6. Kapitel
Kriegspropaganda

Hitler wollte dem Thema »Kriegspropaganda« ursprünglich kein eigenes Kapitel widmen. Die vorhandenen Entwürfe legen nahe, dass seine Ausführungen zu diesem Thema ursprünglich in das Kapitel Der Weltkrieg (I/5) einfließen sollten.1 Ein eigenes Kapitel mit der Überschrift »Kriegspropaganda« entwarf Hitler vermutlich erst im März/April 1925, als er sein Buch neu strukturierte. Da der Umfang der Kapitel I/5 und I/6 zusammengenommen noch weit hinter den längsten Kapiteln des Buchs zurückbleibt, dürften es vor allem inhaltliche und strukturelle Überlegungen gewesen sein, die Hitler zu dieser Zweiteilung bewogen haben.2 Während der 1920er Jahre gab es in Deutschland ein großes, anhaltendes Interesse am Thema Propaganda3 sowie an der Frage, wie stark diese den Ausgang des Ersten Weltkriegs beeinflusst habe. Ähnlich wie zahlreiche andere Autoren der damaligen deutschen Rechten überzeichnet auch Hitler völlig die Wirkung der Propaganda für den Kriegsausgang.4

Neben seinen eigenen Beobachtungen im Ersten Weltkrieg5 und während der Münchner Räterepublik konnte Hitler Mitte der 1920er Jahre auf mehrere thematisch einschlägige Veröffentlichungen zu dem Thema zurückgreifen. Deren große inhaltliche Überschneidungen machen es jedoch schwer, Hitlers Quellen genau zu bestimmen. Deutliche Parallelen lassen sich etwa zu der 1923 erschienenen Schrift Propaganda, Agitation, Reklame des Berliner Publizisten Gerhard Schultze Pfaelzer (1891 – 1952) erkennen, ebenso zum damaligen Standardwerk Die Reklame des Wiener Nationalökonomen Victor Mataja (1857 – 1934), das 1920 die dritte Auflage erreichte. Genannt werden muss zudem die seit 1908 in deutscher Übersetzung vorliegende Studie Psychologie der Massen des französischen Arztes und Soziologen Gustave Le Bon (1841 – 1931).6 Dass Hitler – ebenso wie Joseph Goebbels7 – die strukturelle Verwandtschaft von kommerzieller Reklame und politischer Propaganda erkannte, steht außer Frage. Dies zeigt nicht zuletzt dieses Kapitel, in dem Hitler die Begriffe »Propaganda« und »Reklame« mehrfach synonym verwendet.

Anders als die Überschrift vermuten lässt, finden sich in diesem Kapitel keineswegs alle Überlegungen Hitlers zur Kriegspropaganda. Auch im anschließenden Kapitel Die Revolution (I/7) nimmt Hitler ausführlich zu diesem Thema Stellung. Schon im Kapitelentwurf sind Hitlers Überlegungen zu Adressaten, Zielen und Nutzen der Propaganda auffällig detailliert, was vermuten lässt, dass er sich im Vorfeld der Niederschrift von Mein Kampf erstmals gezielt mit entsprechenden Grundsatzfragen beschäftigte. Das fertige Kapitel weicht in seiner Struktur von der Entwurfsskizze nicht mehr ab; einzelne Formulierungen bis hin zu ganzen Sätzen sind hieraus wörtlich übernommen.8