Schönerer und Lueger <span class="pagenumber">[102]</span>

175 Schönerer machte sich als Redner einen Namen, nicht als Autor und erst recht nicht als »Denker«.Von ihm haben sich keine wesentlichen Schriften erhalten, sondern nur einige zeitgenössische Publikationen seiner Reden: Zwölf Reden des Reichsrathsabgeordneten (1886); Fünf Reden des Reichsrathsabgeordneten Georg Schönerer (1891); Zur Sprachenfrage (1898); Zukunftsgedanken (1913); Zehn Reden Georg Schönerers aus den Jahren 1882 bis 1888 (1914). Hitler dürfte Schönerer lediglich aus der Zeitungslektüre gekannt haben sowie wahrscheinlich auch durch die Biografie des Ingenieurs und »Schönerer-Jüngers« Eduard Pichl: Georg Schönerer und die Entwicklung des Alldeutschtumes in der Ostmark. Die ersten drei Bände dieser »Bibel der Alldeutschen« erschienen von 1912 bis 1914, Band 4 dann 1923, danach standen noch zwei Bände aus Pichl, seit April 1921 Obmann der Sektion Austria, einer der größten Sektionen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins, gelang es schon damals, einen »Arierparagraphen« für den gesamten Alpenverein durchzusetzen. 1938 förderte Hitler die Publikation einer Neuauflage der bereits erschienenen sowie die Veröffentlichung der beiden noch ausstehenden Bände von Pichls Schönerer-Biografie, indem er die Hälfte der Auflage von 1.000 Stück aufkaufen ließ.

Vgl. Schönerer, Reden (1886); Schönerer, Reden (1891); Schönerer, Sprachenfrage (1898); Schönerer, Zukunftsgedanken (1913); Schönerer, Reden (1914); Pichl, Schönerer, (1912 – 1923); Pichl, Schönerer (1938); Heiber, Reichsinstitut, S. 356; Hamann, Wien, S. 363 f., Zitat S. 338; Wladika, Vätergeneration, S. 626 f.

176 Der »charismatische Populist« und begabte Redner Karl Lueger war ursprünglich »als Demokrat aus dem linksliberalen Spektrum« gekommen. Hitler war fasziniert von dessen rhetorischem und psychologischem Geschick, von Luegers Gespür für kollektive Stimmungen sowie von seinem Talent zur Selbstinszenierung. Während Hitler, wie sich sein Freund Kubizek erinnert, »der Kontakt mit Menschen rein physisch schon zuwider« war und Vergnügungsorten wie dem Wiener Prater konsequent auswich, gelang Lueger die Beherrschung der scheinbar unbeherrschbaren Massen. In seinem Habitus als »Volkstribun« schien er sich deren Willen unterzuordnen und sich für ihre Interessen »aufzuopfern«, um sie letztlich für die eigenen Ziele zu manipulieren. Luegers Status als angeblicher »Junggeselle« und sein betont schlichtes öffentliches Auftreten im schwarzen Frack steigerten noch den Mythos um seine Person; die Parallelen zu Hitlers späterer Inszenierung als »Führer« sind offensichtlich. Dass Hitler von Rudolf Heß während der Entstehung von Mein Kampf stets als »Tribun« bezeichnet wurde, ist sicherlich kein Zufall.

Vgl. Heß, Briefe, S. 369; Kubizek, Hitler, S. 203 f.; Hamann, Wien, S. 577; Hanisch/ Urbanitsch, Prägung, Zitat S. 76; Boyer, Lueger, S. 73 – 302; Kap. I/2, Anm. 170; Anm. 17 in diesem Kapitel.

In ihren Fähigkeiten verglichen, erschien# 1930: erschien ersetzt durch: schien mir schon damals Schönerer als der bessere und gründlichere Denker in prinzipiellen Problemen zu sein.175 Er hat das zwangsläufige Ende des österreichischen Staates richtiger und klarer erkannt als irgendein anderer. Würde man besonders im Reiche seine Warnungen vor der Habsburger-Monarchie# 1937: Habsburger-Monarchie ersetzt durch: Habsburgermonarchie;
1939: Habsburger-Monarchie;
1944: Habsburgermonarchie besser gehört haben, so wäre das Unglück des Weltkrieges Deutschlands gegen ganz Europa nie gekommen.

Allein wenn Schönerer die Probleme ihrem inneren Wesen nach erkannte, dann irrte er sich aber# 1930: gestrichen: aber um so mehr in den Menschen.

Hier lag wieder die Stärke Dr. Luegers.

Dieser war ein seltener Menschenkenner, der sich besonders hütete, die Menschen besser zu sehen, als sie nun einmal sind.176 Daher rechnete er auch mehr mit den realen Möglichkeiten des Lebens, während Schönerer hiefür nur wenig Verständnis aufbrachte. Alles, was der Alldeutsche auch dachte, war, theoretisch genommen, richtig, allein indem die Kraft und das Verständnis fehlte# 1944: fehlte ersetzt durch: fehlten , die theoretische Erkenntnis der Masse zu vermitteln, sie also in solche Form zu bringen, daß sie damit der Aufnahmefähigkeit des breiten Volkes, die nun einmal eine begrenzte ist und bleibt177, entsprach, war eben alles Erkennen nur seherische Weisheit, ohne jemals praktische Wirklichkeit werden zu können.178

Dieses Fehlen einer tatsächlichen# 1930: einer tatsächlichen ersetzt durch: tatsächlicher Menschenkenntnis führte aber im weiteren Verlaufe# 1944: Verlaufe ersetzt durch: Verlauf zu einem Irrtum in der Krafteinschätzung ganzer Bewegungen sowie uralter Institutionen.

Endlich hat Schönerer allerdings erkannt, daß es sich hier um Weltanschauungsfragen handelt, aber nicht begriffen, daß sich zum Träger solcher nahezu religiöser# 1939: religiöser ersetzt durch: religiösen;
1944: religiöser Überzeugungen in erster Linie immer nur die breiten Massen eines Volkes eignen.

Er begriff die# 1930: Er begriff die ersetzt durch: Er sah in leider nur sehr kleinem Umfang die außerordentliche Begrenztheit des Kampfwillens der sogenannten »bürgerlichen« Kreise schon infolge ihrer wirtschaftlichen Stellung, die den einzelnen zuviel zu verlieren befürchten läßt und ihn deshalb auch mehr zurückhält, in leider nur sehr kleinem Umfange# 1930: zurückhält, in leider nur sehr kleinem Umfange ersetzt durch: zurückhält .179

Und doch wird im allgemeinen eine Weltanschauung nur dann Aussicht zum Siege erhalten# 1930: zum Siege erhalten ersetzt durch: auf den Sieg haben , wenn sich die breite Masse als Trä-