Redner und Revolution <span class="pagenumber">[117]</span>

82 In Kontakt mit dem Bayreuther Wagnerkreis kam Hitler erstmals am 30. 9. 1923, bei einem Besuch des Rassenideologen und Schwiegersohn Richard Wagners, Houston Stewart Chamberlain. Er lernte dabei auch die Familie Wagner kennen, von der er in der Folgezeit – auch finanziell – gefördert wurde. Auf das Bayreuther Festspielhaus und dessen Aura war Hitler schon früh durch seinen Mentor Dietrich Eckart hingewiesen worden, der bereits 1894 als Theaterkritiker über die Bayreuther Festspiele berichtet hatte. Noch in der Nacht auf den 1. 3. 1942 erinnerte sich Hitler: »Dietrich Eckart […] hatte mir immer vorgeschwärmt: Weißt du, die Atmosphäre in Bayreuth ist schon etwas Wunderbares!« Seine erste Auf‌führung des Parsifal erlebte Hitler während der Bayreuther Festspiele vom 29. 7. bis zum 8. 8. 1925, unmittelbar nach dem Erscheinen des ersten Bands von Mein Kampf.

Vgl. Hitler, Monologe, Zitat S. 307 f.; Fest, Hitler, bes.S. 73 – 78, 87 f.; Hamann, Wien, S. 39 f.; Kershaw, Hitler, Bd. 1, S. 52 f., 76 – 78, 240; Hamann, Wagner, S. 73 – 100, 117 – 156; Plöckinger, Geschichte, S. 33, 90 f.; Kap. I/10, Anm. 219; Kap. II/15, Anm. 113.

83 Diese bezeichnende Passage fiel Gegnern und Kritikern des Nationalsozialismus schon früh ins Auge. So heißt es – vor allem mit Blick auf die erste Hälfte dieses Absatzes – in der 1930 veröffentlichten Broschüre Kommt »Das Dritte Reich«? der Journalisten Walter Oehme und Kurt Caro: »Es bedeutet wahrlich kein Ruhmesblatt für eine Bewegung, wenn sie sich voll und ganz darauf verlassen muß, die Sinne ihrer Anhänger erst zu betäuben, ehe sie sie zu gewinnen vermag.« Der Kapuzinerpater Ingbert Naab kommentierte Hitlers Darstellung in seiner – über religiöse Fragen deutlich hinausgehenden – Schrift Ist Hitler ein Christ? (1931) wiederum mit den Worten: »[Hitler] hat erfahren, daß Versammlungen am Vormittag seine Zuhörer kalt ließen. Wir anderen Menschen sind riesig froh, wenn wir uns an Leute wenden können, die im Vollbesitz ihrer ›geistigen und willensmäßigen Spannkraft‹ sind. […] Wenn es mit einer Sache so steht, daß man bei einer Besprechung am Tag nichts erreichen kann, muß es mit der Überzeugungskraft und der inneren Wahrheit der Gründe doch faul bestellt sein. Man ersieht auch daraus, wie Hitler seine Zuhörerschaft einschätzt! Wenn er sie gewinnen will, müssen sie geistig und willensmäßig gelähmt sein, sie müssen fanatisch und hysterisch gemacht werden. Das ist tatsächlich Demagogie in Reinkultur!«

Vgl. Oehme/ Caro, Reich, Zitat S. 21; Naab, Hitler, Zitat S. 36 (Herv. i. Orig.); Plöckinger, Geschichte, bes.S. 285 f.

