Die S. A. bewährt sich als lebendige Kampforganisation <span class="pagenumber">[200]</span>

259 Die Standartenweihe der SA auf dem Münchner Marsfeld am 28. 1. 1923, bei der die vier aktivsten Hundertschaften der SA: München I und II, Nürnberg und Landshut, eine der von Hitler selbst entworfenen Standarten erhielten, war Teil des »Reichsparteitags« der NSDAP in München – der bis dahin spektakulärsten und auch einschüchterndsten Demonstration ihrer Macht. Zwei Tage lang, am 27. und 28. 1. 1923, organisierte sie in München zwölf Massenveranstaltungen sowie einige volkstümliche Einlagen, für die man Musikkapellen und Schuhplattler-Gruppen engagierte sowie den seinerzeit bekannten Humoristen Weiß Ferdl. Höhepunkt dieses Veranstaltungsmarathons war die einstimmige Wahl Hitlers zum Vorsitzenden der NSDAP – ein Akt, der dessen Vormachtstellung in der Partei noch einmal öffentlich und endgültig bestätigen sollte. Vollends zum Triumph wurde der Parteitag für die NS-Bewegung durch den Ausgang des politischen Tauziehens im Vorfeld dieses Ereignisses. Ursprünglich wollte die bayerische Staatsregierung die NS-Großveranstaltung verbieten; der Einspruch der Reichswehr brachte sie aber dazu, ihren Entschluss zu revidieren und die Genehmigung nur mit einigen vorsichtigen Auflagen zu versehen, die Hitler indes alle ignorierte.

Vgl. Jäckel/ Kuhn (Hrsg.), Hitler, Dok. 467; Fest, Hitler, S. 231 – 233; Longerich, Bataillone, S. 31 f.; München. »Hauptstadt der Bewegung«, S. 96; Kap. I/10, Anm. 212.

261 Die Bedeutung, welche die Ereignisse in Coburg für das Selbstverständnis von NSDAP und SA hatten, verdeutlicht auch das »Coburger Ehrenzeichen«, das am 15. 10. 1932 während der Coburger Hitler-Tage anlässlich des 10. Jahrestags gestiftet wurde. Dieser ovale Orden, der das Hakenkreuz als Symbol der NSDAP sowie ein senkrechtes Schwert als Symbol der SA zeigt, ferner die Veste Coburg sowie den Schriftzug: 1922 Mit Hitler in Coburg 1932, war neben dem »Blutorden« und dem »Deutschen Orden« eine der höchsten Auszeichnungen der NSDAP. Die Exklusivität des »Coburger Ehrenzeichens« wurde auch dadurch unterstrichen, dass nicht mehr als 436 Verleihungen an »Alte Kämpfer« bekannt sind.

Vgl. Hitler, Reden, Bd. V/2, Dok. 16; Patzwall, Ehrenzeichen; »Voraus zur Unzeit«, S. 31 f.; Kap. II/2, Anm. 168.

263 Dass die SA nach dem »Deutschen Tag« in Coburg im Oktober 1922 einheitlich eingekleidet wurde, hatte nicht nur praktische Gründe. Es entsprach auch ihrem wachsenden Selbstbewusstsein sowie dem damaligen Stil der politischen Kampfbünde des In- und Auslands. Nachdem Hitler am 22. 10. 1922 intern eine »gleichmäßige Ausrüstung der Sturmabteilungen« gefordert hatte, ging die NSDAP dazu über, die SA mit Hakenkreuzarmbinden, aber auch feldgrauen Windjacken, Bundhosen, Militärmänteln und einer speziellen SA-Mütze auszustatten. Die Einführung dieser Kopfbedeckung, die einer Skimütze ähnelte, soll Hitler selbst angeregt haben. Erstmals präsentiert wurde die neue Uniformierung bei der Standartenweihe der SA am 27. 1. 1923. Da die Partei den Ankauf dieser Bekleidung in der Regel nicht finanzierte, blieb aber das Erscheinungsbild der SA in der Öffentlichkeit »buntscheckiger«, als es Hitler und die NSDAP-Führung suggerierten. Dies blieb auch nach 1925 ein Problem; 1927 kostete eine vollständige SA-Uniform immerhin 39,55 Reichsmark, sodass noch 1931 nur etwa ein Drittel der SA-Männer mit einer solchen Uniform ausgerüstet war.

Vgl. Jäckel/ Kuhn (Hrsg.), Hitler, Dok. 411; Werner, SA, S. 46 f.; Balistier, Gewalt, S. 98 f.; Halcomb, SA, S. 3 – 21, 220 f.; Reichardt, Kampfbünde, S. 579 – 589, bes.S. 581 f.; Anm. 218 in diesem Kapitel.

