Forderung des freien Kräftespiels <span class="pagenumber">[13]</span>

41 Die sich bisweilen zu Vergöttlichungen steigernde religiöse Überhöhung des »Ariers« besaß eine lange Tradition in der völkischen Bewegung. Demselben Ideenfeld entstammt die fixe Vorstellung, Jesus Christus sei »Arier« gewesen – eine Idee, die mit der Forderung einherging, das Christentum müsse von allen jüdischen Einflüssen befreit werden. In Deutschland wurden diese Ansichten unter anderem von Paul de Lagarde, Ernst Haeckel, Houston Stewart Chamberlain und Adolf Bartels prominent vertreten. Letzterer kleidete seine Überzeugung 1918 in die Worte: »Christus nun war unserm Glauben nach Arier, das Christentum ist uns eine arische Religion, wir Germanen und Deutschen sind zu dieser Religion gekommen, weil sie unserem Wesen entsprach, und wir haben nun das Recht, ja die Pflicht, den arischen Charakter der Religion zu bewahren, ihn neu herauszugestalten, wenn er durch fremde Einflüsse zu verschwinden droht.« Auch Hitlers Mentor Dietrich Eckart bezeichnete 1920 die »jüdische Abstammung Christi« als eine »irrsinnige Lüge«. Innerhalb der NS-Bewegung war es schließlich vor allem Alfred Rosenberg, der Christus zu einem »Arier« stilisierte. In seiner Schrift Die Protokolle der Weisen von Zion und die jüdische Weltpolitik (1923) behauptete er gar, »Christus« sei »das judenfeindlichste Prinzip, das sich denken« lasse.

Vgl. Chamberlain, Grundlagen, Bd. 1, S. 282; Bartels, Deutschchristentum, Zitat S. 269; Eckart, Jude, Zitat S. 59; Rosenberg, Protokolle, Zitat S. 119; Puschner, Bewegung, S. 214 – 222; Leutzsch, Mythos, S. 176 – 178.

44 Das Bild einer »geschlossenen Front« der politischen Linken basiert auf dem für das Denken der völkischen Bewegung charakteristischen Irrglauben, alle Linksparteien seien jüdisch dominiert und letztlich gleichgeartete Instrumente des »Weltjudentums« und seiner Interessen. Dass das politische Leben der Republik diese Vorstellung unentwegt widerlegte, änderte nichts an der Zählebigkeit dieser Legende. Nach der Gründung der KPD im Januar 1919 verwarf die SPD-Führung jede Zusammenarbeit mit den Kommunisten und setzte zur Koalitionsbildung auf das bürgerliche Lager. Eine Räteherrschaft, wie sie die KPD anstelle der parlamentarischen Demokratie erstrebte, lehnte die SPD ab. Kommunistische Autoren diffamierten die SPD infolgedessen als eine Partei von »Arbeiterverrätern« und sahen in ihr die Beschützerin einer repressiven kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Innerhalb der Komintern – und daher auch in der KPD – steigerte sich die Verachtung der Sozialdemokratie seit Mitte der 1920er Jahre gar zu der Theorie, Faschismus und Sozialdemokratie hätten sich zu einer gemeinsamen, arbeiterfeindlichen Politik verschworen. Diesen kruden, als »Sozialfaschismusthese« bekannt gewordenen Trugschluss skizzierte Josef Stalin bereits 1924: »Der Faschismus ist eine Kampforganisation der Bourgeoisie, die sich auf die aktive Unterstützung der Sozialdemokratie stützt. Die Sozialdemokratie ist objektiv der gemäßigte Flügel des Faschismus. […] Diese Organisationen schließen einander nicht aus, sondern ergänzen einander. Das sind keine Antipoden, sondern Zwillingsbrüder.« Seit Gründung des Roten Frontkämpferbunds im Jahr 1924 kam es daher immer wieder zu gewaltsamen Konfrontationen mit dem überwiegend sozialdemokratischen Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Während des Aufstiegs der

NSDAP zur Massenpartei seit 1930 galt dann ausgerechnet die SPD in der KPD als politischer »Hauptfeind«, auf den sich der Kampf in erster Linie zu richten habe.

