Rasse und Kultur <span class="pagenumber">[305]</span>

35 Diese sozialdarwinistisch konnotierte Aussage erinnert an eine Passage des Buchs Der Wille zur Macht – eine selektive und vielfach verfälschte Kompilation von Texten aus dem Nachlass Friedrich Nietzsches, die 1906 in vier Bänden von Elisabeth Förster-Nietzsche, der Schwester des Philosophen, und von Peter Gast herausgegeben wurde. In diesem – lange Zeit fälschlicherweise als »Hauptwerk« Nietzsches geltenden – Buch heißt es: »Eine Kriegserklärung der höheren Menschen an die Masse ist nötig! […] Alles, was verweichlicht, sanft macht, das ›Volk‹ zur Geltung bringt oder das ›Weibliche‹, wirkt zugunsten des suffrage universel, d. h. der Herrschaft der niederen Menschen. […] Es bedarf einer Lehre, stark genug, um züchtend zu wirken: stärkend für die Starken, lähmend und zerbrechend für die Weltmüden. Die Vernichtung der verfallenden Rassen. […] Die Herrschaft über die Erde, als Mittel zur Erzeugung eines höheren Typus.« Ob Hitler sich ernstlich in Nietzsches Werk vertiefte, ist unklar, auch wenn Ernst Hanfstaengl ihm die Lektüre für die Haftzeit in Landsberg empfohlen haben soll. Wiederholte Bezugnahmen Hitlers auf Nietzsche sind erst für die Zeit belegt, nachdem er Elisabeth Förster-Nietzsche am 3. 2. 1932 im Weimarer Nietzsche-Archiv einen Besuch abgestattet hatte. Unabhängig davon stand Der Wille zur Macht zu Beginn der 1930er Jahre im Zentrum der deutschen Nietzsche-Rezeption, wobei die missbräuchliche Aneignung propagandistisch zugkräftiger Formulierungen aus dem Werk des Philosophen und dessen Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten bereits von manchen Zeitgenossen beklagt wurde, so etwa von Oswald Spengler.

Vgl. Nietzsche, Werke (1930/31), Bd. 6, Zitat S. 582 f. (Herv. i. Orig.); Koktanek, Spengler, S. 459; Montinari, Nietzsche; Zapata Galindo, Triumph, S. 81 ff.; Fuchs, Wille; Golomb/ Wistrich, Introduction; Kershaw, Hitler, Bd. 1, S. 75, 298; Ryback, Bücher, S. 97, 161 – 166.

36 Hitler meint hier den »Arier«. Am 6. 8. 1927 erklärte er auf einer NSDAP-Versammlung in Heidelberg: »Wir wissen, daß das, was den Menschen ausmacht, was seine Höhe ausmacht, ausschließlich das Ergebnis eines besonderen Menschen ist, […] nämlich des arischen Menschen, und daß die gesamte Kultur von ihm ihre Befruchtung erhalten hat, und daß in dem Augenblick, in dem diese Befruchtung aufhört, diese Kulturen im günstigsten Falle erstarren und tot werden.« Originell waren diese Auslassungen freilich nicht, vielmehr gehörten sie zum Standardrepertoire völkischer Autoren. So behauptete Otto Hauser im Jahr 1924, der »nordische Mensch allein« habe »Kultur in unserem Sinne hervorgebracht«. Auch Max Robert Gerstenhauer, führender Aktivist des Deutschbunds, erklärte 1920 »die arische Rasse« zur »Edelrasse der Menschheit«, welche »unsere ganze hohe europäisch-asiatische Kultur geschaffen« habe. Eine »Zerstörung des unvermischten, besseren arischen Menschenmaterials« durch Einfließen »fremde[n] Mischblut[s]« hielt Gerstenhauer – im Anschluss an Joseph Arthur de Gobineau und Houston Stewart Chamberlain – für einen »Frevel an der Menschheit und an der Kultur […]. Was wir jetzt durch Mischung verderben, bleibt verdorben für alle Ewigkeit.« Nicht alle völkischen Autoren teilten indes diesen Pessimismus; viele glaubten, »Rassenreinheit« ließe sich durch gezielte Züchtung wiederherstellen. Eugen Fischer vertrat schon vor dem Ersten Weltkrieg seine Überzeugung, dass ein »Rassengemisch« auch wieder »entmischt« werden könne. Der in München lebende österreichische Mediziner Max Ritter von Gruber schrieb 1919: »Jedes Volk besteht aus einer ungeheuren Zahl von ›Rassen‹ und es gibt für jedes Volk keine heiligere, sittlichere Forderung als die, aus sich selbst heraus eine Edelrasse der Zukunft zu züchten!«