84 Mit katholischen Riten kam Hitler in enge Berührung, als er während seiner Zeit an der Volksschule Lambach die Sängerknabenschule im dortigen Benediktinerstift besuchte. Im Kapitel Im Elternhaus (I/1) beschreibt er, wie er dabei »beste Gelegenheit« gehabt habe, sich »oft und oft am feierlichen Prunke der äußerst glanzvollen kirchlichen Feste zu berauschen«. Aussagen dieser Art können jedoch nicht über Hitlers feindseliges Verhältnis gegenüber den Kirchen hinwegtäuschen. Während er öffentlich stets bemüht war, die christliche (Wahl-)Bevölkerung nicht durch herablassende Äußerungen vor den Kopf zu stoßen, nahm Hitler im vertrauten Kreis kein Blatt vor den Mund: »Wer naturgemäß lebt«, so behauptete er am 14. 10. 1941, gerate unweigerlich in einen »Gegensatz zur Kirche«. Für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg kündigte Hitler an, »dafür sorgen« zu werden, dass »die Kirchen keine Lehren mehr verkünden, die mit unseren Lehren in Widerspruch stehen«. Welche Verachtung Hitler gerade für den Klerus empfand, illustriert eine Äußerung vom 8. 2. 1942 gegenüber Heinrich Himmler und Albert Speer: »Der größte Krebsschaden sind unsere Pfarrer beider Konfessionen! Ich kann ihnen jetzt [während des Kriegs] die Antwort nicht geben, aber das kommt alles in mein großes Notizbuch. Es wird der Moment kommen, wo ich mit ihnen abrechne ohne langes Federlesen.«

Vgl. Hitler, Monologe, Zitate S. 85, 272; Hamann, Wien, S. 18 f.; Kershaw, Hitler, Bd. 1, S. 44 f.; Kap. I/1, Zitat S. 3; Kap. II/2, Anm. 172; Kap. II/5, Anm. 33.

Markgrafenstadt kann nicht durch Äußeres ersetzt oder auch nur eingeholt werden.82

In allen diesen Fällen handelt es sich um Beeinträchtigungen der Willensfreiheit des Menschen. Am meisten gilt dies natürlich für Versammlungen, in die an sich Menschen von gegenteiliger Willenseinstellung kommen, und die nunmehr einem neuen Wollen gewonnen werden müssen. Morgens und selbst tagsüber scheinen die willensmäßigen Kräfte der#1944: der ersetzt durch: des Menschen sich noch in höchster Energie gegen den Versuch der Aufzwingung eines fremden Willens und einer fremden Meinung zu sträuben. Abends dagegen unterliegen sie leichter der beherrschenden Kraft eines stärkeren Wollens. Denn wahrlich stellt jede solche Versammlung einen Ringkampf zweier entgegengesetzter Kräfte dar. Der überragenden Redekunst einer beherrschenden Apostelnatur wird es nun leichter gelingen, Menschen dem neuen Wollen zu gewinnen, die selbst bereits eine Schwächung ihrer Widerstandskraft in natürlichster Weise erfahren haben, als solche, die noch im Vollbesitz ihrer geistigen und willensmäßigen Spannkraft sind.83

Dem gleichen Zwecke#1944: Zwecke ersetzt durch: Zweck dient ja auch der künstlich gemachte und doch geheimnisvolle Dämmerschein katholischer Kirchen, die brennenden Lichter, Weihrauch, Räucherpfannen usw.84

In diesem Ringkampf des Redners mit den zu bekehrenden Gegnern wird dieser allmählich jene wundervolle Feinfühligkeit für die psychologischen Bedingungen der Propaganda bekommen, die dem Schreibenden fast stets fehlen. Daher wird das Geschriebene in seiner begrenzteren#1937: begrenzteren ersetzt durch: begrenzten;
1939: begrenzteren;
1944: begrenzten Wirkung im allgemeinen mehr der Erhaltung, Festigung und Vertiefung einer bereits vorhandenen Gesinnung oder Ansicht dienen. Alle wirklich großen historischen Umwälzungen sind nicht durch das geschriebene Wort herbeigeführt, sondern höchstens von ihm begleitet worden.85

Man glaube nicht, daß die französische#1937: französische ersetzt durch: Französische;
1944: französische Revolution je durch philosophische Theorien zustande gekommen wäre, hätte sie#1937: sie ersetzt durch: sich;
1939: sie nicht eine durch Demagogen größten Stils geführte Armee von Hetzern gefunden, die die Leidenschaften des an sich gequälten Volkes aufpeitschten, bis endlich jener furchtbare Vulkanausbruch erfolgte, der ganz Europa in Schrecken erstarren ließ. Und ebenso ist die größte revolutionäre