Ende der Judenherrschaft in Rußland? <span class="pagenumber">[317]</span>

63 Was Hitler mit dem »germanischen Kern« in Russland meinte, erläuterte er in seinem 1928 verfassten, unveröffentlichten »Zweiten Buch«: »Seit der Zeit Peters des Großen waren es vor allem sehr viele Deutsche (Balten!), die das Gerippe und das Gehirn des russischen Staates bildeten. Im Laufe der Jahrhunderte sind ungezählte Tausende dieser Deutschen russifiziert worden, […] ihrem Blut und damit ihren Fähigkeiten nach [aber] Deutsche geblieben oder besser Germanen«. Tatsächlich hatten deutsche Einwanderer und ihre Nachkommen großen Einfluss auf Russland und dessen Modernisierung. In ihren alten ländlichen Kolonien stellten die Russlanddeutschen am Ende des 19. Jahrhunderts einen großen Teil der nicht adeligen Mittel- und Oberschicht. Die deutschstämmige Stadtbevölkerung erfüllte wichtige Funktionen auf den Gebieten Bildung, Finanzwesen, Handel, Handwerk, Industrie, Kunst, Medizin und Wissenschaft. Die Deutschbalten spielten dabei eine besonders bedeutende Rolle. Sie bildeten nicht nur in den baltischen Staaten (mit Ausnahme Litauens) traditionell die adlige und bürgerliche Oberschicht. Auch im russischen Kernland gingen zahlreiche Diplomaten, Politiker und Offiziere aus ihren Reihen hervor. Allerdings waren die Deutschen keineswegs die einzige Minderheit in Russland, die wichtige gesellschaftliche Funktionen ausübte; manche dieser Aufgaben erfüllten auch Juden, Armenier und Tataren. Zudem blieb der Kern der politischen Elite auch nach der Verwestlichung des Landes durch die Reformen Zar Peters I. russisch.

Vgl. Hitler, Reden, Bd. II A, Zitat S. 116; Kappeler, Deutschen, S. 11 – 15, Zitat S. 15; Neuschäffer, Vasallen, S. 129 – 131; Kappeler, Rußland, S. 114; Kurilo, Deutschbalten, S. 386 – 388.

64 Hitlers Bild von Russland und der Oktoberrevolution wurde nicht nur durch die Flut antibolschewistischer Schriften geprägt, mit denen er als Soldat 1919/20 in Berührung gekommen war. Auch Alfred Rosenberg übte großen Einfluss auf ihn aus. Drei Ideologeme spielten bei Hitler eine zentrale Rolle: (1) der Glaube, dass sich die Juden im Ersten Weltkrieg und in den Revolutionen von 1917/18 gegen Russland und Deutschland verschworen hätten; (2) die Gleichsetzung von Juden und Bolschewiki; (3) die Vorstellung, die Juden hätten die nationale russische Intelligenz vernichtet. Einfluss auf Hitlers Russlandbild hatte auch der Deutschbalte Max Erwin von Scheubner-Richter, der im Baltikum gegen die Bolschewiki gekämpft hatte. Der Antisemitismus war bei ihm allerdings nicht so stark ausgeprägt wie etwa bei Rosenberg und Dietrich Eckart. Zudem war Scheubner-Richter, der am 9. 11. 1923 während des Hitler-Putschs getötet wurde, ein überzeugter Monarchist und propagierte eine deutsch-russische Zusammenarbeit.

Vgl. Laqueur, Deutschland, S. 72 – 97; Merz, Schreckbild, S. 432 – 448; Baur, Revolution, S. 166 f., 172, 178 f., 188 f.; Baur, Kolonie, S. 270 – 282; Brüggemann, Scheubner-Richter, S. 122 f., 129 f.; Kellogg, Roots, S. 70 – 73, 140; Koenen, Russland-Komplex, S. 266 – 276; Plöckinger, Soldaten, S. 218 – 281.

66 Anspielung auf die politische Entwicklung in Persien (Iran) nach dem Ersten Weltkrieg. Diese war aufgrund der Interventionen Großbritanniens und Sowjetrusslands sowie der innenpolitischen Machtkämpfe für mehrere Jahre äußerst prekär. Erst als das iranische Parlament die bisherige Schah-Dynastie der Kadscharen im Oktober 1925 für abgesetzt erklärte und den Offizier und Politiker Reza Khan zum neuen Schah von Persien ausrief, stabilisierte sich die Lage, sodass die Modernisierung des Landes beginnen konnte. Hitlers ohnehin zweifelhafter Vergleich zwischen dem »Perserreich« und der Sowjetunion, die angeblich beide vor dem Zusammenbruch stünden, wurde durch die Entwicklung im Iran ab 1925 gänzlich obsolet. In der 1929 veröffentlichten zweiten Auflage des zweiten Bands von Mein Kampf wurde der Verweis auf Persien deshalb komplett gestrichen. Seit 1930 wurde dafür der Satz eingefügt: »Das Riesenreich im Osten ist reif zum Zusammenbruch.« Damit war nur noch die Sowjetunion gemeint. Ein Bezug auf Persien blieb allerdings in der wenige Zeilen darauf folgenden Erwähnung des »Alexanderzugs« erhalten – auch in den späteren Auflagen.

Vgl. Nezam-Mafi, Qajar Iran, S. 338 – 345; Matin-Asgari, Pahlavi Era, S. 346 – 353.

