Die beste Staatsverfassung <span class="pagenumber">[88]</span>

33 Während des 19. Jahrhunderts begann sich der Genie-Begriff deutlich zu verändern. Ursprünglich auf die innovative Kraft und den originellen Geist überragender Denker und Künstler gemünzt, verengte sich das Bild des Genies sukzessive auf die Vorstellung von einem heroischen »Übermenschen«, der sich gegen jeden äußeren Widerstand durchzusetzen verstünde. Daran orientierte sich auch Hitler. Das von ihm skizzierte Verhältnis zwischen »Genie« und »normaler Menschheit« erinnert – in zugespitzter und trivialisierter Form – an die Verwendung des Genie-Begriffs in Arthur Schopenhauers Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung (1819) wie auch an den Genie-Begriff in Friedrich Nietzsches Spätwerk Götzen-Dämmerung (1889). So verglich Nietzsche »Genies« mit »Explosiv-Stoffe[n]« von »ungeheure[r] Kraft«, auf die lange »hin gesammelt, gehäuft, gespart und bewahrt« werden müsse. Werde »die Spannung in der Masse« schließlich zu groß, genüge »der zufälligste Reiz, das ›Genie‹, die ›That‹«, um das »grosse Schicksal in die Welt zu rufen«. Was, so Nietzsche, liege dann noch »an Umgebung, an Zeitalter, an ›Zeitgeist‹, an ›öffentlicher Meinung‹!«

Vgl. Nietzsche, Werke (1999), Bd. 6, Zitat S. 145; Schmidt, Geschichte, Bd. 1, S. 467 – 476; Schmidt, Geschichte, Bd. 2, S. 129 – 212; Schwarz, Geniewahn, S. 51 – 53, 89 – 94; Ullrich, Hitler, Bd. 1, S. 79. Zu Hitlers Verhältnis zu Schopenhauer vgl. auch Kap. I/11, Anm. 110.

35 Dieser Gedanke war Kern des »Führerprinzips«, einem zentralen Strukturmerkmal und Ordnungsideal der NSDAP, das Parteifunktionären auf allen Hierarchieebenen in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich relative Eigenständigkeit gewährte. Im Gegenzug wurde unbedingter Gehorsam gegenüber den jeweiligen Vorgesetzten eingefordert, während kollektive Formen der politischen Willensbildung unterbunden wurden. Daraus ergab sich eine pyramidale Hierarchie, an deren Spitze Hitler stand, der als »Führer« Quelle aller Autorität war. Die Durchsetzung des »Führerprinzips« war schon im Sommer 1921 Gegenstand einer parteiinternen Auseinandersetzung, in der Hitler einen kurzzeitigen Parteiaustritt als Druckmittel nutzte und erst nach der Übertragung weitreichender Vollmachten wieder in die NSDAP eintrat. Nach der Neugründung der Partei im Februar 1925 wurde Hitlers alleiniger Führungsanspruch erneut in Frage gestellt, sowohl in der Münchner Ortsgruppe, vor allem aber vom linken Parteiflügel um Gregor Straßer und Joseph Goebbels. Auch gegenüber jenen Gruppen, die in den Jahren des Parteiverbots als Auf‌fangbecken der NS-Anhänger gedient hatten, etwa der Nationalsozialistischen Freiheitsbewegung, musste Hitler seinen Führungsanspruch erst wieder durchsetzen, was ihm ab 1926 zunehmend gelang. Gleichwohl war die Geschichte der NSDAP bis 1933 von zahlreichen Krisen geprägt, die sich etwa an Personen wie Otto oder Gregor Straßer entzündeten. Auch die SA sorgte aufgrund ihres »stark entwickelten Eigengewicht[s] und Selbstbewußtsein[s]« zunehmend für Unruhe in den eigenen Reihen. Vor allem die Rebellion der Berliner SA im Frühjahr 1931 stellte Hitlers Führungsanspruch infrage. Erst mit der Machtübernahme 1933 setzte sich das »Führerprinzip« in der NSDAP endgültig durch und war seit dem »Röhm-Putsch« vom 30. 6. 1934 schließlich unangefochten. Das »Führerprinzip« hatte auch eine sozialdarwinistische Dimension, da es Konkurrenzdenken in der NSDAP und Kompetenzkämpfe zwischen verschiedenen Institutionen von Partei und Staat sowie einzelnen politischen Akteuren förderte. Indem Hitler nach 1933 darüber hinaus »Sonderbeauftragte« und »Kommissare« einsetzte, die nur ihm persönlich verantwortlich waren oder ganz bestimmte »Führerbefehle« durchzusetzen hatten, wurden diese Spannungen verschärft, zugleich aber Hitlers Stellung als einzig maßgebliche Autorität gestärkt. Durch diese Auswüchse wurde das erklärte Ziel einer effizienteren Staatsführung und Bürokratie, das im »Führerprinzip« ebenfalls angedacht war, in der politischen Praxis des Dritten Reichs vielfach unterlaufen.

