Die geistige Pestilenz des Judentums <span class="pagenumber">[58]</span>

180 Um 1910 hatte Wien knapp über zwei Millionen Einwohner, davon rund 175.000 Juden (8,6 % der Gesamtbevölkerung). Bis zur Jahrhundertwende waren jüdische Migrantinnen und Migranten vor allem aus Ungarn, Rumänien, Böhmen und Mähren nach Wien gekommen, danach zog es insbesondere galizische Juden in die Hauptstadt. Die meist mittellosen, religiös geprägten Zuwanderer ließen sich hauptsächlich in den Bezirken Leopoldstadt, Alsergrund und Brigittenau (wo auch das Männerwohnheim Meldemannstraße lag, in dem Hitler seit 1910 lebte) nieder. Die Armut und häufig auch Verwahrlosung der Ostjuden förderten zusätzlich antisemitische Ressentiments. Auch das jüdische Bürgertum vor Ort distanzierte sich vom ostjüdischen Proletariat. Dennoch wurden auch die »Westjuden« von antisemitischer Seite nun als »Ostjuden in Verkleidung« diffamiert. Die größte Zuwanderung galizischer Juden erlebte Wien, als Hitler schon nach München gezogen war; im Kriegsjahr 1915 befanden sich etwa 77.090 jüdische Flüchtlinge in Wien, die vor der vorrückenden russischen Front geflohen waren. Um sie kümmerten sich fast ausschließlich lokale jüdische Wohltätigkeitseinrichtungen.

Vgl. Rozenblit, Juden, S. 20 – 32; Sauberer, Bevölkerungsentwicklung, S. 116; Rozenblit, Identity, S. 59 – 81; Triendl-Zadoff, Jahr, S. 96 – 105; Staudinger, Fremde, S. 42 – 49; Leonhard, Büchse, S. 292 – 294; Anm. 150, 177 in diesem Kapitel; Kap. II/2, Anm. 19.

181 Der antisemitische Topos, Juden seien schmutzig und würden schlecht riechen, lässt sich schon im Mittelalter nachweisen. Im 19. Jahrhundert wurden vermehrt angeblich »rassentypische« jüdische Eigenschaften beschrieben, wie etwa die Anfälligkeit oder Immunität für bestimmte Krankheiten. Auch die strengen religiös begründeten Hygienevorschriften des Judentums wurden von Antisemiten thematisiert. In zahlreichen antisemitischen Schriften wurde außerdem auf eine angebliche, »rassenspezifische« moralische Minderwertigkeit verwiesen, die eine Integration der Juden in die deutsche Gesellschaft unmöglich mache und auch durch die Taufe nicht aufgehoben werden könne. So heißt es etwa in der Broschüre Der Antisemitismus und die ethische Bewegung, die der Nationalökonom Eugen Dühring, einer der Begründer des modernen Rassenantisemitismus, 1893 anonym veröffentlichte: »Nicht die Moral macht die Juden schlecht, sondern die Juden machen die schlechte Moral und werden sie immer produzieren, und als Produzenten dieser schlechten Moral sind sie aus der Gemeinschaft der besseren Völker auszuschließen – das ist der Kern der Judenfrage.«

Vgl. Dühring, Antisemitismus, Zitat S. 26 (Herv. i. Orig.); Pulzer, Wiederkehr, S. 193 – 200; Efron, Jude, S. 75 – 85; Pulzer, Entstehung, S. 112; Wladika, Vätergeneration, S. 60; Anm. 150 in diesem Kapitel; Kap. I/11, Anm. 182.

182 Als eine herausragende Blütezeit kulturellen Schaffens wurde die Wiener Moderne (zwischen 1890 und 1910) in bildender Kunst, Literatur, Theater, Presse und Wissenschaft in vielfältiger Weise von – nicht selten getauften – Österreichern jüdischer Abstammung geprägt. Ihre außergewöhnlichen künstlerischen Leistungen, die häufig außerhalb des etablierten Kunstbetriebs entstanden, können auch damit erklärt werden, dass ihnen klassische Karrieren häufig verschlossen blieben. Allein die Arbeit in den freien Berufen bot Freiräume. Satirisch reflektiert wurde die große jüdische Präsenz im öffentlichen Leben Wiens im Roman Stadt ohne Juden (1922) des jüdischen – zum evangelischen Glauben konvertierten – Publizisten Hugo Bettauer, der im März 1925 von einem NSDAP-Anhänger ermordet wurde. Bettauer amüsiert sich in seinem Roman nicht zuletzt über den Neid der Antisemiten und entwirft ein dystopisches Szenario, in dem alle Juden aus Wien vertrieben werden und die Grandeur der Stadt verschwindet – bis die Vertriebenen schließlich zur Rückkehr aufgefordert werden.