67 Die russischen Juden gerieten während der Oktoberrevolution und dem anschließenden Bürgerkrieg zwischen alle Fronten. Die konterrevolutionäre »Weiße Bewegung« stellte in ihrer Propaganda das bolschewikische Regime als »jüdische Verschwörung« dar und verbreitete den Mythos, alle wichtigen Führer der Bolschewiki außer Lenin seien Juden. Den Juden wurden der Zarenmord, die Verfolgung der orthodoxen Kirche und der »Rote Terror« angelastet; die Verfolgung der Juden wurde als »Rache« der Konterrevolution gerechtfertigt. Doch auch in der Roten Armee waren antisemitische Traditionslinien aus der Zarenzeit nicht verschwunden, auch Rotarmisten waren für antisemitische Ausschreitungen verantwortlich. Insgesamt fielen den zahlreichen Pogromen, die von ukrainischen Nationalisten, von der »Weißen Bewegung«, der Roten Armee, polnischen Invasionstruppen und anderen Gruppen initiiert wurden, vermutlich mehr als 150.000 Juden zum Opfer. Des Weiteren wurden in den Jahren 1922/23 auf Weisung des Politbüros der Kommunistischen Partei Russlands mehr als 8.000 Geistliche ermordet, darunter zahlreiche Rabbiner.

Vgl. Figes, Tragödie, S. 715 – 718, Herbeck, Feindbild, S. 281 – 314, 373 – 398; Baberowski, Erde, S. 156; Budnitskii, Jews, S. 216 f.; Kap. I/11, S. 346, Anm. 145.

70 Hitlers Kritik richtete sich wohl vor allem gegen den »Straßer-Kreis« und Ernst Graf zu Reventlow, die ein Bündnis mit Russland forderten. Joseph Goebbels bezeichnete Reventlow am 12. 2. 1925 in seinem Tagebuch als »Sprecher der Völkischen«. Dagegen ist nicht klar, ob Hitler mit den »deutschnationalen Kreisen« nur die DNVP meinte oder auch Gruppen, die dieser Partei nahestanden. Die DNVP konnte als nationalkonservative Sammlungspartei radikale Kräfte ebenso mobilisieren wie konservative und christlich-soziale Gruppierungen. Sie wurde von mehreren Organen der Rechtspresse stark unterstützt, vor allem von der Neuen Preußischen Zeitung (Kreuzzeitung), der Deutschen Tageszeitung und der Deutschen Zeitung. Auch die Zeitschrift Gewissen, die sehr stark von Arthur Moeller van den Bruck geprägt war, stand ihr nahe. Diese Kreise sahen Anfang der 1920er Jahre in der deutsch-russischen Zusammenarbeit ein geeignetes Gegengewicht zur Pariser Friedensordnung. DNVP-Mitglieder, die sich für ein Bündnis mit Russland aussprachen, waren beispielsweise der Jurist Paul Eltzbacher sowie der Historiker Otto Hoetzsch.

Vgl. Goebbels, Tagebücher, Teil I, Bd. 1/I, Zitat S. 269; Döser, Russland, S. 25 – 37, 45, 74 f.; Merz, Schreckbild, S. 363; Kemper, Gewissen, S. 250, 372 – 374; Ohnezeit, Opposition, S. 99 – 110, 114 – 117; Anm. 8 in diesem Kapitel.

angeschwollen und blieben bestehen, solange der rassische Kern der bildenden Staatsrasse sich erhielt. Seit Jahrhunderten zehrte Rußland von diesem germanischen Kern seiner oberen leitenden Schichten.63 Er kann heute als fast restlos ausgerottet und ausgelöscht angesehen werden. An seine Stelle ist der Jude getreten.64 So unmöglich es dem Russen an sich ist, aus eigener Kraft das Joch der Juden abzuschütteln, so unmöglich ist es dem Juden, das mächtige Reich auf die Dauer zu erhalten. Er selbst ist kein Element der Organisation, sondern ein Ferment der Dekomposition.#1930: eingefügt: Das Riesenreich im Osten ist reif zum Zusammenbruch.65 Das Perserreich, das einst so gewaltige, ist heute ebenfalls reif zum Zusammenbruche66; und#1929: Das Perserreich, das einst so gewaltige, ist heute ebenfalls reif zum Zusammenbruche; und ersetzt durch: Und das Ende der Judenherrschaft in Rußland wird auch das Ende eines russischen Staates selbst#1930: eines russischen Staates selbst ersetzt durch: Rußlands als Staat sein. Wir sind vom Schicksal ausersehen, Zeugen einer Katastrophe zu werden, die die gewaltigste Bestätigung für die Richtigkeit der völkischen Rassentheorie sein wird.67

Unsere Aufgabe, die Mission der nationalsozialistischen Bewegung, aber ist, unser eigenes Volk zu jener politischen Einsicht zu bringen, daß es sein Zukunftsziel nicht im berauschenden Eindruck eines neuen Alexanderzuges68 erfüllt sieht, als#1930: als ersetzt durch: sondern vielmehr in der emsigen Arbeit des deutschen Pfluges, dem das Schwert nur den Boden zu geben hat.69

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Daß das Judentum einer solchen Politik gegenüber die schärfsten Widerstände ankündigt, ist selbstverständlich. Es fühlt besser als irgend jemand anderer#1937: anderer ersetzt durch: anders die Bedeutung dieses Handelns für seine eigene Zukunft. Gerade diese Tatsache sollte alle wirklich national gesinnten Männer über die Richtigkeit einer solchen Neuorientierung belehren. Leider aber ist das Gegenteil der Fall. Nicht nur in deutschnationalen, sondern sogar in »völkischen« Kreisen sagt man dem Gedanken solcher Ostpolitik heftigste Fehde an70, wobei man sich, wie fast immer bei ähnlichen Gelegenheiten, auf einen Größeren beruft. Bismarcks Geist wird zitiert, um eine Politik zu decken, die