Die Rasse <span class="pagenumber">[302]</span>

17 Die Behauptung, »das Minderwertige« vermehre sich schneller, findet sich auch in Houston Stewart Chamberlains Hauptwerk Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts (1899). Sachlicher, aber inhaltlich ähnlich äußerten sich die Anthropologen Erwin Baur, Eugen Fischer und Fritz Lenz im Grundriß der menschlichen Erblichkeitslehre und Rassenhygiene (1921) und verliehen damit entsprechenden Behauptungen eine scheinbar wissenschaftliche Gültigkeit: »Wenn man die Geburtenziffern der verschiedenen europäischen Länder vergleicht und sie in Beziehung zu der Rassenmischung der Bevölkerung setzt, so zeigt sich unverkennbar, daß die Länder, in denen die nordische Rasse überwiegt, im allgemeinen viel geringere Geburtenziffern haben als jene, in denen andere Rassen überwiegen.« Hitler besaß ein Exemplar der 3.  Auflage (1927 – 1931) des damals sehr bekannten »Baur-Fischer-Lenz«. Eine frühere Ausgabe soll er bereits in Landsberg gelesen haben.

Vgl. Chamberlain, Grundlagen, Bd. 1, S. 340 f.; Baur/ Fischer/ Lenz, Grundriß (1921), Bd. 2, Zitat S. 104 f. (Herv. i. Orig.); Gassert/ Mattern, Library, S. 48; Anm. 60 in diesem Kapitel.

18 Diese Passage mit ihrer Übertragung von Naturprinzipien auf den Menschen ist ein »klassisches« Beispiel sozialdarwinistischen Denkens. Dies provozierte schon damals starken Widerspruch. Der deutsche Zoologe Oscar Hertwig betonte in seiner Schrift Zur Abwehr des ethischen, des sozialen, des politischen Darwinismus (1918), kulturelle Höherentwicklung sei nicht die Folge vom Kampf ums Dasein und dem Ringen aller gegen alle, sondern von »Arbeitsteilung und Differenzierung, auf denen die Stände und Gruppenbildung in der menschlichen Gesellschaft mit ihrer höheren Kultur beruht [sic!]«. Diese hätten »weder mit dem von Darwin gelehrten Prozeß der natürlichen Auslese und Zuchtwahl noch mit der Formel vom Kampf ums Dasein irgend etwas zu tun; sie stehen eher in einem direkten Gegensatz zu ihnen«. Denn nicht Auslese, sondern die Erziehung des Menschen führe zum Fortschritt. Bemerkenswerterweise waren nicht alle Antisemiten auch Sozialdarwinisten. Eugen Dühring beschrieb die Darwinsche »Daseinskampflehre« 1893 gar als »grob unsittlich« und »echt judengemäß«: »In einem Daseinskampfe, wie ihn Darwin versteht, hat nämlich nicht der mit Vertrauen und guten Grundsätzen, sondern der mit List und Gewalt Operierende die meiste Aussicht zu triumphieren. Jede Konkurrenz durch alle nur irgend zum Ziele führenden Mittel beseitigen und das eigene Wohlleben und Gedeihen auf die Beeinträchtigung und Vernichtung der fremden Existenz gründen, – das ist der eigentliche Kern dieser brutalen Vernichtungstheorie«.

Vgl. Dühring, Antisemitismus, Zitat S. 10; Hertwig, Abwehr, S. 76, 93, Zitat S. 82; Kap. II/1, Anm. 38.

20 Der Begriff »Arier« (Sanskrit: àrya = Edler) war ursprünglich eine sprachwissenschaftliche Bezeichnung für die indogermanischen Bewohner Persiens und Vorderindiens, deren Vorfahren wahrscheinlich aus dem Kaukasus und aus dem heutigen Südrussland eingewandert waren. Angehörige dieser Völker nannten sich selbst »Arier«, so in Indien die Mitglieder der oberen Kasten. Ende des 18. Jahrhunderts stellte der britische Sprachforscher William Jones fest, dass das altindische Sanskrit nicht nur mit dem Griechischen und Lateinischen, sondern auch mit dem Gotischen und Keltischen verwandt war. Besonders unter deutschen Dichtern und Philosophen wie Johann Gottfried Herder und Friedrich Schlegel verbreitete sich daraufhin die Vorstellung, Indien sei die Wiege der Menschheit. Schlegel machte den Begriff »Arier« 1819 populär und setzte ihn mit »indogermanisch« bzw. »indoeuropäisch« gleich. Deutsche Gelehrte wie Georg Wilhelm Friedrich Hegel und der in England lebende Sprachwissenschaftler Friedrich Max Müller schlossen dann ebenso wie französische Geisteswissenschaftler (Jules Michelet, Ernest Renan) von einer Sprach- auf eine Rassenverwandtschaft der Völker. Ende des 19. Jahrhunderts waren die Begriffe »Arier« und »arische Rasse« weitverbreitet, auch unter Anthropologen und Archäologen. Zugleich vertraten Wissenschaftler wie der österreichische Gelehrte Karl Penka die Ansicht, die »Arier« stammten ursprünglich nicht aus Indien, sondern aus Südskandinavien oder Norddeutschland. Von hier aus hätten sie sich über Europa bis nach Asien ausgebreitet.

