Die Marathonläufer der Geschichte <span class="pagenumber">[224]</span>

29 Hitler dachte hier wohl zunächst an seinen Mentor Dietrich Eckart, dem er nach dessen Tod am 26. 12. 1923 Mein Kampf widmete. Gleichzeitig wird hier auch schon Hitlers Selbstbild erkennbar – bezeichnenderweise hing in seiner Landsberger Zelle ein Lorbeerkranz. Hitlers Lebensgefühl war das eines Getriebenen; die Furcht, sein »Werk« nicht mehr vollenden zu können, prägte immer auch seine Politik. So äußerte er am 10. 2. 1939 in einer Rede vor Truppenkommandeuren in Berlin, er habe sich vorgenommen, das deutsche Raumproblem zu lösen, wenn nötig durch Krieg. Dieses Ziel müsse möglichst »in unserer Generation« erreicht werden, denn in den nächsten 50 oder 100 Jahren gäbe es wohl keinen anderen deutschen Staatsführer, der mehr Autorität im deutschen Volk besitze. Neun Monate später, am 23. 11. 1939, unterrichtete Hitler die Oberbefehlshaber von Heer, Marine und Luftwaffe über seinen Entschluss, Frankreich und Großbritannien »zum günstigsten und schnellsten Zeitpunkt« anzugreifen. Dieser Zeitpunkt sei jetzt gekommen. Die Zeit arbeite jedoch für den Gegner, außerdem bestehe die Gefahr, dass er selbst einem Attentat zum Opfer falle; er sei aber unersetzlich.

Vgl. Fest, Hitler, S. 287 – 291; Müller, Armee, S. 365 – 375, Zitat S. 374; Domarus, Hitler, Bd. 3, S. 1234 – 1241, 1421 – 1427, Zitat S. 1426; Hillgruber, Strategie, S. 572; Heydecker (Hrsg.), Hitler-Bild, S. 150, 153; Kap. II/13, Anm. 155; Kap. II/15, Anm. 113.

30 Friedrich den Großen, Martin Luther und Richard Wagner nannte Hitler schon in einer Rede am 14. 10. 1923 als Beispiele für »deutsche Männer, die wahrhaft groß gewesen« seien. Alle drei historischen Persönlichkeiten genossen damals in der deutschen Gesellschaft große Verehrung – weit über das nationalistische und völkische Lager hinaus. Von diesem aber wurden sie ganz besonders für das eigene Geschichtsbild vereinnahmt. Im Falle Luthers waren dafür die Begründung einer eigenen Nationalkirche, die Gegnerschaft zu Rom, seine Bedeutung für die Entwicklung der deutschen Sprache sowie die antisemitischen Bemerkungen in seinem Spätwerk verantwortlich. Richard Wagner, der sich in seinen Schriften und Briefen ebenfalls immer wieder scharf antisemitisch äußerte, wurde von Hitler seit seiner Jugend verehrt, wie er bereits im Kapitel Im Elternhaus (I/1) betont. Seit Herbst 1923 stand Hitler mit der Familie Wagner in Bayreuth in persönlichem Kontakt und wurde von ihr erheblich gefördert. Am häufigsten bezog sich Hitler jedoch auf Friedrich den Großen, der ihm bis zu seinem Tod durch seine militärischen und politischen Leistungen ein Vorbild blieb. Prägend war dabei die mehrbändige Biografie des britischen Historikers Thomas Carlyle, die auch von Dietrich Eckart und anderen Völkischen geschätzt wurde. Hitler verwies schon in seiner Schlussrede vor Gericht am 27. 3. 1924 ausdrücklich auf dieses Werk. Für rechtsextreme Geschichtsinterpreten wurde Friedrich der Große zu einem »Heroen« der deutschen Geschichte, obgleich sich der preußische König selbst nie in einem solchen Sinne verstand.

