Deutsches Bündnis mit Rußland? <span class="pagenumber">[322]</span>

91 Anspielung auf die damals engen politischen, wirtschaftlichen und militärischen Beziehungen zwischen Frankreich und Polen. Diese waren schon im Ersten Weltkrieg geknüpft und danach intensiviert worden, bis sie am 19. 2. 1921 in einen Bündnisvertrag und eine geheime Militärkonvention mündeten: Frankreich hatte bereits am 3. 6. 1917 – wie auch Großbritannien und Italien – die Unabhängigkeit Polens zu einem seiner Kriegsziele erklärt. Staatspräsident Raymond Poincaré genehmigte die Aufstellung einer polnischen Armee unter französischem Oberbefehl, für die Paris ebenso erhebliche Geldmittel bereitstellte wie für das am 15. 8. 1917 gegründete Polnische Nationalkomitee, das die Ententemächte als Kern einer künftigen polnischen Regierung anerkannten. Nach dem Waffenstillstand unterstützte Frankreich im Winter 1918/19 die polnischen Aufständischen in der Posener Region, trat während der Versailler Verhandlungen für die territorialen Forderungen Polens gegenüber Deutschland ein und sprach sich insbesondere für die Abtretung Oberschlesiens an Polen aus. Vor diesem Hintergrund, aber auch angesichts der massiven wirtschaftlichen und militärischen Unterstützung Frankreichs für den neuen Staat lag es für Hitler nahe, ein reines Abhängigkeitsverhältnis anzunehmen: So sah das Bündnis von 1921 Sondermilitärkredite in einer Höhe von 400 Millionen Francs für Polen vor, verlangte aber, die polnische Armee mit der in Frankreich üblichen Bewaffnung auszustatten. Nicht zuletzt entsandte Paris zur Unterstützung der polnischen Streitkräfte eine Militärmission nach Warschau und half, polnische Offiziere und Rekruten auszubilden. Die Einflussmöglichkeiten Frankreichs nahmen aber in dem Maße ab, in dem Polen sein Staatswesen und seine wirtschaftlichen Verhältnisse konsolidierte, was keineswegs ausschließlich durch den Rückgriff auf französische Hilfe gelang.

Vgl. DDF, 1921, Bd. 1, Dok. 126, 127, 137; Polskie dokumenty dyplomatyczne, 1918 listopadgrudzień, Dok. 55, 105, 106, 166; Conze, Nation, S. 303 f., 364, 387; Wandycz, France, S. 211 – 237, bes.S. 213 f., 219, 393 – 395; Soutou, Politique, S. 89; Chwalba, Historia, S. 587; Davies, Geschichte, S. 102; Borodziej, Geschichte, S. 87, 106, 109.

92 Wohl vor allem eine Anspielung auf das französisch-polnische Bündnis von 1921. In Hitlers hypothetischem Konfliktszenario hätte Polen Frankreich unterstützen müssen, indem es jegliche russische Hilfe für das Deutsche Reich verhinderte. Dass dies der polnischen Armee durchaus hätte gelingen können, legte der Sieg nahe, den diese im August 1920 vor Warschau im Krieg gegen das revolutionäre Russland erkämpft hatte. Dass der polnische Staat dazu in dem von ihm angenommenen Konfliktfall alle Mittel mobilisieren würde, konnte Hitler nicht nur aufgrund des historisch gewachsenen, durch den Krieg von 1920 verschärften polnisch-russischen Antagonismus annehmen, sondern auch angesichts des äußerst gespannten deutsch-polnischen Verhältnisses.

Vgl. Davies, Genesis, S. 47 – 67; Davies, Eagle, bes.S. 19 – 61, 264 – 278; Zamoyski, Warsaw, bes.S. 1 – 13, 131 – 138; Borodziej, Geschichte, S. 111 – 118; Kap. II/13, Anm. 170.

nicht auf russischem, sondern auf deutschem Boden abspielen, ohne daß Deutschland von Rußland auch nur die geringste wirksame Unterstützung erfahren könnte. Die Machtmittel des heutigen Deutschen Reiches sind so jämmerlich und für einen Kampf nach außen so unmöglich, daß irgendein Grenzschutz gegen den Westen Europas, einschließlich Englands, nicht durchgeführt werden könnte und gerade das deutsche Industriegebiet den konzentrierten Angriffswaffen unserer Gegner wehrlos preisgegeben läge. Dazu kommt, daß zwischen Deutschland und Rußland der ganz in französischen Händen ruhende polnische Staat liegt.91 Im Falle eines Krieges Deutschland–Rußlands#1944: Rußlands ersetzt durch: Rußland [sic!] gegen den Westen Europas müßte Rußland erst Polen niederwerfen, um den ersten Soldaten an eine#1944: eine ersetzt durch: die deutsche Front zu bringen.92 Dabei handelt es sich aber gar nicht so sehr um Soldaten, als um die technische Rüstung. In dieser Hinsicht würde sich, nur noch viel entsetzlicher, der Zustand im Weltkrieg wiederholen. So wie damals die deutsche Industrie für unsere ruhmvollen Verbündeten angezapft wurde und Deutschland den technischen Krieg93 fast ganz allein bestreiten mußte, so würde in diesem Kampf Rußland als technischer Faktor überhaupt völlig ausscheiden. Der allgemeinen Motorisierung der Welt, die im nächsten Kriege schon in überwältigender Weise kampfbestimmend in Erscheinung treten wird, könnte von uns fast nichts entgegengestellt werden. Denn nicht nur, daß Deutschland selbst auf diesem wichtigsten Gebiete beschämend weit zurückgeblieben ist, müßte es von dem wenigen, das es besitzt, noch Rußland erhalten, das selbst heute noch nicht eine einzige Fabrik sein eigen nennt, in der ein wirklich laufender Kraftwagen erzeugt werden kann.94 Damit aber würde solch ein Kampf nur den Charakter eines Abschlachtens erhalten. Deutschlands Jugend würde noch mehr verbluten wie#1937: wie ersetzt durch: als einst, denn wie immer läge die Last des Kampfes nur auf uns#,1939: gestrichen: denn wie immer läge die Last des Kampfes nur auf uns; 1944: wieder eingefügt: denn wie immer läge die Last des Kampfes nur auf uns und das Ergebnis wäre die unabwendbare Niederlage.

Aber selbst den Fall angenommen, daß ein Wunder geschähe und ein solcher Kampf nicht mit der restlosen Vernichtung Deutschlands endigte, wäre der letzte Erfolg doch nur der, daß das ausgeblutete deutsche Volk nach wie vor umgrenzt bliebe von großen Militär-