Schönerer und Lueger <span class="pagenumber">[103]</span>

180 Schönerers erste Erfolge gründeten sich nicht auf einer elitären nationalistischen Doktrin, sondern auf seinem großen wie erfolgreichen Einsatz für die Bauern im heimischen Waldviertel. Als Verwalter seines Landguts Schloss Rosenau engagierte sich Schönerer, der als studierter Gutsverwalter etwas »von den wirtschaftlichen und sozialen Problemen der Landbevölkerung verstand«, für zahlreiche Modernisierungen, Schulungen und wohltätige Stiftungen, die ihm einen Ruf als »Bauernführer« einbrachten. »Schönerers finanzielle Großzügigkeit«, so Brigitte Hamann, »ist im Waldviertel bis heute sprichwörtlich. Er finanzierte die Errichtung von 200 Feuerwehren, richtete 25 Volksbüchereien ein, spendierte Turngeräte zur Ertüchtigung der bäuerlichen Jugend, spendete für Arme und Kranke.« Vor diesem Hintergrund verkennt Hitler hier »Schönerers politische Anfänge, die ja gerade in diesem sozialen Engagement gründeten«.

Vgl. Hye, Vereine, S. 193; Whiteside, Schönerer, S. 61 – 77, Zitat S. 67; Hamann, Wien, Zitate S. 338, 363. 

181 Lueger, später auch »Herrgott von Wien« genannt, gelang es tatsächlich durch einen geschickten, mitunter aber auch bizarren Personenkult, der mit seiner Kandidatur zum Bürgermeisteramt 1895 einen ersten Höhepunkt erreichte, eine Massenbewegung zu mobilisieren, die ganz auf seine Person ausgerichtet war. So gab es einen Lueger-Marsch, Lueger-Medaillen und sogar »Lueger-Teller«, die bei Wahlkampfveranstaltungen als Unterlage für Würstel mit Senf ausgeteilt wurden; mit dem Verzehr wurde dann auf dem Teller ein Porträt des Spenders sichtbar. Der Gipfel der Geschmacklosigkeit dieses Personenkults war das blasphemische Lueger-Vaterunser: »Ich glaube an Dr. Lueger, Schöpfer des christlichen Wiens und an Herrn Strobach seinen eingeborenen Sohn unsern Herrn, der empfangen ist von der antisemitischen Volkspartei, geführt von Dr. Lueger, welcher geboren aus dem christlichen Wien, gelitten unter Prix und Grübl, gepeinigt, verspottet und verhöhnt, der verzichtet auf sein Interesse, nach einem Jahr wieder auferstanden von dem Tode, aufgefahren zum Bürgermeisterstuhl, sitzet er zur rechten Bürgermeisters Strobach, von dannen er kommen wird zu richten, die Juden und Liberalen. Ich glaube an Dr. Neumayer, ein allgemeines deutsches Wien, Gemeinschaft der Antisemiten, Export der Juden nach Palästina, Auferstehung des unterdrückten Christenthums und dessen ewiges Leben.« Ein besonderer Adressat dieses Personenkults war der weibliche Teil der Wiener Bevölkerung, dem sich Lueger geschickt als der »schöne Karl« sowie als »Junggeselle« präsentierte.

Vgl. Schnitzler/ Brandstätter/ Urbach, Schnitzler, Zitat S. 45; Hamann, Wien, S. 536 – 539; Boyer, Lueger (2010), S. 166; Anm. 17 in diesem Kapitel.