Vgl. Eckart, Hans; Jäckel/ Kuhn (Hrsg.), Hitler, Dok. 583, Zitat S. 1034; Fritsch (Hrsg.), Handbuch, S. 46 – 50, 58 f., 112 – 117; Viereck, Hitler; Brosseder, Stellung, S. 182 – 201; Barthel, Friedrich, S. 4, 41 f.; Eberan, Luther, S. 110 – 121; Hein, »Es ist viel…«, S. 113 – 117; Friedländer, Hitler, S. 167 f.; Hamann, Wagner, S. 82 – 100; Osten-Sacken, Luther, S. 275 – 283; Ryback, Bücher, S. 273 – 284; Kap. I/1, S. 14 sowie die dortige Kommentierung; Kap. II/14, Anm. 73.

31 Der antisemitisch konnotierte Begriff der »Zinsknechtschaft« wurde in völkischen Kreisen bereits vor dem Ersten Weltkrieg gebraucht. Rudolf Jung verwandte ihn 1913 in einer Aufsatzreihe in der Wiener Deutschen Arbeiter-Zeitung. 1917 verwies Theodor Fritsch auf die Folgen einer verbreiteten »Schuldknechtschaft«. Auch in der antisemitischen Literatur der frühen Nachkriegsjahre wurde stets gegen die als »jüdische Erfindung« gedeutete Zinsleihe agitiert. Größere Verbreitung fand der Begriff allerdings erst durch Gottfried Feder. Als dieser im Februar 1925 die ersten Druckfahnen von Mein Kampf einsehen konnte, fühlte er sich bestätigt durch die »glänzende Würdigung der Idee der Brechung der Zinsknechtschaft«. Das Schlagwort von der »Brechung der Zinsknechtschaft« blieb auch während des Dritten Reichs Teil der NS-Propaganda, wurde jedoch in der praktischen Wirtschaftspolitik weitgehend ignoriert.

Vgl. IfZ-Archiv, ED 874/7: Gottfried Feder, Tagebucheintrag vom 21. 2. 1925; Deutsche Arbeiter-Zeitung (Wien) vom 13. 4. 1913, »Deutsche Arbeiterschaft und Volkstum«; Hammer vom 15. 2. 1917, »Zur Freilandsiedlung und Bodenfrage«; Münchener Beobachter vom 24. 5. 1919, »Deutsche Freiwirtschaft«; Schrönghamer-Heimdal, Judas, S. 27, 48; Jung, Sozialismus (1919), S. 96; Gorsleben, Überwindung, S. 7; Corswant, Not, S. 8; Rosenberg, Aufzeichnungen, S. 76; Barkai, Wirtschaftssystem, S. 28; Carsten, Faschismus, S. 33; Tyrell, Feder, S. 33; Prollius, Wirtschaftssystem, S. 109 f.; Wladika, Vätergeneration, S. 568; Krier, Sozialismus, S. 39 – 58.

32 Ideen zu »nationalem Geld«, »nationaler Kreditschöpfung« oder gar zur Abschaffung des Zinses fanden unmittelbar nach Ende des Ersten Weltkriegs über Broschüren, Hefte und Vorträge weite Verbreitung. Das lag unter anderem daran, dass 1918/19 der Zinsendienst für Kriegsanleihen rund 80 % des deutschen Reichshaushalts beanspruchte. Zu nennen sind etwa Heinrich Dolles Broschüre Die Beseitigung des arbeitslosen Einkommens (1919) und Karl Rohms radikalantisemitisches Pamphlet Die Abschaffung des Zinses ist die einzige Möglichkeit, die ewige Versklavung Deutschlands zu verhüten (1919). Beide Texte wurden in die Bibliothek der NSDAP aufgenommen. Auch Rudolf Jung bezog sich in seiner einflussreichen Schrift Der nationale Sozialismus (1919) auf Gottfried Feder sowie auf die Lehren des Sozialreformers Silvio Gesell. Dass das »Börsenkapital« und die internationale Vernetzung der Geldmärkte nicht nur Quelle persönlicher Verunsicherung waren, sondern auch zur Verbreitung plumper antisemitischer Feindbilder missbraucht wurden, monierten bereits Zeitgenossen. So kritisierte der Ökonom Joseph Schumpeter 1929 eine »bei Laien verbreitete, fast mythisch anmutende Einstellung, die das unverstandene Geldwesen für eine Quelle dunkler Einflüsse auf Wohl und Weh der Völker und geradezu der meisten sozialen Übel hält«.

