Die Massenerziehungsmaschine <span class="pagenumber">[88]</span>

116 Die Deutung der Presse als eine eigene Macht im Staat geht bis in das 18. Jahrhundert zurück. Schon der Aufklärer und Vordenker der Französischen Revolution, Jean-Jacques Rousseau, bezeichnete die Presse als »vierte Säule des Staates« – neben Exekutive, Legislative und Judikative. Geläufig wurde in der Folgezeit die Bezeichnung »vierte Macht«. Verbreitung fand auch die Napoleon zugeschriebene, jedoch nicht verbürgte Charakterisierung der Presse als »sechste Großmacht«. In den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg fand die Bezeichnung der Presse als »Großmacht« Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch. Der konservative Reichstagsabgeordnete Willibald von Dirksen griff sie am 16. 3. 1910 während einer Parlamentsdebatte kritisch auf. Im Dritten Reich gebrauchte die Formulierung etwa Joseph Goebbels in seiner Funktion als Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda.

Vgl. Verhandlungen des Reichstags 1895 – 1918, XII. Legislaturperiode, Bd. 260, S. 2161; Kessemeier, Leitartikler, S. 158; Nenning, Richter, S. 88; Stöber, Pressegeschichte, S. 230; Geppert, Pressekriege, S. 4. 

117 Wahrscheinlich eine Anspielung auf die Neubesetzung der Stelle des Hofkapellmeisters in München im Jahr 1913.  Von 1904 bis 1911 wirkte dort der Dirigent und Komponist Felix Mottl als Hofkapellmeister und Generalmusikdirektor, seit 1907 als Hofoperndirektor und als Leiter der Musikalischen Akademie und der Akademie der Tonkunst in München. Mottl galt als einer der bedeutendsten Dirigenten seiner Zeit und begnadeter Wagner-Interpret. Zwei Jahre nach seinem Tod 1911 wurde der Dirigent und Komponist Bruno Walter sein Nachfolger. Walter hatte sich als Dirigent an der Wiener Hofoper bereits einen Namen gemacht, sodass die liberale Wiener Presse gegen sein Engagement in München protestierte. Für Hitler war Walters Berufung ein Skandal, über den er sich auch in späteren Jahren echauffierte. Am 9. 4. 1929 behauptete er auf einer NSDAP-Versammlung in München, Walter sei in Wien »ein ganz unbekannter Kapellmeister«, ein »Kapellmeister vierten Ranges« gewesen, der nur durch die Macht der »Juden von Wien und München« und durch eine von diesen inszenierte Pressekampagne nach München berufen worden sei. Grund für Hitlers Zorn dürfte nicht nur Walters jüdische Abstammung gewesen sein, sondern auch dessen Begeisterung für das Werk des jüdischen Komponisten Gustav Mahler.

Vgl. Hitler, Reden, Bd. III/2, Dok. 21, Zitate S. 177; Hamann, Wien, S. 116 f.; Ryding/ Pechewsky, Walter, S. 68 – 120; Haas, Magier, S. 263 ff.

Der weitaus gewaltigste Anteil an der politischen »Erziehung«, die man in diesem Falle mit dem Wort Propaganda sehr treffend bezeichnet, fällt auf das Konto der Presse.114 Sie besorgt in erster Linie diese# 1939: diese ersetzt durch: die;
1944: diese »Aufklärungsarbeit« und stellt damit eine Art von Schule für die Erwachsenen dar. Nur# 1944: Nur ersetzt durch: Nun liegt dieser Unterricht nicht in der Hand des Staates, sondern in den Klauen von zum Teil höchst minderwertigen Kräften. Ich hatte gerade in Wien schon als so# 1944: gestrichen: so junger Mensch die allerbeste Gelegenheit, Inhaber und geistige Fabrikanten dieser Massenerziehungsmaschine richtig kennenzulernen.115 Ich mußte im Anfang staunen, in wie kurzer Zeit es dieser schlimmsten# 1937: schlimmsten ersetzt durch: schlimmen;
1939: schlimmsten;
1944: schlimmen Großmacht im Staate116 möglich wurde, eine bestimmte Meinung zu erzeugen, auch wenn es sich dabei um die vollständige Umfälschung sicher vorhandener innerer Wünsche oder# 1930: oder ersetzt durch: und Anschauungen der Allgemeinheit handeln mochte. In wenigen Tagen war da aus einer lächerlichen Sache eine bedeutungsvolle Staatsaktion gemacht, während umgekehrt zu gleicher Zeit lebenswichtige Probleme dem allgemeinen Vergessen anheimfielen, besser aber einfach aus dem Gedächtnis und der Erinnerung der Masse gestohlen wurden.

So gelang es, im Verlaufe weniger Wochen Namen aus dem Nichts hervorzuzaubern, unglaubliche Hoffnungen der breiten Öffentlichkeit an sie zu knüpfen, ja ihnen eine# 1930: gestrichen: eine Popularität zu verschaffen, die dem wirklich bedeutenden Manne oft in seinem ganzen Leben nicht zuteil zu werden vermag; Namen, die dabei noch vor einem Monat überhaupt kein Mensch aber auch nur dem Hören nach kannte, während in der gleichen Zeit alte, bewährte Erscheinungen des staatlichen oder sonstigen öffentlichen Lebens bei bester Gesundheit einfach für die Mitwelt abstarben oder mit solch elenden Schmähungen überhäuft wurden, daß ihr Name in kurzem drohte zum Symbol einer ganz bestimmten Niedertracht oder Schurkerei zu werden.117 Man muß diese infame jüdische Art, ehrlichen Menschen mit einem Male und wie auf Zauberspruch zugleich von hundert und aber hundert Stellen aus die Schmutzkübel niedrigster Verleumdungen und Ehrabschneidungen über das saubere Kleid zu gießen, studieren, um die ganze Gefahr dieser Presselumpen richtig würdigen zu können.