Die alldeutsche Bewegung <span class="pagenumber">[96]</span>

143 Eine haltlose Behauptung. Bereits im Elternhaus von Sophie Gräfin Chotek von Chotkowa und Wognin, der künftigen Ehefrau des habsburgischen Thronfolgers, »wurde deutsch gesprochen. Wie die meisten böhmischen Adelsfamilien sprachen die Choteks […] wenig und schlecht tschechisch, gerade so viel, um ohne größere Schwierigkeiten in der Heimat zurechtzukommen«. Auch der österreichischdeutsche General Edmund Glaise-Horstenau bestätigte: »Daß Franz Ferdinand mit seiner Dienerschaft oder irgendjemand an seinem Hof tschechisch sprach, ist frei erfunden. Ein Sprachen-Anti-Talent, woran schon das schlechte Gehör mitschuldig war, kannte er außer Deutsch kaum eine Sprache mehr als nur zum Radebrechen. Leider hat das ein Malergeselle, der damals Wien unsicher machte, nicht glauben können.«

Vgl. Broucek (Hrsg.), General, Bd. I, Zitat S. 219; Hammond, Liebesgeschichte, Zitat S. 20. 

144 Als morganatische Ehe (lateinisch: matrimonium ad morganaticam, eine mittellateinische Neubildung, die den althochdeutschen Begriff »morgangeba/Morgengabe« einbezieht) galt eine Form der Eheschließung, bei der ein Ehepartner – meist die Frau – von niederem gesellschaftlichem Stand war als der andere Partner. Bei einer solchen Ehe konnten die Frau und ihre Kinder nicht vollständig vom Vermögen und der gesellschaftlichen Stellung des Mannes profitieren. Vielmehr legte man vorher einen »als Morgengabe bestimmten Werth« fest.

Diese Regelung galt auch für die Ehe zwischen Erzherzog Franz Ferdinand und Sophie Gräfin Chotek von Chotkowa und Wognin, die aus dem niederen tschechischen Adel stammte. Dennoch konnte Franz Ferdinand diese Verbindung gegen großen Widerstand des Wiener Hofs bei Franz Joseph I. schließlich durchsetzen; am 8. 4. 1900 erhielt das Paar die Erlaubnis zur morganatischen Ehe, die am 30. 6. geschlossen wurde. Als Gegenleistung musste sich Franz Ferdinand verpflichten, durch einen Renuntiationseid vor der Ehe allen Thronansprüchen für seine Gattin sowie für die gemeinsamen Kinder zu entsagen. Damit gehörten Ehefrau und die drei Kinder, die zwischen 1901 und 1904 geboren wurden, nicht zur Habsburger-Dynastie und wurden im Hofprotokoll entsprechend diskriminiert, was zu einer bleibenden Entfremdung des Thronfolgers vom Kaiserhof führte. Obwohl Sophie nach ihrer Heirat am 1. 7. 1900 den Titel einer »Fürstin von Hohenberg« führte, seit 1909 dann den einer »Herzogin von Hohenberg«, galt die Verbindung am Wiener Hof als Mesalliance. Selbst nach seinem tragischen Tod am 28. 6. 1914 in Sarajevo erhielt das Paar kein Staatsbegräbnis, sondern wurde nach Aufbahrung in der Wiener Hofburg – Sophies Sarg stand tiefer als der ihres Mannes – auf Schloss Artstetten (Niederösterreich) beigesetzt.

Vgl. Hammond, Liebesgeschichte; Kronenbitter, Haus, S. 185; Kronenbitter, Retter, S. 270 f.; Bled, Franz Ferdinand; Kap. I/1, Anm. 65, 66.

