Falsche Vorstellung von »Germanisation« <span class="pagenumber">[19]</span>

11 Während Hitlers Zeit in Wien hatte beispielsweise Karl Lueger, den Hitler schon im Kapitel Wiener Lehr- und Leidensjahre (I/2) pathetisch als »gewaltigsten deutschen Bürgermeister aller Zeiten« preist, das Konzept der »Germanisierung« durch Sprache vertreten. Bei einer Vereidigung von Wiener Neubürgern am 2. 7. 1908, die unter dem Credo stand, dass Wien »deutscher Boden« bleiben müsse, rief Lueger vor allem den »nach Wien kommenden Tschechen« zu, sich ihrer neuen Umgebung durch das Erlernen der deutschen Sprache »anzupassen und daher zu germanisieren«. In dieser Rede, die wenige Monate nach Hitlers endgültigem Umzug nach Wien im Februar 1908 gehalten wurde, lehnte Lueger zugleich jedwede »nationalen Konzessionen« gegenüber den nach Wien »strömenden slawischen Elementen« kategorisch ab.

Vgl. Hamann, Wien, S. 394 – 396, Zitat S. 395; Kap. I/2, S. 55; Kap. I/3, Anm. 187.

12 Als »Germanisation« von Boden bezeichnete Hitler die Eroberung, Besiedelung und Urbarmachung fremden Territoriums durch die »germanische Rasse«. Eine »Germanisierung« der auf jenem Territorium ansässigen Bevölkerung hielt Hitler für unmöglich; er war der Ansicht, dass deren »rassische« Substanz nicht durch äußere Einflüsse wie die Adaption der deutschen Sprache und deutscher kultureller Praktiken verändert werden könne. Eine »Vermischung« mit der einheimischen Bevölkerung lehnte Hitler kategorisch ab, da er der vererbungsbiologischen Annahme anhing, dass der biologische »Wert« der deutschen »Herrenrasse« hierdurch unwiderruflich vermindert werde. Diese »Logik« zählte zu den folgenschwersten Konstanten in Hitlers Weltanschauung, ließ die Verneinung der »Germanisierung« von Menschen in letzter Konsequenz doch nur drei Alternativen im Umgang mit der Bevölkerung des zu erobernden, neuen »Lebensraums« zu: Vertreibung, Versklavung oder Vernichtung. In einer geheimen Rede vom 3. 2. 1933, in der er seine Kriegspläne unmissverständlich offenlegte, setzte Hitler seine Überzeugungen auch den Spitzen der Reichswehr auseinander. Hitler kündigte an, dass er nach einer »Frist von 6 – 8 Jahren«, während der er in Deutschland »den Marxismus vollständig auszurotten« gedachte, das deutsche Heer für »das Ziel der Ausweitung des Lebensraumes […] auch mit bewaffneter Hand« einsetzen werde. Dabei betonte er: »[E]ine Germanisierung der Bevölkerung des annektierten bzw. eroberten Landes ist nicht möglich. Man kann nur Boden germanisieren.« Im Zweiten Weltkrieg sanktionierte Hitler schließlich die Durchführung einer »ethnischen Flurbereinigung« in den besetzten Ostgebieten gemäß seinem Konzept der »Germanisierung«.

Vgl. Aly, Endlösung, S. 35 – 50, 95 – 114, 177 – 187; Wirsching, Boden; Anm. 71 in diesem Kapitel.

