Unmöglichkeit richtiger Ausbildung <span class="pagenumber">[187]</span>

178 Bereits in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, insbesondere nach der Zäsur des Russisch-Japanischen Kriegs (1904/05), zeichnete sich immer deutlicher ab, dass es Kriege wie im 19. Jahrhundert künftig nicht mehr geben würde. Verantwortlich dafür war zunächst die Technik: Erfindungen wie Maschinengewehr, Kraftfahrzeug und Flugzeug, moderne Kommunikationsmittel, rauchschwaches Pulver und Stacheldraht, ferner die Modernisierung der Artillerie durch Rohrrücklaufbremse, indirekte Richtmittel und neue Brisanzgranaten. Hinzu kam die Aufstellung von Massenheeren in bislang unbekannten Dimensionen. Daraus zog aber keine Armee die Konsequenzen, die eigentlich notwendig gewesen wären. Die meisten Soldaten des Jahres 1914 erlebten daher, unabhängig von Dienstgrad und Funktion, die ersten Kriegsmonate als Schock. Erst langsam begannen sie sich auf eine völlig neue militärische Situation einzustellen. Dabei war es zunächst die Truppe, weniger die Führung, die neue taktischtechnische Ansätze entwickelte, um den Materialschlachten eines »Weltkriegs« gewachsen zu sein. Bei der Infanterie löste die Stoßtrupptaktik, bei der kleine, ausgewählte Gruppen ihren Angriff an das Gelände anpassten, das bisherige Prinzip des Massensturms ab, die Kavallerie kämpfte meist nur noch abgesessen, während die aufwendige und wenig effektive Methode des Trommelfeuers der Artillerie zunehmend ersetzt wurde durch die einer punktgenauen »Feuerwalze«. Daneben stellten sich für die kämpfende Truppe völlig neue Herausforderungen wie etwa der Kampf bei Nacht, im Gebirge oder im Winter – also unter Bedingungen, für die man vor 1914 kaum oder überhaupt nicht trainiert hatte.

Nach 1918 versuchten alle Armeen diese teuer erkauften Erfahrungen auszuwerten, zu systematisieren und die künftige militärische Ausbildung daran auszurichten. Gerade eine kleine Armee wie die deutsche, die besonders auf eine überlegene militärische Führung angewiesen war, verwandte viel Zeit und Energie auf die Entwicklung neuer taktisch-operativer Führungsgrundsätze, an deren Verschriftlichung sich anfangs auch Ernst Jünger beteiligte. Ergebnis war die 1921 und 1923 veröffentlichte Rahmenvorschrift Führung und Gefecht der verbundenen Waffen, die zum Teil bereits die Führungsdoktrin der späteren Wehrmacht vorwegnahm. In ihrem Zentrum stand unter anderem eine bewegliche, offensive Truppenführung, vor allem aber der selbstständig handelnde, motivierte, technisch versierte und sportliche Einzelkämpfer, der »zur Verantwortungsfreudigkeit erzogen« werden sollte.

Vgl. Storz, Kriegsbild; Corum, Roots; Velten, Reichsheer, Zitat S. 84; Citino, Path; Citino, Quest, S. 65 – 213; Habeck, Storm, S. 1 – 158; Kiesel, Jünger, S. 163 – 165; Raths, Massensturm; Strohn, Army.

180 Dies entspricht Hitlers eigenen Erfahrungen, dessen militärische Ausbildung unverantwortlich kurz gewesen war. Als Kriegsfreiwilliger war Hitler seit Mitte August 1914 lediglich zwei Monate auf seinen militärischen Einsatz vorbereitet worden. Bereits am 8. 10. 1914 war er, zusammen mit seinen meist nicht minder unerfahrenen Kameraden, mit einer Parade vom bayerischen König Ludwig III. an die Front verabschiedet worden. Nach einer kurzen Übung auf dem Truppenübungsplatz Lechfeld brach Hitlers Regiment am 21. 10. 1914 zur Front auf, acht Tage später erfolgte dann der erste militärische Einsatz in der Nähe des flämischen Dorfes Gheluvelt im Rahmen der Ersten Flanderschlacht. Als diese am 24. 11. endete, waren von Hitlers Regiment 725 Mann, etwa ein Viertel, gefallen sowie eine deutlich höhere Zahl verwundet; am Jahresende 1914 betrug die Ausfallquote in diesem Regiment schließlich 86 %.