Vgl. Bettauer, Stadt; Schorske, Wien; Spiel, Glanz; Brandstätter (Hrsg.), Wien.

183 Ähnlich heißt es in dem Aufsatz Der Antisemitismus im Vorschreiten, den Eugen Dühring 1893 anonym veröffentlichte: »Es ist auch sehr vieles in den Verhältnissen des eigenen Volkes faul geworden. Dagegen muß man auch angehen, wenn man wirklich etwas erreichen will, und leuchtet man nur recht in die eignen faulen Verhältnisse hinein, so wird man auch immer den Juden antreffen und ihn so sicher packen können.« Der vorliegende Satz von Mein Kampf wurde schon zeitgenössisch zum Gegenstand des Spotts politischer Gegner. In dem Aufsatz »Hitlers Deutsch«, der 1932 in der Zeitschrift Die Weltbühne erschien, mokierte sich der Autor Heinz Horn: »So schön an sich diese reiche Bildersprache ist, läßt sie einen doch nicht recht erkennen, wer da eigentlich vom plötzlichen Lichte geblendet ist: die Made, das Jüdlein oder der kühne Chirurg höchstpersönlich. Außerdem ist dem Dichter bei diesem Vergleich leider entgangen, daß die Made im Leibe ist, weil er faulig ist, und nicht etwa der Leib deshalb fault, weil die Made darin ist.«

Vgl. Dühring, Antisemitismus, Zitat S. 39; Horn, Deutsch, Zitat S. 501. 

184 Der Topos der »Verjudung« von Kunst, Theater, Literatur, Film und Presse war in antisemitischen Schriften der 1920er Jahre omnipräsent. Den »Einbruch der Juden auf literarischem und künstlerischem Gebiet«, gerade in die Bereiche Theater und Kino, beklagte etwa Gottfried Feder in seiner Schrift Der Deutsche Staat auf nationaler und sozialer Grundlage (1923), die Hitler in einem Geleitwort als den »Katechismus« der NS-Bewegung bezeichnete. Das »Lüstlings- und Wüstlingsdrama«, so Feder, beherrsche die deutschen Bühnen und »mit zersetzender und geistreicher Dialektik« werde »dem braven Deutschen vorgeredet, daß Moral und Sittlichkeit, Ehre und Gewissenhaftigkeit im Grunde lauter dummes Zeug sei, ohne das man es viel weiter bringe«. Antisemitische Ideologen schreckten gar vor der Behauptung nicht zurück, das Judentum sei zu Kunst und Kreativität nicht fähig. So hieß es in der Hetzschrift Judas Schuldbuch (1919): »Juda, das selbst keine Kultur besitzt, sondern nur von der Kultur der anderen lebt,« habe »im weltbürgerlichen Deutschland seine besten Geschäfte gemacht.«

Vgl. Fritsch (Hrsg.), Handbuch, bes.S. 369 – 402, 450 – 482; Meister, Schuldbuch (^3/41919), Zitat S. 34 (Herv. i. Orig.); Feder, Staat (1924), Zitate S. 3, 60.  Zum Topos der »verjudeten« Presse vgl. Kap. I/10, Anm. 83. Zur Vorstellung, das Theater sei durch jüdischen Einfluss »vergiftet« worden, vgl. Kap. I/10, Anm. 136.