Vgl. StA München, Pol. Dir. 6721, 5: Bücherverzeichnis; Jung, Sozialismus (1919), S. 77 – 81; Haber, Geldreformer, S. 767; Schumpeter, Wesen, Zitat S. 4; Blaich, Freitag, S. 40; Kap. I/10, Anm. 48.

Denn je größer die Werke eines Menschen für die Zukunft sind, um so weniger# 1944: weniger ersetzt durch: schwerer vermag sie die Gegenwart zu erfassen, um so schwerer aber# 1926: gestrichen: aber ist mithin# 1930: gestrichen: mithin auch der Kampf und um so seltener der Erfolg. Gelingt dies# 1926: Gelingt dies ersetzt durch: Blüht er aber dennoch in Jahrhunderten Einem# 1937: Einem ersetzt durch: einem , dann kann ihn vielleicht in seinen späten Tagen schon ein leiser Schimmer des kommenden Ruhmes umstrahlen. Freilich sind diese Großen nur die Marathonläufer der Geschichte; der Lorbeerkranz der Gegenwart berührt schon# 1930: gestrichen: schon nur mehr die Schläfen des sterbenden Helden.29

Zu ihnen aber sind sie# 1933: gestrichen: sie zu rechnen die großen Kämpfer auf dieser Welt, die, von der Gegenwart nicht verstanden, dennoch den Streit um ihre Ideen# 1944: Ideen ersetzt durch: Idee und Ideale durchzufechten bereit sind. Sie sind diejenigen, die einst am meisten dem Herzen des Volkes nahestehen werden; es scheint fast so, als fühlte jeder einzelne dann die Pflicht, nun# 1930: gestrichen: nun in# 1937: in ersetzt durch: an der Vergangenheit gut zu machen# 1937: gut zu machen ersetzt durch: gutzumachen , was die Gegenwart einst an den Großen gesündigt hatte. Ihr Leben und Wirken wird in rührend dankbarer Bewunderung verfolgt und vermag dann# 1930: gestrichen: dann besonders in trüben Tagen gebrochene Herzen und verzweifelnde Seelen wieder zu erheben.

Dies sind# 1926: Dies sind ersetzt durch: Hierzu gehören aber nicht nur die wirklich großen Staatsmänner, sondern auch alle sonstigen großen Reformatoren. Neben einem# 1930: gestrichen: einem Friedrich dem Großen steht# 1930: steht ersetzt durch: stehen hier ein# 1930: gestrichen: ein Martin Luther sowohl wie# 1944: sowohl wie ersetzt durch: sowie ein# 1930: gestrichen: ein Richard Wagner.30

Als ich den ersten Vortrag Gottfried Feders über die »Brechung der Zinsknechtschaft« anhörte, wußte ich auch# 1930: gestrichen: auch sofort, daß es sich hier um eine theoretische Wahrheit handelt# 1944: handelt ersetzt durch: handelte , die von immenser Bedeutung für die Zukunft des deutschen Volkes werden wird# 1930: wird ersetzt durch: würde;
1933: müßte .31 Die scharfe Scheidung des Börsenkapitals von der nationalen Wirtschaft bot die Möglichkeit, der Verinternationalisierung der deutschen Wirtschaft entgegenzutreten, ohne# 1930: eingefügt: zugleich mit dem Kampf gegen das Kapital überhaupt auch# 1930: gestrichen: auch die Grundlage einer unabhängigen völkischen Selbsterhaltung zu bedrohen.32 Mir stand die Entwicklung Deutschlands schon viel zu klar vor Augen, als daß ich nicht gewußt hätte, daß der schwerste Kampf nicht mehr gegen die feindlichen Völker, als vielmehr# 1930: als vielmehr ersetzt durch: sondern gegen das internationale Kapital ausgefochten werden muß# 1930: muß ersetzt durch: mußte . In Feders