184 Lueger und die Christlichsoziale Partei standen in einem komplizierten Verhältnis zur katholischen Kirche. Die Partei war ein Produkt des politischen Katholizismus, der sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts formiert hatte. An der Basis wurzelte sie oft in den katholischen Arbeitervereinen, Bauernbünden oder Burschenvereinen. In einer Resolution von 1895 definierten sich die Christlichsozialen dezidiert als »christliche Reformpartei«, die »in treuer Ergebenheit zum Papste« stünde. Durch ihr Selbstverständnis als »Reformpartei«, aber auch durch ihren populistischen Antisemitismus, geriet die Partei freilich schon bald in einen zunehmenden Gegensatz zur katholischen Amtskirche, insbesondere zu konservativen Bischöfen. »In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg entradikalisierten sich die Christlichsozialen und entwickelten sich zur staatstragenden Partei. Sie versuchte nationale deutsche und klassenbedingte Interessen auszubilanzieren, um die Monarchie zu retten.« Dazu gehörte auch, dass die Partei, die in den katholischen Mütter-, Männer- und Jugendvereinen sowie in den Pfarrern hoch motivierte Unterstützer besaß, ihren Frieden mit den Bischöfen schloss und »ein stärkeres katholisches Profil« im Sinne der Amtskirche entwickelte.

Vgl. Berchtold (Hrsg.), Parteiprogramme, Dok. 22, Zitate S. 168; Hanisch/ Urbanitsch, Prägung, S. 73 – 79, Zitate S. 78; Haas, Gruppierungen, S. 344 – 359; Boyer, Lueger (2010), S. 148; Kap. I/2, Anm. 170.

gerin der neuen Lehre bereit erklärt, den notwendigen Kampf auf sich zu nehmen.

Aus diesem# 1930: Aus diesem ersetzt durch: Diesem Mangel an Verständnis für die Bedeutung der unteren Volksschichten kam# 1930: kam ersetzt durch: entsprang dann aber auch die vollständig unzureichende Auffassung über die soziale Frage.180

In all dem war Dr. Lueger das Gegenteil Schönerers.

Die gründliche Menschenkenntnis ließ ihn die möglichen Kräfte ebenso richtig beurteilen, wie er dadurch aber auch bewahrt blieb vor einer zu niederen Einschätzung vorhandener Institutionen, ja vielleicht gerade aus diesem Grunde sich eher noch solcher als Hilfsmittel zur Erreichung seiner Absichten bedienen lernte.

Er verstand auch nur zu genau, daß die politische Kampfkraft des oberen Bürgertums in der heutigen Zeit nur gering und nicht ausreichend war, einer neuen großen Bewegung den Sieg zu erkämpfen. Daher legte er auch# 1926: gestrichen: auch das Hauptgewicht seiner politischen Tätigkeit auf die Gewinnung von Schichten, deren Dasein bedroht war und mithin eher zu einem Ansporn als zu einer Lähmung des Kampfwillens wurde.181 Ebenso war er geneigt, sich all der nun# 1926: gestrichen: nun; 1944: wieder eingefügt: nun einmal schon vorhandenen Machtmittel zu bedienen, bestehende mächtige Einrichtungen sich geneigt zu machen, um aus solchen alten Kraftquellen für die eigene Bewegung möglichst großen Nutzen ziehen zu können.

So stellte er seine neue Partei182 in erster Linie auf den vom Untergange# 1937: Untergange ersetzt durch: Untergang;
1939: Untergange;
1944: Niedergang bedrohten Mittelstand ein und sicherte sich dadurch eine nur sehr schwer zu erschütternde Anhängerschaft von ebenso großer Opferwilligkeit wie zäher Kampfkraft.183 Sein unendlich klug ausgestaltetes Verhältnis zur katholischen Kirche184 aber gewann ihm in kurzer Zeit die jüngere Geistlichkeit in einem Umfange, daß die alte klerikale Partei entweder das Kampffeld zu räumen gezwungen war, oder noch klüger sich der neuen Partei anschloß, um so langsam Position um Position wieder zu gewinnen.

Würde# 1930: eingefügt: aber dies allein nun# 1926: gestrichen: nun als das charakteristische Wesen des Mannes angenommen# 1930: angenommen ersetzt durch: angesehen werden, dann geschähe ihm schweres Unrecht. Denn zum klugen Taktiker kamen aber nun# 1926: gestrichen: aber nun auch die Eigenschaften eines