Vgl. Hitler, Reden, Bd. II/2, Dok. 160, Zitat S. 440; Fischer, Problem, S. 22 f.; Gruber, Bevölkerungspolitik, Zitat S. 324 (Herv. i. Orig.); Gerstenhauer, Rasse, Zitate S. 81 f.; Hauser, Rassezucht, Zitat S. 38; Mühlen, Rassenideologien, S. 146 – 148, 158; Kudlien, Gruber; Breuer, Ordnungen, S. 60 – 74; Puschner, Bewegung, S. 173 – 176; Anm. 20, 40 in diesem Kapitel; Kap. II/1, Anm. 41; Kap. II/2, Anm. 51.

37 Diese Passage verweist auf die nationalsozialistische Blut-und-Boden-Ideologie, die in den 1930er Jahren vor allem Richard Walther Darré vertrat. Darré konstruierte einen Zusammenhang zwischen der »Rasse« und ihrem Recht sowie ihrer Fähigkeit, ein Land bäuerlich zu nutzen. Demnach bildeten der rassisch definierte »Volkskörper« und sein Siedlungsgebiet eine Einheit. Bei Darré verknüpfte sich das Konzept von »Blut und Boden« mit einem starken Antisemitismus. Dass nur wenige landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland von Juden geführt wurden, sah er als Beweis dafür, dass Juden unfähig zur Staatenbildung seien: Die »Lebensfähigkeit jeder Staatsführung«, so Darré am 26. 2. 1935, sei »bedingt von gewissen Grundgesetzen der Stetigkeit, und diese hierfür notwendigen charakterlichen Eigenschaften entwickeln sich leichter oder ausschließlicher in der Landbevölkerung als in der fluktuierenden Masse einer von Gesichtspunkten der Wirtschaftskonjunktur gehetzten nicht ländlichen Bevölkerung.« In den Augen ihrer Verfechter legitimierte die Blut-und-Boden-Ideologie den gewaltsamen Erwerb neuen »Lebensraums«. 1934 schrieb Darré in einem Aufsatz zur »Bodenfrage«: »Die Freizügigkeit des Handels mit Grund und Boden ist […] die Quelle allen sozialen Elends eines Volkes. Diese Tatsache liegt in der Unvermehrbarkeit des Bodens begründet. Der Ausweg ist bei schwachen Völkern immer ein entweder unerhörtes soziales Elend im Innern oder bei starken Völkern eine Abreagierung dieses innerpolitischen Druckes auf imperialistische Eroberungen, um die Bodenfrage in diesem Sinne zu beantworten.«

Vgl. Darré, Blut, Zitate S. 293, 299 (Herv. i. Orig.); D’Onofrio, Rassenzucht; Nielsen, Blut, S. 41; Kap. II/14, Anm. 111.

38 Dieser Satz wurde im Dritten Reich ein beliebter Sinnspruch, der nicht nur auf Widmungsblättern in Hochzeitsausgaben von Mein Kampf abgedruckt, sondern 1943 gar als »symphonisches Chorwerk für gemischten Chor und großes Orchester« vertont wurde. Die Vorstellung, dass »Rassenkämpfe« die treibenden Kräfte der Geschichte seien, war dabei nicht neu. Schon 1875 hatte der antisemitische Publizist Ottomar Beta unter dem Eindruck des Kulturkampfs geschrieben: »[E]ntweder dem indogermanischen Sozialismus, Gerechtigkeits- und Wahrheitsgefühl, d. h. dem wahren Christenthum[,] oder dem semitischen Judaismus und Jesuitismus, dem verfälschten Christenthum, gehört die Weltherrschaft. Dieser Kampf wüthet auf Deutschlands Boden. Der Sieg des letzteren wäre eine Geissel für die Menschheit, denn er verhängt die Sklaverei über die Welt.« Die »unvereinbaren Racen«, so Beta weiter, würden einen »Kampf um’s Dasein« führen, der »Ariergeist« ringe mit dem »Semitenthum«. Houston Stewart Chamberlain verengte in seinen Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts die Weltgeschichte ebenfalls auf einen Kampf der Rassen. Gleichzeitig warnte er jedoch, nichts sei »gefährlicher[,] als Geschichte aus einem einzigen Prinzipe herauskonstruieren zu wollen«; entscheidend für Geschichte und Politik sei nicht allein die Rasse, sondern auch die Religion.