13 Die sakrale Überhöhung der Sprache als vermeintlich unverfälschtes Abbild des Volkscharakters war vor allem eine Erscheinung des 19. Jahrhunderts. Exemplarisch steht dafür die Popularität von Ernst Moritz Arndts Gedicht Des Deutschen Vaterland (1813), in dem die Grenzen des deutschen Volkes durch die später häufig zitierte Formel »So weit die deutsche Zunge klingt« definiert werden. Im Denken Hitlers schied die Sprache als Kriterium der Volkszugehörigkeit hingegen aus, da sie für ihn kein Ausdruck des biologisch-rassischen Wesenskerns des Volkes war. Damit distanzierte sich Hitler von sprachnationalistisch orientierten Gruppierungen wie dem Allgemeinen Deutschen Sprachverein und dem Alldeutschen Sprach- und Schriftverein, die sich primär als Hüter einer imaginierten »Reinheit« der deutschen Muttersprache verstanden und es sich zur Aufgabe machten, die Sprache vor allen »verfälschenden« und »zersetzenden« Fremdeinflüssen abzuschirmen. Hitlers rassentheoretisch bedingte Ablehnung des Sprachnationalismus ist schon in seinen frühesten ideologischen Äußerungen nachweisbar, so in einem Brief an Adolf Gemlich vom 16. 9. 1919. Neu war diese Haltung in der völkischen Bewegung indes nicht. Fritz Lenz, seit 1923 Inhaber des ersten deutschen Lehrstuhls für Rassenhygiene an der Universität München, hatte etwa schon 1917 geschrieben: »Es kann ein Mensch die Sprache eines Volkes als Muttersprache sprechen und doch der Volksseele fremd gegenüberstehen. Die Sprache kann wechseln, und sie ist vergänglich; der organische Kern des Volkes aber hat Ewigkeitsbedeutung.«

Vgl. Lenz, Erneuerung, Zitat S. 37; Jäckel/ Kuhn (Hrsg.), Hitler, Dok. 61, S. 89; Puschner, Bewegung, S. 28 – 39; Stukenbrock, Sprachnationalismus, S. 245 – 320; Nieberle, Rezeption.

österreichischen Deutschtum unter fördernder Mithilfe der Regierung sehr wohl eine Germanisation des österreichischen Slawentums gelingen könnte11, wobei man sich nicht im geringsten darüber klar wurde, daß Germanisation nur an Boden vorgenommen werden kann und niemals an Menschen.12 Denn was man im allgemeinen unter diesem Wort verstand, war nur die erzwungene äußerliche Annahme der deutschen Sprache. Es ist aber ein kaum faßlicher Denkfehler, zu glauben, daß, sagen wir, aus einem Neger oder einem Chinesen ein Germane wird, weil er Deutsch lernt und bereit ist, künftighin die deutsche Sprache zu sprechen und etwa einer deutschen politischen Partei seine Stimme zu geben. Daß jede solche Germanisation in Wirklichkeit eine Entgermanisation ist, wurde unserer bürgerlichen nationalen Welt niemals klar.13 Denn wenn heute durch das Aufoktroyieren#1933: Aufoktroyieren ersetzt durch: Auf-Oktroyieren;
1937: Oktroyieren einer allgemeinen Sprache [die] bisher sichtbar in die Augen springende[n] Unterschiede zwischen verschiedenen Völkern überbrückt und endlich verwischt werden, so bedeutet dies den Beginn einer Bastardierung und damit in unserem Fall nicht eine Germanisierung, sondern eine Vernichtung [des] germanischen Elementes. Es kommt in der Geschichte nur zu häufig vor, daß es den äußeren Machtmitteln eines Eroberervolkes zwar gelingt, den Unterdrückten ihre Sprache aufzuzwingen, daß aber nach tausend Jahren ihre Sprache von einem anderen Volk geredet wird und die Sieger dadurch zu den eigentlich#1937: eigentlich ersetzt durch: eigentlichen;
1939: eigentlich Besiegten werden.

Da das Volkstum, besser die Rasse, eben nicht in der Sprache liegt, sondern im Blute, würde man von einer Germanisation erst dann sprechen dürfen#1939: dürfen ersetzt durch: können;
1944: dürfen, wenn es gelänge, durch einen solchen Prozeß das Blut der Unterlegenen umzuwandeln. Dies#1929: Dies ersetzt durch: Das aber ist unmöglich. Es sei denn, es erfolge durch eine Blutsvermischung#1930: Blutsvermischung ersetzt durch: Blutvermischung eine Änderung, welche dann#1929: gestrichen: dann aber die Niedersenkung des Niveaus der höheren Rasse bedeutet. Das Endergebnis eines solchen Vorganges wäre also die Vernichtung gerade der Eigenschaften, welche das Eroberervolk einst zum Siege befähigt hatten. Besonders die kulturellen Kräfte würden bei einer Paarung mit minderer#1939: minderer ersetzt durch: einer minderen Rasse verschwinden, wenn auch das entstandene Mischprodukt tausendmal die Sprache der früher höheren Rasse spräche.14 Es wird eine Zeitlang noch ein ge-