Diese Theorie setzte sich um 1900 durch. Viele Wissenschaftler sprachen nun nicht mehr von einer »arischen«, sondern von einer »nordischen Rasse«, wenn sie das angeblich blonde, blauäugige und »langschädelige« indogermanische Urvolk meinten – so auch Hans F. K. Günther, der die Bezeichnung »arisch« für die »nordische Rasse« als »Fehlbezeichnung« ablehnte und »dringend« davon abriet, den Begriff »arische Rasse« zu gebrauchen. Andere Autoren verwendeten hingegen weiterhin das Wort »Arier«, was zu einer völligen Unschärfe des Begriffs führte. Hitlers völkischer Konkurrent Otto Dickel schrieb dazu 1921: »Mit dem Worte Arier wird heute reichlich verschwenderisch umgegangen. Dadurch werden die Begriffe aller derer, die weder Zeit noch Gelegenheit haben, sich ein Urteil zu bilden, verwirrt. Der Begriff Arier ist wissenschaftlich scharf umgrenzt. Er darf nur auf Indier [sic!] und Perser, niemals auf Germanen, Griechen und Römer bezogen werden […].« Obwohl Hitler Dickels Buch gelesen hatte, bevor er Mein Kampf verfasste, und obwohl zu dieser Zeit auch Anthropologen das Wort »Arier« als Rassenbezeichnung ablehnten, entwickelte es sich zu einem Schlüsselbegriff des Dritten Reichs, wobei es zunehmend zu einem bloßen Synonym für »Nichtjude« wurde.

Vgl. Jäckel/ Kuhn (Hrsg.), Hitler, Dok. 262; Dickel, Auferstehung, Zitat S. 66; Günther, Rassenkunde (1923), S. 27, 278; Lutzhöft, Gedanke, bes.S. 114 – 118; Tyrell, Trommler, S. 118; Poliakov, Mythos, S. 209 – 294; See, Arier-Mythos, S. 56 – 76; Schmitz-Berning, Vokabular, S. 54 – 62. 

22 Hitlers Urteil über die »Rassen« in Amerika erinnert stark an den Aufsatz Die natürlichen Grundlagen amerikanischer Staatsentwicklung, den der Amerikanist Franz Termer im Januar 1924 in der Zeitschrift für Geopolitik veröffentlichte. Termer verglich Süd- und Nordamerika und kam zu dem Schluss: »Hier romanisches, dort germanisches Blut, in dem einen Teil weitgehende Vermischung fremden und einheimischen Blutes, in dem anderen Rassenreinheit in ausgeprägtem Maße auf Grund eines edlen großen Rassenstolzes und Rassenbewusstseins.« Vom »Rassenstandpunkte« aus stünden »die Vereinigten Staaten mit ihrer überwiegend weißen Bevölkerung viel besser da, als die mit dem Ballast einer politisch desinteressierten Indianerbevölkerung beschwerten lateinischen Republiken«. Hitler dürfte in der Landsberger Festungshaft Zugriff auf die von Karl Haushofer herausgegebene Zeitschrift für Geopolitik gehabt haben: Rudolf Heß hatte sich im August 1924 sämtliche bis dahin erschienenen Hefte zuschicken lassen.

Von der Forschung wird bislang hingegen vor allem der Einfluss des US-Amerikaners Madison Grant auf Hitlers Amerikabild herausgestellt. Grant, einer der radikalsten Vertreter von Rassentrennung und rassistisch-eugenischer Gesetzgebung in den USA, hatte 1916 ein viel beachtetes Buch mit dem Titel The Passing of the Great Race (Der Untergang der großen Rasse) veröffentlicht. Grant behauptete darin, die Bevölkerung der USA sei bis zum Amerikanischen Bürgerkrieg (1861 – 1865) »rein nordisch« gewesen. Danach sei es infolge von Einwanderung jedoch zu einer »Vermischung« gekommen, die den Bestand der »nordischen Rasse« in den USA gefährdet. Hitler besaß die deutsche Erstausgabe von Grants Buch, und Gedanken daraus finden sich tatsächlich in seinen Schriften und Äußerungen, etwa in seiner Rede auf einer NSDAP-Versammlung in München am 6. 4. 1927 und in seinem 1928 verfassten, unveröffentlichten »Zweiten Buch«. Allerdings erschien die deutsche Ausgabe von Grants Buch erst, nachdem Hitler das Kapitel Volk und Rasse bereits abgeschlossen hatte: Im August 1925 wurde sie in der Zeitschrift Deutschlands Erneuerung mit einem Vorabdruck angekündigt, im Völkischen Beobachter und in Alfred Rosenbergs Zeitschrift Der Weltkampf seit Ende 1925 beworben. Die englische Originalausgabe wurde zwar bereits vorher in Deutschland wahrgenommen, etwa von Hans F. K. Günther in seiner Rassenkunde des deutschen Volkes. Die Bezüge hierzu sind jedoch marginal und ein Einfluss von Grants Gedanken auf den ersten Band von Mein Kampf ist eher unwahrscheinlich.