185 Das Kino galt vielen bürgerlichen Kritikern als billiges Massenvergnügen der unteren Gesellschaftsschichten. Dabei spielten Juden in Wien als Besitzer von Kinos und als Eigentümer von Filmverleihunternehmen eine bedeutende Rolle: 50 % der Wiener Kinos und 90 % der Verleihunternehmen wurden von Juden betrieben. Unter der Regie des jüdischen Filmregisseurs Michael Curtiz, der 1944 den Academy Award für die beste Regie im Film Casablanca erhielt, entstanden in Wien die biblischen Monumentalfilme Sodom und Gomorrha (1922) und Die Sklavenkönigin (1924). Außerdem gab es einige frühe österreichische Filmstars jüdischer Herkunft, etwa Joseph Schildkraut und Franz Lederer. Auch jüdische Autoren zeigten sich an dem neuen Medium Film interessiert und verfassten selbst Drehbücher. So etwa Arthur Schnitzler, der sein bereits längere Zeit im Theater aufgeführtes Gesellschaftsdrama Liebelei zu einem Drehbuch umarbeitete, welches 1913/14 verfilmt wurde. 1923 wurde Schnitzlers Liebesdrama Der junge Medardus von Michael Curtiz verfilmt. Die offensive Werbung für den frühen Stummfilm empörte übrigens auch Alfred Döblin im Jahr 1909: »Grelle Lampen locken über die Straße; in ihrem Licht sieht man meterhohe bunte Plakate vor der Türe hängen, eine Riesenorgel tobt: ›Eine Mordtat ist geschehen.‹ Den Korridor zum Saale füllen ausgestopfte Untiere hinter Glas, Vergnügungsautomaten. […] Einfach wie die reflexartige Lust ist der auslösende Reiz: Kriminalaffären mit einem Dutzend Leichen, grauenvolle Verbrecherjagden drängen einander; dann faustdicke Sentimentalitäten […].«

Vgl. Döblin, Theater, Zitat S. 38; Kaes (Hrsg.), Kino-Debatte, S. 1 – 36; Vögl, Kino; Anm. 74 in diesem Kapitel; Kap. I/10, Anm. 137.

Überhaupt war die sittliche und sonstige Reinlichkeit dieses Volkes ein Punkt für sich. Daß es sich hier um keine Wasserliebhaber handelte, konnte man ihnen ja schon am Äußeren ansehen, leider sehr oft sogar bei geschlossenem Auge. Mir wurde bei dem Geruche dieser Kaftanträger179 später manchmal übel. Dazu kam[en]# 1944: kam ersetzt durch: kamen dann# 1930: gestrichen: dann noch die unsaubere Kleidung und die wenig heldische Erscheinung.180

Dies alles konnte vielleicht# 1930: vielleicht ersetzt durch: schon nicht sehr anziehend wirken; abgestoßen mußte man aber werden, wenn man von der körperlichen Unsauberkeit weg# 1930: von der körperlichen Unsauberkeit weg ersetzt durch: über die körperliche Unsauberkeit hinaus plötzlich die moralischen Schmutzflecken des auserwählten Volkes entdeckte.181

Nichts hatte mich in kurzer Zeit so nachdenklich gestimmt als die langsam aufsteigende Einsicht in die Art der Betätigung der Juden auf gewissen Gebieten.

Gab es denn da einen Unrat, eine Schamlosigkeit in irgendeiner Form, vor allem des kulturellen Lebens, an der nicht wenigstens ein Jude beteiligt gewesen wäre?182

Sowie man nur vorsichtig in eine solche Geschwulst hineinschnitt, fand man, wie die Made im faulenden Leibe, oft ganz geblendet vom plötzlichen Lichte, ein Jüdlein.183

Es war eine schwere Belastung, die das Judentum in meinen Augen erhielt, als ich seine Tätigkeit in der Presse, in Kunst, Literatur und Theater kennenlernte.184 Da konnten nun alle salbungsvollen Beteuerungen wenig oder nichts mehr nützen. Es genügte schon, eine der Anschlagsäulen zu betrachten, die Namen der geistigen Erzeuger dieser gräßlichen Machwerke für Kino185 und Theater186, die da angepriesen wurden, zu studieren, um auf längere Zeit hart zu werden. Das war Pestilenz, geistige Pestilenz, schlimmer als der schwarze# 1944: schwarze ersetzt durch: Schwarze Tod von einst, mit der man da# 1939: gestrichen: da; 1944: wieder eingefügt: da das Volk infizierte. Und in welcher Menge dabei dieses Gift erzeugt und verbreitet wurde! Natürlich, je niedriger das geistige und sittliche Niveau eines solchen Kunstfabrikanten ist, um so unbegrenzter aber# 1944: aber ersetzt durch: ist seine Fruchtbarkeit, bis so ein Bursche schon mehr wie eine Schleudermaschine seinen Unrat der anderen Menschheit ins Antlitz spritzt. Dabei bedenke man noch die Unbegrenztheit ihrer Zahl187; man bedenke, daß auf einen Goethe die Natur immer noch leicht zehntausend solcher