Vgl. Beta, Darwin, Zitate S. 20, 32, 43; Chamberlain, Grundlagen, Bd. 1, S. 7, 327; Bd. 2, S. 1006 (Zitat), 1022; Plöckinger, Geschichte, S. 415; Denk, Konstruktion, S. 35. Zum Kulturkampf vgl. Kap. II/10, Anm. 81.

Ideologen, sondern der Erkenntnis und rücksichtslosen Anwendung eherner Naturgesetze verdanken.35

Alles, was wir heute auf dieser Erde bewundern – Wissenschaft und Kunst, Technik und Erfindungen – ist nur das schöpferische Produkt weniger Völker und vielleicht ursprünglich einer Rasse. Von ihnen hängt nun aber# 1926: gestrichen: nun aber auch der Bestand dieser ganzen Kultur ab. Gehen sie zugrunde, so sinkt mit ihnen auch# 1926: gestrichen: auch die Schönheit dieser Erde in das# 1930: in das ersetzt durch: ins Grab.36

Wie sehr auch zum Beispiel der Boden die Menschen zu beeinflussen vermag, so wird doch das Ergebnis# 1930: eingefügt: des Einflusses immer verschieden sein, je nach den in Betracht kommenden Rassen. Die geringe Fruchtbarkeit eines Lebensraumes mag die eine Rasse zu höchsten Leistungen anspornen, bei einer anderen wird dies# 1926: dies ersetzt durch: sie nur die Ursache zu bitterster Armut und endlicher Unterernährung mit all ihren Folgen. Immer ist die innere Veranlagung der Völker bestimmend für die Art der Auswirkung äußerer Einflüsse. Was bei den einen zum Verhungern führt, erzieht die anderen zu harter Arbeit.37

Alle großen Kulturen der Vergangenheit gingen nur zugrunde, weil die ursprünglich schöpferische Rasse an Blutsvergiftung# 1944: Blutsvergiftung ersetzt durch: Blutvergiftung abstarb.

Immer war die letzte Ursache eines solchen Unterganges das Vergessen, daß alle Kultur eben# 1926: gestrichen: eben von# 1944: von ersetzt durch: vom Menschen abhängt und nicht umgekehrt; daß also, um eine bestimmte Kultur zu retten# 1930: retten ersetzt durch: bewahren , der sie erschaffende Mensch erhalten werden muß. Diese Erhaltung aber ist gebunden an das eherne Gesetz der Notwendigkeit und des Rechtes des Sieges# 1939: gestrichen: des Sieges; 1944: wieder eingefügt: des Sieges des Besten und Stärkeren auf dieser Welt# 1930: gestrichen: auf dieser Welt .

Wer leben will, der kämpfe also, und wer nicht streiten will in dieser Welt des ewigen Ringens, verdient das Leben nicht.38

Selbst wenn dies hart wäre, so ist es aber nun# 1926: wäre, so ist es aber nun ersetzt durch: wäre – es ist nun einmal so.# 1930: Punkt ersetzt durch: Ausrufezeichen Sicher jedoch ist das noch# 1926: gestrichen: noch weitaus härteste das# 1926: gestrichen: das Schicksal# 1930: eingefügt: jenes , das den Menschen trifft, der die Natur glaubt »überwinden«# 1926: »überwinden« ersetzt durch: überwinden zu können und sie im Grunde genommen doch nur zu verhöhnen scheint# 1930: zu verhöhnen scheint ersetzt durch: verhöhnt . Not, Unglück und Krankheiten sind dann ihre Antwort!

Der Mensch, der die Rassengesetze verkennt und mißachtet, bringt sich wirklich um das Glück, das ihm bestimmt erscheint. Er verhindert den Siegeszug der besten Rasse und damit aber auch die Vor-