Vgl. Weber (Hrsg.), Kommunismus, Zitat S. 181; Weber, Hauptfeind; Winkler, Weimar, bes.S. 351 f., 460 f.; Faulenbach, Rolle; Büttner, Weimar, bes.S. 74 – 83; Anm. 17 in diesem Kapitel; Kap. II/2, Anm. 149; Kap. II/13, Anm. 92.

45 Das Unvermögen, eine bestandsfähige und ideologisch homogene Dachorganisation zu etablieren, war kennzeichnend für die völkische Bewegung des Kaiserreichs. Demgegenüber schloss sich nach dem Ersten Weltkrieg eine Vielzahl unterschiedlich orientierter Gruppierungen in dem seit Februar 1919 bestehenden Deutschen (ab Oktober 1919: Deutschvölkischen) Schutz- und Trutzbund zusammen. Dieser erreichte bis zu seinem Verbot im Sommer 1922 zwar die imposante Zahl von knapp 170.000 Mitgliedern und entfaltete eine einflussreiche antisemitische Agitation, wurde in den Jahren seines Bestehens jedoch fortwährend durch heftige interne Konflikte und ständige Kompetenzstreitigkeiten erschüttert.

Vgl. Lohalm, Radikalismus, bes.S. 88 – 99, 256 – 272; Puschner, Bewegung, S. 265 – 270; Puschner, Strukturelemente; Breuer, Völkischen, S. 150 – 160; Kap. II/5, Anm. 6.

kischen Weltanschauung als das fluchwürdigste Verbrechen. Wer die Hand an das höchste Ebenbild des Herrn zu legen wagt, frevelt am gütigen Schöpfer dieses Wunders und hilft mit an der Vertreibung aus dem Paradies.41

Damit entspricht die völkische Weltanschauung dem innersten Wollen der Natur, da sie jenes freie Spiel der Kräfte wieder herstellt, das zu einer dauernden gegenseitigen Höherzüchtung führen muß, bis endlich dem besten Menschentum, durch den erworbenen Besitz dieser Erde, freie Bahn gegeben wird zur Betätigung auf Gebieten, die teils über, teils außer ihr liegen werden.

Wir alle ahnen, daß in ferner#1939: ferner ersetzt durch: fernster;
1944: ferner Zukunft Probleme an den Menschen herantreten können, zu deren Bewältigung nur eine höchste Rasse als Herrenvolk42, gestützt auf die Mittel und Möglichkeiten eines ganzen Erdballs, berufen sein wird.

* * *

Es ist selbstverständlich, daß eine so allgemeine Feststellung des sinngemäßen Inhalts einer völkischen Weltanschauung zu tausendfältiger Auslegung führen kann. Tatsächlich finden wir ja auch kaum eine unserer jüngeren politischen Neugründungen, die sich nicht irgendwie auf diese Weltauf‌fassung beruft.43 Sie beweist jedoch gerade durch ihre eigene Existenz gegenüber den vielen anderen die Unterschiedlichkeit ihrer Auf‌fassungen. So tritt der von einer einheitlichen Spitzenorganisation geführten marxistischen Weltauf‌fassung ein Gemengsel von Anschauungen entgegen, das schon ideenmäßig gegenüber der geschlossenen feindlichen Front44 wenig eindrucksvoll ist.45 Siege werden durch solche#1929: solche ersetzt durch: so schwächliche Waffen nicht erfochten! Erst wenn der – politisch durch den organisierten Marxismus geführten – internationalen Weltanschauung eine ebenso einheitlich organisierte und geleitete völkische gegenübertritt, wird sich bei gleicher Kampfesenergie der Erfolg auf die Seite der ewigen Wahrheit schlagen.

Die organisatorische Erfassung einer Weltanschauung kann aber ewig nur stattfinden#1929: gestrichen: stattfinden auf Grund einer bestimmten Formulierung derselben#1929: eingefügt: stattfinden,