264 Was darunter konkret zu verstehen war, sollte in den folgenden Jahren deutlich werden: Nach einer Statistik des Preußischen Ministeriums des Innern kam es 1928 in Preußen zu 318 Störungen politischer Versammlungen, die in 18,9 % der Fälle die NSDAP zu verantworten hatte (in 73,6 % die KPD). Die Zahlen für die folgenden Jahre lauten: 1929 579 Störungen politischer Versammlungen (19,5 % durch die NSDAP, 75,8 % durch die KPD); 1930 2.494 Fälle (20,9 % durch NSDAP, 75,1 % durch KPD); 1931 2.904 Störungen (22,6 % durch NSDAP, 64,5 % durch KPD); 1932 5.296 Störungen (28,2 % durch NSDAP, 57,6 % durch KPD). Nach ihrer »Machtergreifung« begannen die Nationalsozialisten, das Recht auf Versammlungsfreiheit, wie es Artikel 123 der Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. 8. 1919 garantiert hatte, rasch zu beseitigen. Mit den Verordnungen des Reichspräsidenten vom 4. 2. und 28. 2. 1933 wurde die Versammlungsfreiheit zunächst weitgehend eingeschränkt, dann ganz aufgehoben. Das Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich (»Ermächtigungsgesetz«) vom 24. 3. 1933 setzte dann die bisherige Verfassung des Deutschen Reichs faktisch außer Kraft. Nachdem sich alle Parteien – außer der NSDAP – selbst aufgelöst hatten (DNVP, BVP, Zentrum, DVP, DStP) oder verboten worden waren (KPD, SPD), verkündete die neue Reichsregierung im Gesetz gegen die Neubildung von Parteien vom 14. 7. 1933, dass die NSDAP künftig die »einzige politische Partei« in Deutschland sei.

Vgl. RGBl. 1933/I, S. 35 – 41, 83, 141, 479; Reichardt, Kampfbünde, S. 53 – 99, bes.S. 65. Zur Praxis der Nationalsozialisten, während der »Kampfzeit« gegnerische Veranstaltungen zu sprengen, vgl. Kap. II/7, Anm. 42.

266 Die Berichterstattung des Völkischen Beobachters sowie die dokumentierten Äußerungen Hitlers belegen, dass die NSDAP nach dem »Deutschen Tag in Coburg« am 14./15. 10. 1922 tatsächlich ein immer dichteres Veranstaltungsnetz über Bayern legte; nachweisen lassen sich folgende Veranstaltungen: 28. 10.: Rosenheim; 2. 11.: Waldkirchen; 4. 11.: Augsburg; 9. 11.: Nürnberg; 11. 11.: Bad Hals; 2. 12.: Vilshofen; 8. 12.: Traunstein; 9. 12.: Starnberg; 30. 12.: Deggendorf; 3. 1. und 27. 2. 1923: Nürnberg; 14. 1.: Berchtesgaden; 11. 2.: Erlangen; 15. 2., 23. 2.und 4. 3.: Pasing; 23. 2.: Forchheim; 23. 2. und 10. 3.: Ingolstadt; 24. 2.: Eichstätt; 24. 2.: Freising; 4. 3.: Endorf; 6. 3.: Straubing; 11. 3.: Landshut; 6. 5.: Murnau. München aber blieb – wie schon Hitlers Reden belegen – der Ort mit den meisten NSDAP-Versammlungen. Ganz abgesehen davon lassen sich die genannten, sehr unterschiedlichen Orte niemals unter der Rubrik »rote Hochburgen« verallgemeinern.

Vgl. Jäckel/ Kuhn (Hrsg.), Hitler, Dok. 412 – 527.

267 Wie sich Hitler das konkret vorstellte, ist einem Vernehmungsprotokoll von Fritz Huber zu entnehmen, der am 24. 7. 1922 der Münchner Polizei mitteilte, die Versammlungen der SA hätten »in einem abgeschlossenen Nebenzimmer des Sternecker[bräu]« stattgefunden. »Hitler sagte, dass mutige Leute die grösste Uebermacht nicht scheuen dürften. Als Zweck wurde uns gesagt, die St[urm-]A[bteilung] müsste die eigenen Versammlungen schützen und auch bei Sprengungen fremder Versammlungen mitwirken. […] Diese Anweisungen gab Hitler persönlich. Hitler sagte, wir sollten die Juden nur anrempeln auf der Strasse etc. damit diese von [sic!] uns ›Respekt‹ bekämen. Dieser Anweisung wurde Folge geleistet.«

Vgl. StA München, Pol. Dir. 6698: Vernehmungsprotokoll Fritz Huber vom 24. 7. 1922 (Zitat).

269 Eine Anspielung auf das Meineidverfahren, das nach wiederholten Vorerhebungen Anfang April 1926 gegen Hitler und Hermann Esser begann.

Vgl. Kapiteleinleitung, Anm. 2.