Vgl. Weber, Krieg, S. 26 – 78.

181 Auch diese Erfahrung hatte nicht allein Hitler gemacht. Aufschlussreich sind die Schilderungen in Erich Maria Remarques Roman Im Westen nichts Neues (1928/29), der sich durchaus als Substrat vieler Erfahrungen lesen lässt. Remarque beschreibt eindringlich, vor allem aber deutlich kritischer, wie vollkommen hilflos der militärische Ersatz, dem die langsame Gewöhnung an die Verhältnisse des modernen Kriegs fehlte, seine ersten Fronteinsätze erlebte. Remarque schildert, wie »auf einen alten Mann […] fünf bis zehn Rekruten« gefallen seien. Und weiter: »Obschon wir notwendig Verstärkung brauchen, haben wir fast mehr Arbeit mit den Rekruten, als daß sie uns nützen. Sie sind hilflos in diesem schweren Angriffsgebiet und fallen wie die Fliegen.«

Vgl. Remarque, Westen, Zitate S. 95 f.

verlassen wird. Selbst der jüngste Soldat von 1918 wird in zwanzig Jahren kampfunfähig sein, und wir nähern uns in bedenklicher Schnelle diesem Zeitpunkte.176 Damit wird jeder sogenannte Wehrverband zwangsläufig immer mehr den Charakter einer alten Kriegervereinigung annehmen. Dies kann aber nicht der Sinn einer Einrichtung sein, die sich eben nicht als Krieger-, sondern als Wehrverein bezeichnet, und die schon durch ihren Namen auszudrücken bestrebt ist, daß sie nicht nur in der Erhaltung der Tradition und der Zusammengehörigkeit ehemaliger Soldaten ihre Mission erblickt177, sondern in der Ausbildung des Wehrgedankens und in der praktischen Vertretung dieses Gedankens, also in der Schaffung eines wehrhaften Körpers.

Diese Aufgabe jedoch erfordert dann unbedingt die Ausbildung der bisher noch nicht militärisch gedrillten Elemente, und dies ist in der Praxis tatsächlich unmöglich. Mit einer wöchentlich ein- oder zweistündigen Ausbildung kann man wirklich keinen Soldaten schaffen. Bei den heutigen enorm gesteigerten Anforderungen, die der Kriegsdienst an den einzelnen Mann stellt178, ist eine zweijährige Dienstzeit vielleicht gerade noch ausreichend, um den unausgebildeten jungen Mann in einen gelernten Soldaten zu verwandeln.179 Wir haben ja alle im Felde die fürchterlichen Folgen vor Augen gehabt, die sich für junge, im Kriegshandwerk nicht gründlich ausgebildete Soldaten ergaben. Freiwilligenformationen, die fünfzehn und zwanzig Wochen lang mit eiserner Entschlossenheit bei grenzenloser Hingabe gedrillt worden waren, stellten an der Front nichtsdestoweniger nur Kanonenfutter dar.180 Nur in die Reihen erfahrener alter Soldaten eingeteilt, konnten jüngere, vier bis sechs Monate lang ausgebildete Rekruten nützliche Glieder eines Regiments#1937: Regiments ersetzt durch: Regimentes;
1939: Regiments abgeben; sie wurden hierbei von den alten#1929: alten ersetzt durch: »Alten« geleitet und wuchsen sich dann allmählich in ihre Aufgaben hinein.181

Wie aussichtslos#1930: aussichtslos ersetzt durch: aussichtlos;
1933: aussichtslos;
1937: rücksichtslos;
1939: aussichtslos aber wirkt demgegenüber der Versuch, ohne klare Befehlsgewalt und ohne umfassende Mittel durch eine wöchentlich ein- bis zweistündige sogenannte Ausbildung eine Truppe heranziehen zu wollen! Damit kann man vielleicht alte Soldaten wieder auf‌frischen, junge Menschen aber niemals zu Soldaten machen.