Vgl. Hitler, Reden, Bd. II/1, Dok. 99; Termer, Grundlagen, Zitate S. 29, 33; Grant, Wettstreit; Grant, Untergang, S. 58 – 68; Kühl, Nazi Connection, S. 85; Gassert/ Mattern, Library, S. 120; Black, War, S. 259 f.; Ryback, Bücher, S. 126 – 149; Spang, Haushofer, S. 386 f.

Wäre der Vorgang ein anderer, würde jede Weiter- und Höherbildung aufhören und eher das Gegenteil eintreten. Denn da das Minderwertige der Zahl nach gegenüber dem Besten immer überwiegt, würde bei gleicher Lebenserhaltung und Fortpflanzungsmöglichkeit das Schlechtere sich so viel schneller vermehren, daß endlich das Beste zwangsläufig in den Hintergrund treten müßte, wenn eben# 1926: gestrichen: eben nicht eine Korrektur dieses Zustandes vorgenommen würde# 1930: müßte, wenn nicht eine Korrektur dieses Zustandes vorgenommen würde ersetzt durch: müßte. Eine Korrektur zugunsten des Besseren muß also vorgenommen werden .17 Dies# 1926: Dies ersetzt durch: Diese aber besorgt eben# 1926: gestrichen: eben die Natur, indem sie den schwächeren Teil so schweren Lebensbedingungen unterwirft, daß schon durch sie die Zahl beschränkt wird, den Überrest aber endlich nicht wahllos zur Vermehrung zuläßt, sondern hier eine neue, rücksichtslose Auswahl nach Kraft und Gesundheit trifft.18

Sowenig# 1930: Sowenig ersetzt durch: So wenig;
1937: Sowenig;
1939: So wenig sie nun# 1926: gestrichen: nun aber schon eine Paarung von schwächeren Einzelwesen mit stärkeren wünscht, so noch viel# 1930: so noch viel ersetzt durch: so viel;
1933: soviel weniger# 1930: eingefügt: noch die Verschmelzung von höherer Rasse mit einer niederen19, da ja in einem solchen Falle ihre# 1930: einer niederen, da ja in einem solchen Falle ihre ersetzt durch: niederer, da ja andernfalls ihre ganze sonstige, vielleicht jahrhunderttausendelange Arbeit der Höherzüchtung wieder# 1930: gestrichen: wieder mit einem Schlage# 1930: eingefügt: wieder hinfällig sein würde# 1930: sein würde ersetzt durch: wäre .

Die geschichtliche Erfahrung bietet hierfür zahllose Belege. Sie zeigt in# 1937: in ersetzt durch: mit;
1939: in erschreckender Deutlichkeit, daß bei jeder Blutsvermengung# 1944: Blutsvermengung ersetzt durch: Blutvermengung des Ariers20 mit niedrigeren Völkern als Ergebnis das Ende des Kulturträgers herauskam. Nordamerika, dessen Bevölkerung zum weitaus größten Teile aus germanischen Elementen besteht, die sich nur sehr wenig mit niedrigeren farbigen Völkern vermischten, zeigt eine andere Menschheit und Kultur als Zentral- und Südamerika, in dem die hauptsächlich romanischen Einwanderer sich in manchmal großem Umfange mit den Ureinwohnern vermischt# 1930: vermischt ersetzt durch: vermengt hatten. An diesem einen Beispiele schon vermag man die Wirkung der Rassenvermischung klar und deutlich zu erkennen. Der# 1930: eingefügt: rassisch rein und mehr unvermischt# 1930: mehr unvermischt ersetzt durch: unvermischter;
1944: unvermischt gebliebene Germane des amerikanischen Kontinents ist zum Herrn desselben aufgestiegen; er wird dies# 1930: dies ersetzt durch: der Herr so lange bleiben, bis# 1930: bis ersetzt durch: so lange nicht;
1937: solange nicht;
1939: so lange nicht;
1944: solange nicht auch er der Blutschande21 zum Opfer fällt.22

Das Ergebnis jeder Rassenkreuzung ist# 1930: eingefügt: also , ganz kurz gesagt, immer folgendes:

a) Niedersenkung des Niveaus der höheren Rasse,23