, vermochte man nicht herauszufinden. Man sah nicht, oder wollte vielleicht auch dort nicht mehr sehen, daß je mehr die Monarchie nur mehr# 1930: mehr ersetzt durch: noch auf die überragende Regierungskunst, wie man sich auszudrücken pflegte, dieses »weisesten Monarchen« aller Zeiten eingestellt war, um so katastrophaler aber auch# 1926: gestrichen: aber auch die Lage werden mußte, wenn eines Tages auch hier das Schicksal an die# 1939: die ersetzt durch: der;
1944: die Türe pochte, um seinen Tribut zu holen.20

War denn dann# 1930: gestrichen: denn dann das alte Österreich ohne den alten Kaiser# 1930: eingefügt: dann überhaupt noch denkbar?!

Würde sich nicht sofort die Tragödie, die einst Maria Theresia getroffen# 1926: getroffen ersetzt durch: betroffen hatte, wiederholt haben?21

Nein, man tut den Wiener Regierungskreisen wirklich Unrecht# 1937: Unrecht ersetzt durch: unrecht;
1939: Unrecht;
1944: unrecht , wenn ihnen der Vorwurf gemacht wird, daß sie nun zum Kriege trieben, der sonst vielleicht doch noch zu vermeiden gewesen wäre. Er war nicht mehr zu vermeiden, sondern konnte höchstens noch ein oder zwei Jahre hinausgeschoben werden. Allein dies war ja der Fluch der deutschen sowohl als auch der österreichischen Diplomatie, daß sie eben immer schon versucht hatte, die unausbleibliche Abrechnung hinauszuschieben, bis sie endlich gezwungen war, zu der ungünstigen# 1933: ungünstigen ersetzt durch: ungünstigsten;
1944: unglücklichsten Stunde zu schlagen# 1937: zu schlagen ersetzt durch: loszuschlagen;
1939: zu schlagen;
1944: loszuschlagen . Man kann überzeugt sein, daß ein nochmaliger Versuch, den Frieden zu retten, den Krieg zu noch ungünstigerer Zeit erst recht gebracht haben würde.22

Nein, wer diesen Krieg nicht wollte, mußte dann# 1930: gestrichen: dann auch den Mut aufbringen, die Konsequenzen zu ziehen. Diese aber hätten nur in der Opferung Österreichs bestehen können. Der Krieg wäre auch dann noch gekommen, allein wohl nicht mehr als ein# 1933: gestrichen: ein Kampf gegen alle# 1930: Kampf gegen alle ersetzt durch: Kampf aller gegen uns , dafür jedoch in der Form einer Zerreißung der Habsburgermonarchie# 1939: Habsburgermonarchie ersetzt durch: Habsburger-Monarchie;
1944: Habsburgermonarchie . Dabei mußte man sich dann entschließen, mitzutun oder eben zuzusehen, um mit leeren Händen dem Schicksal seinen Lauf zu lassen.23

Gerade diejenigen aber, die heute über den Beginn des Krieges am allermeisten fluchen und am weisesten urteilen, waren diejenigen, die am verhängnisvollsten mithalfen, in ihn hineinzusteuern.

Die Sozialdemokratie hatte seit Jahrzehnten die schurkenhafteste Kriegshetze gegen Rußland getrieben, das Zentrum aber# 1930: eingefügt: hatte aus reli-