146 Unter dem Begriff des Manchesterliberalismus oder auch des Manchestertums versteht man sowohl eine politische Strömung als auch eine politisch-ökonomische Theorie, die in der englischen Industriemetropole Manchester in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand. Einer ihrer wichtigsten Vertreter war der englische Industrielle Richard Cobden, der mit seiner Propagandakampagne gegen die britischen Getreidezölle immer auch philanthropische Ziele verfolgte. Die Abschaffung dieser Zölle (1846) verdeutlicht dann allerdings auch, wie ambivalent eine Politik war, die primär auf die Kräfte eines freien Markts vertraute: Zwar endete einerseits der Hunger in England, gleichzeitig weitete sich die Hungerkatastrophe in Irland, das in hohem Maße vom Kornhandel lebte, aber aus. Doch waren dies Folgen, die in England selbst nicht zu spüren waren. Die Philosophie des Freihandels, die dort im 19. Jahrhundert viele Anhänger besaß, sicherten der britischen Wirtschaft damals eine »monopolähnliche Vorrangstellung« in der Welt. Schon deshalb wurde »Manchesterliberalismus« in Deutschland schon bald zu einem politischen Kampfbegriff, der – von einigen Liberalen abgesehen – negativ konnotiert war. So schrieb Werner Sombart im Jahr 1915: »Dann kam aber noch eine trübe Zeit für Deutschland, als in den 1860er und 1870er Jahren die Vertreter der sogenannten Manchester-Schule die englischen Importwaren ganz schamlos auf den deutschen Gassen als deutsches Erzeugnis feil boten.« Diese Perzeption, die in Deutschland auch außerhalb des rechten Milieus weite Verbreitung fand, verband sich auch bald mit der Vorstellung eines vermeintlich »jüdischen Manchestertums«.

Vgl. Raico, Partei, Zitat S. 43; Volkov, Antisemitismus, S. 41; Wende, Empire, S. 132. 

decken. Rein deutsche Orte wurden so über den Umweg der staatlichen Beamtenschaft langsam, aber unbeirrt sicher in die gemischtsprachliche# 1937: gemischtsprachliche ersetzt durch: gemischtsprachige;
1939: gemischtsprachliche Gefahrenzone hineingeschoben. Selbst in Niederösterreich begann dieser Prozeß immer schnellere Fortschritte zu machen, und Wien galt vielen Tschechen schon als ihre größte Stadt.142

Der leitende Gedanke dieses neuen Habsburgers, dessen Familie nur mehr tschechisch# 1939: tschechisch ersetzt durch: Tschechisch sprach143 (die Gemahlin des Erzherzogs war als ehemalige tschechische Gräfin dem Prinzen morganatisch144 angetraut; sie stammte aus Kreisen, deren deutschfeindliche Stellung Tradition bildete), war, in Mitteleuropa allmählich einen slawischen Staat aufzurichten, der zum Schutz gegen das orthodoxe Rußland auf streng katholische Grundlage gestellt werden sollte. Damit wurde, wie schon öfters bei den Habsburgern, die Religion wieder einmal in den Dienst eines rein politischen Gedankens, noch dazu eines wenigstens – von deutschen Gesichtspunkten aus betrachtet – unseligen Gedankens, gestellt.

Das Ergebnis war ein mehr als trauriges in vielfacher Hinsicht.

Weder das Haus Habsburg noch die katholische Kirche bekamen den erwarteten Lohn.

Habsburg verlor den Thron, Rom einen großen Staat.

Denn indem die Krone auch religiöse Momente in den Dienst ihrer politischen Erwägungen stellte, rief sie einen Geist wach, den sie selber zunächst freilich nicht für möglich gehalten hatte.

Aus dem Versuch, mit allen Mitteln das Deutschtum in der alten Monarchie auszurotten, erwuchs als Antwort die alldeutsche Bewegung in Österreich.145

Mit den achtziger Jahren hatte der manchesterliche Liberalismus jüdischer Grundeinstellung146 auch in der Monarchie den Höhepunkt erreicht, wenn nicht schon überschritten. Die Reaktion dagegen kam jedoch, wie bei allem im alten Österreich, nicht aus in erster Linie sozialen Gesichtspunkten heraus, sondern aus nationalen. Der Selbsterhaltungstrieb zwang das Deutschtum, in schärfster Form sich zur Wehr zu setzen. Erst in zweiter Linie begannen nun auch langsam# 1926: nun auch langsam ersetzt durch: langsam auch wirtschaftliche Erwägungen maßgebenden Einfluß zu gewinnen. So schälten sich zwei Parteigebilde aus dem allgemeinen politischen