Vgl. Kershaw, Hitler-Mythos, bes.S. 25 – 89; Longerich, Bataillone, S. 109 – 111, Zitat S. 149; Rösch, NSDAP, bes.S. 186 – 190; Hachtmann/ Süß, Kommissare; Nolzen, Partei; Wehler, Nationalsozialismus, S. 99 – 112; Ullrich, Hitler, Bd. 1, S. 254 – 275, 378 – 382.

anerkennt und so auf allen Gebieten jenes Höchstmaß produktiver Leistungsfähigkeit einleitet, die dem einzelnen auch ein Höchstmaß an Anteil gewährt.

Und der völkische Staat hat demgemäß die gesamte, besonders aber die oberste, also die politische Leitung restlos zu befreien#1929: gestrichen: zu befreien vom parlamentarischen Prinzip der Majoritäts-, also Massenbestimmung#1929: eingefügt: zu befreien, um an Stelle dessen das Recht der Person einwandfrei sicherzustellen.

Daraus ergibt sich folgende Erkenntnis:

Die beste Staatsverfassung und Staatsform ist diejenige, die mit natürlichster Sicherheit die besten Köpfe der Volksgemeinschaft zu führender Bedeutung und zu leitendem Einfluß bringt.32

So wie#1929: So wie ersetzt durch: Wie aber im Wirtschaftsleben die fähigen Menschen nicht von oben zu bestimmen sind, sondern sich selbst durchzuringen haben, und so wie hier die unendliche Schulung vom kleinsten Geschäft bis zum größten Unternehmen selbst gegeben ist und nur das Leben dann die jeweiligen Prüfungen vornimmt, so können natürlich auch die politischen Köpfe nicht plötzlich »entdeckt« werden. Genies außerordentlicher Art lassen keine Rücksicht auf die normale Menschheit zu.33

Der Staat muß in seiner Organisation, bei der kleinsten Zelle der Gemeinde angefangen bis zur obersten Leitung des gesamten Reiches, das Persönlichkeitsprinzip verankert haben.

Es gibt keine Majoritätsentscheidungen, sondern nur verantwortliche Personen, und das Wort »Rat« wird wieder zurückgeführt auf seine ursprüngliche Bedeutung. Jedem Manne stehen wohl Berater zur Seite, allein die Entscheidung trifft ein Mann.

Der Grundsatz, der das preußische Heer seinerzeit zum wundervollsten Instrument des deutschen Volkes machte34, hat in übertragenem Sinne dereinst der Grundsatz des Aufbaus#1930: Aufbaus ersetzt durch: Aufbaues unserer ganzen Staatsverfassung zu sein: Autorität jedes Führers nach unten und Verantwortlichkeit nach oben.35

Auch dann wird man nicht jener#1937: jener ersetzt durch: jene Korporationen entbehren können, die wir heute als Parlamente bezeichnen. Allein ihre Räte werden dann wirklich beraten, aber die Verantwortung kann und darf immer