Möglicherweise scheut Hitler hier auch davor zurück, seine radikale Agitation während der Ruhrbesetzung zu kaschieren, nachdem er 1923 jegliche Unterstützung des passiven Widerstands gegen diese Besetzung abgelehnt hatte. Das führte zu Gerüchten, Hitler sei von französischer Seite bestochen worden. Tatsächlich plädierte Hitler jedoch für den Kampf gegen die Republik und – ohne Rücksicht auf die real existierenden Machtverhältnisse – für den aktiven militärischen Widerstand gegen Frankreich. Am 26. 2. 1923 gab er – einem Polizeibericht zufolge – im Münchner Löwenbräukeller die Parole aus: »Die politische Aktivität [Frankreichs] wird nicht durch den wirtschaftlichen Widerstand gebrochen, sondern durch den politischen Widerstand, und das ist zuletzt der Griff zur Waffe (Beifall). […] Es hat ein anderer Widerstand einzusetzen als der jetzige. […] Wir könnten den Franzosen aktiven Widerstand entgegensetzen, wenn das Volk den Willen dazu hätte; die Waffen wären dann gleich da.« Am 21. 8. 1923 verkündete er vollmundig im Zirkus Krone: »Was hat es zu sagen, wenn jetzt Industrieanlagen zugrundegehen? Kamine können zerbersten, Kohlengruben ersaufen, Häuser in Flammen aufgehen – wenn ein Volk dasteht, stark und unerschütterlich. Dann wird alles wieder auferstehen.« In Mein Kampf nahm sich Hitler demgegenüber deutlich zurück. In direktem Widerspruch zu seiner früheren Agitation heißt es im Kapitel Notwehr als Recht (II/15): »Nicht als ob man die Ruhrbesetzung durch militärische Maßnahmen hätte verhindern können. Nur ein Wahnsinniger konnte zu einem solchen Entschlusse raten.«

Vgl. Jäckel/ Kuhn (Hrsg.), Hitler, Dok. 493, 561, Zitate S. 835, 985; Hitler, Reden, Bd. I, Dok. 90; Plöckinger, Geschichte, S. 116, 213; Kap. II/15, Zitat S. 342 (Herv. i. Orig.).

Den größten Nutzen hatte allerdings die S.A.#1937: S. A. ersetzt durch: SA. selbst.258 Sie wuchs nun sehr schnell an, so daß beim Parteitag am 27. Januar 1923 bereits gegen sechstausend Mann an der Fahnenweihe teilnehmen konnten259 und dabei die ersten Hundertschaften in ihrer neuen#1937: ihrer neuen ersetzt durch: ihre neue;
1939: ihrer neuen Tracht vollkommen eingekleidet waren.260

Die Erfahrungen in Koburg hatten eben gezeigt, wie notwendig es ist, und zwar nicht nur um den Korpsgeist zu stärken261, sondern auch, um Verwechslungen zu vermeiden und dem gegenseitigen Nichterkennen vorzubeugen262, eine einheitliche Bekleidung der S.A.#1937: S. A. ersetzt durch: SA. einzuführen. Bis dahin trug sie nur die Armbinde, nun kam#1939: kam ersetzt durch: kamen die Windjacke und die bekannte Mütze dazu.263

Die Erfahrungen von Koburg hatten aber noch weiter die Bedeutung, daß wir nun daran gingen#1944: daran gingen ersetzt durch: darangingen, planmäßig in allen Orten, in denen der rote Terror seit vielen Jahren jede Versammlung Andersdenkender verhindert hatte, diesen zu brechen und die Versammlungsfreiheit herzustellen.264 Ab#1939: Ab ersetzt durch: Aber;
1944: Ab jetzt wurden immer wieder nationalsozialistische Bataillone in solchen Orten zusammengezogen265, und allmählich fiel in Bayern eine rote Hochburg nach der anderen der nationalsozialistischen Propaganda zum Opfer.266 Die S.A.#1937: S. A. ersetzt durch: SA. hatte sich immer mehr in ihre Aufgabe hineingewachsen [sic!], und sie war damit von dem Charakter einer sinnlosen und lebensunwichtigen Wehrbewegung immer weiter weggerückt und zu einer lebendigen Kampforganisation für die Errichtung eines neuen deutschen Staates emporgestiegen.267

Bis zum März 1923 währte diese logische Entwicklung. Dann trat ein Ereignis ein, das mich zwang, die Bewegung aus ihrer bisherigen Bahn zu nehmen und einer Umgestaltung zuzuführen.

3. Die in den ersten Monaten des Jahres 1923 erfolgte Besetzung des Ruhrgebietes268 durch die Franzosen hatte in der Folgezeit eine große Bedeutung für die Entwicklung der S.A.#1937: S. A. ersetzt durch: SA.

Es ist auch heute noch nicht möglich und besonders aus nationalem Interesse nicht zweckmäßig, in aller Öffentlichkeit darüber zu reden oder zu schreiben.269 Ich kann mich nur soweit#1937: soweit ersetzt durch: so weit;
1939: soweit;
1944: so weit äußern, als in öffentlichen Verhandlungen dieses Thema schon berührt und der Öffentlichkeit dadurch zum Bewußtsein#1929: zum Bewußtsein ersetzt durch: zur Kenntnis gebracht worden ist.