Erst Weltanschauungskampf, dann Befriedigung des Einzelnen <span class="pagenumber">[258]</span>

38 Anspielung auf die verschiedenen »Siedlungs-Bewegungen«, die nach 1918 in Deutschland entstanden. Nach mehreren Anläufen wurde ihnen vom Reichstag im Juli 1926 finanzielle Unterstützung in Höhe von 120 Millionen Mark bewilligt, was zu einem vorübergehenden Aufschwung führte. Wesentliches Ziel dieser Bewegungen war die von Hitler im Kapitel München (I/4) abgelehnte »Innere Kolonisation«. Unterstützt wurde diese von politischen Organisationen wie dem ADV und auch von der Reichswehr. Hitler selbst hatte bereits im Sommer 1919 Kontakt zur Siedlungsgemeinschaft Neu-Deutschland, die Jörg Lanz von Liebenfels nahestand und die, wie zahlreiche andere Bewegungen dieser Art, eine rassistische Ideologie vertrat. Zu einer der einflussreichsten Bewegungen entwickelte sich die vom völkischen Schriftsteller Willibald Hentschel inspirierte und seit 1926 durch verschiedene Vereinsgründungen ausgebaute Artamanen-Bewegung, die ihren Ursprung in der bündischen Jugendbewegung des Kaiserreichs hatte. Sie teilte deren antistädtische und antiintellektuelle Ressentiments und verknüpfte die Forderung nach einem freiwilligen Arbeitsdienst mit ihren Siedlungsbestrebungen. Seit 1925 wurden die Kontakte zwischen den Artamanen und der NSDAP immer enger. Zahlreiche Nationalsozialisten waren Mitglieder bei den Artamanen, unter ihnen Heinrich Himmler, Walther Darré und Rudolf Höß. Hitler selbst blieb hingegen skeptisch. Daran konnte auch ein persönliches Schreiben des führenden Artamanen-Funktionärs Hans Holfelder, selbst NSDAP-Mitglied, vom Juni 1927 nichts ändern, der bei Hitler um Verständnis und Unterstützung für seine Bewegung warb.

Vgl. Tanzmann (Hrsg.), Handbuch; Gayl, Organisation; Rosikat, Ideal; Kater, Artamanen, 577 f., 611 – 616; Schmitz, Artamanen, S. 38 – 52, 70 – 75; Brauckmann, Artamanen; Breuer, Völkischen, S. 218 – 221; Longerich, Himmler, S. 138; Leicht, Claß, S. 271 f.; Plöckinger, Soldaten, S. 141 – 143. Zum Konzept der »Inneren Kolonisation« vgl. Kap. I/4, Anm. 52.

40 Bis zur Revolution im November 1918 hatten sich die Gewerkschaften mit dem wilhelminischen Obrigkeitsstaat im Großen und Ganzen arrangiert. Gleichwohl zählte die Schaffung einer freien, demokratischen Gesellschaft weiterhin zu ihren politischen Zielen. Während des Ersten Weltkriegs zielte ihre Politik auf arbeitnehmerfreundliche Reformen als Gegenleistung für ihre Unterstützung der Kriegsanstrengungen. Entsprechend fanden die verschiedenen Streiks seit 1917 nicht auf Initiative der Gewerkschaften statt, sondern meist gegen deren Willen. Ihre Strategie des »Reformismus« hielten die Gewerkschaften auch im Herbst 1918 aufrecht. Die Passage ist ein Rekurs auf die gängige, von Hitler übernommene, völkische Perzeption der Gewerkschaften, wonach diese – anders als die Sozialdemokratie – nicht unter jüdischer Führung stünden.

Vgl. Schönhoven, Gewerkschaften (1987b), S. 111 – 115; Potthoff, Gewerkschaften (1987), S. 238; Anm. 9 in diesem Kapitel.

werden sie sich bloß dieser Aufgabe widmen und keine Zeit mehr erübrigen zum politischen Kampf gegen diejenigen, die ihnen so oder so eines Tages die ersparten Groschen wieder abzunehmen gedenken. Statt im politischen Kampf zu ringen für die gewonnene Einsicht und Überzeugung, gehen sie dann nur mehr in ihren »Siedelungs«-Gedanken#1933: »Siedelungs«-Gedanken ersetzt durch: »Siedlungs«-Gedanken;
1937: »Siedlungs«-gedanken [sic!];
1939: »Siedlungs«-Gedanken;
1944: »Siedlungs«gedanken38 auf und sitzen am Ende meistens zwischen allen Stühlen.

Die nationalsozialistische Bewegung steht heute am Beginn ihres Ringens. Zum großen Teil muß sie erst ihr weltanschauliches Bild formen und vollenden.39 Sie hat mit allen Fasern ihrer Energie für die Durchsetzung ihrer großen Ideale zu streiten, und ein Erfolg ist nur denkbar, wenn die gesamte Kraft restlos in den Dienst dieses Kampfes tritt.

Wie sehr aber die Beschäftigung mit nur wirtschaftlichen Problemen die aktive Kampfkraft lähmen kann, sehen wir gerade heute in einem klassischen Beispiel vor uns:

Die Revolution des November#1939: November ersetzt durch: Novembers;
1944: November 1918 wurde nicht von Gewerkschaften gemacht, sondern setzte sich gegen diese durch.40 Und das deutsche Bürgertum führt um die deutsche Zukunft keinen politischen Kampf, weil es diese Zukunft in der aufbauenden Arbeit der Wirtschaft genügend gesichert vermeint.41

Wir sollten aus solchen Erfahrungen lernen; denn auch bei uns würde es nicht anders gehen. Je mehr wir die gesamte Kraft unserer Bewegung zum politischen Kampf zusammenballen, um so eher werden wir auf Erfolg auf der ganzen Linie rechnen dürfen; je mehr wir uns aber vorzeitig mit Gewerkschafts-, Siedelungs-#1937: Siedelungs- ersetzt durch: Siedlungs-;
1939: Siedelungs-;
1944: Siedlungs- und ähnlichen Problemen belasten, um so geringer wird der Nutzen für unsere Sache, als Ganzes genommen, sein. Denn so wichtig diese Belange sein mögen, ihre Erfüllung wird doch nur dann in großem Umfange eintreten, wenn wir bereits in der Lage sind, die öffentliche Macht in den Dienst dieser Gedanken zu stellen. Bis dahin würden diese Probleme die Bewegung um so mehr lähmen, je früher sie sich damit beschäftigen und je stärker dadurch ihr weltanschaulicher Wille beeinträchtigt würde. Es könnte