Die erste Zirkusversammlung <span class="pagenumber">[145]</span>

119 Hitlers Rede richtete sich gegen die Pariser Konferenz des Obersten Rats der Alliierten vom 24. – 29. 1. 1921, auf der die deutsche Reparationsschuld vorläufig auf 226 Milliarden Goldmark festgelegt worden war. Hitler polemisierte gegen die angebliche Unredlichkeit Großbritanniens und Frankreichs und rief das Publikum zum geschlossenen Protest gegen die Reparationsbestimmungen auf, um so der »Reichsregierung zum klaren Bewußtsein [zu] bringen, daß es diesmal kein Verhandeln« gäbe. Nach einem Bericht der Münchner Neuesten Nachrichten vom 4. 2. 1921 forderte die Versammlung dann in einer gemeinsamen »Entschließung« von der Reichsregierung den Abbruch aller Verhandlungen mit der Entente und »die sofortige Abhaltung eines Volksreferendums« über die Annahme der Pariser Bestimmungen. Andernfalls solle das deutsche Volk »in den nationalen Generalstreik […] treten«.

Vgl. Münchner Neueste Nachrichten vom 4. 2. 1921, »Proteste gegen das Pariser Diktat«; Jäckel/ Kuhn (Hrsg.), Hitler, Dok. 193, Zitat S. 312; Anm. 109 in diesem Kapitel.

121 Nach dem Ende der Versammlung versuchte die NSDAP, »abends 10 Uhr eine Demonstration durch die Stadt zu veranstalten«, wie die Polizei festhielt: »Es bildete sich tatsächlich ein größerer Zug, der erst nach Vornahme einer umfangreichen Gegenmaßnahme zerstreut werden konnte. Am gleichen Abend versuchten Nationalsozialisten beim Bekanntwerden der Pariser Beschlüsse die Einstellung von Tanzveranstaltungen im Deutschen Theater und in der Bobonnière zu erzwingen. Die Ansammlungen vor den Lokalen wurden sofort zerstreut.« Zuvor war aufgrund der politischen Entwicklungen ein wenig beachtetes »Faschingsverbot« erlassen worden, dessen Einhaltung die NSDAP erzwingen wollte. Blamabel für das Ministerium des Innern war, dass die Demonstranten auch an einem Hotel vorbeizogen, in dem Mitglieder der Entente-Kommission untergebracht waren. Ob sich Hitler dem Protestmarsch anschloss oder nicht, ist unbekannt. Möglicherweise ist seine Bemerkung in Mein Kampf als eine Art Insiderwitz zu verstehen, da Besucher von NSDAP-Versammlungen oft augenzwinkernd dazu aufgefordert wurden, sich nach Ende der Versammlung brav und geordnet nach Hause zu begeben. Die Polizei nahm dies als eine Provokation wahr, wie ein interner Bericht belegt: Es stehe »außer Zweifel, daß die an Versammlungsteilnehmer gerichtete Auf‌forderung gewisser Redner, nach Schluß der Versammlung nach Hause zu gehen und keine Kundgebungen zu veranstalten, häufig nichts anderes als eine Geste ist, die dazu dient, die Verantwortung für das Kommende von den Veranstaltern abzuleiten«.

Vgl. BayHStA, MInn 71712: Schreiben des bayerischen Innenministeriums vom 11. 2. 1921; StA München, Pol. Dir. München 6708: Überblick der Polizeidirektion München vom 23. 9. 1923; Münchener Zeitung vom 4. 2. 1921, »Das Faschings-Verbot«; VB vom 6. 2. 1921, »Massenkundgebung der nationalsozialistischen D.A.P. gegen das Pariser Diktat«; Martynkewicz, Salon, S. 379 f.

Neugierige, auch viele Gegner darunter, die die Ereignisse außen abwarten wollten.

Als ich die mächtige Halle betrat, erfaßte mich die gleiche Freude, wie ein Jahr vordem in der ersten Versammlung im Münchner#1930: Münchner ersetzt durch: Münchener Hofbräuhausfestsaal. Aber erst nachdem ich mich durch die Menschenmauern hindurchgedrückt und das hochgelegene Podium erreicht hatte, sah ich den Erfolg in seiner ganzen Größe. Wie eine Riesenmuschel lag dieser Saal vor mir, angefüllt mit Tausenden und Tausenden von Menschen. Selbst die Manege war schwarz besetzt. Über fünftausendsechshundert Karten waren ausgegeben worden, und rechnete man die gesamte Zahl der Arbeitslosen, der armen Studenten und unsere Ordnungsmannschaften mit ein, so dürften etwa sechseinhalbtausend Personen dagewesen sein.118

»Zukunft oder Untergang«119 lautete das Thema, und mir jubelte das Herz auf angesichts der Überzeugung, daß die Zukunft da unten vor mir lag.

Ich begann zu sprechen und redete gegen zweieinhalb Stunden, und das Gefühl sagte mir schon nach der ersten halben Stunde, daß die Versammlung ein großer Erfolg werden würde. Die Verbindung zu all diesen tausend einzelnen war hergestellt. Schon nach der ersten Stunde begann der Beifall in immer größeren spontanen Ausbrüchen mich zu unterbrechen, um nach zwei Stunden wieder abzuebben und in jene weihevolle Stille überzugehen, die ich später in diesem Raume so oft und oft erlebt habe und die jedem einzelnen wohl unvergeßlich bleiben wird. Man hörte dann kaum mehr als den Atemzug dieser Riesenmenge, und erst als ich das letzte Wort gesprochen, brandete es plötzlich auf, um in dem in höchster Inbrunst gesungenen »Deutschland«-Lied#1937: »Deutschland«-Lied ersetzt durch: Deutschlandlied;
1939: »Deutschland«-Lied120 seinen erlösenden Abschluß zu finden.

Ich verfolgte es noch, wie sich langsam der Riesenraum zu leeren begann und ein ungeheures#1939: ungeheures ersetzt durch: ungeheueres Menschenmeer durch den gewaltigen mittleren Ausgang fast zwanzig Minuten lang hinausdrängte. Erst dann verließ ich selbst, überglücklich, meinen Platz, um mich nach Hause zu begeben.121

Von dieser ersten Versammlung im Zirkus Krone zu München