Die Nichtskönner und Schwätzer <span class="pagenumber">[83]</span>

95 Am 24. 8. 1919, drei Tage nach Eberts Vereidigung als Reichspräsident, erschien auf dem Titelblatt der Berliner Illustrirten Zeitung ein Foto, das ihn und Reichswehrminister Gustav Noske in Badehose zeigte. Aufgenommen worden war das Bild bereits am 15. 5. 1919 im Ostseebad Haffkrug bei Travemünde durch den Strandfotografen Wilhelm Steffen. Unklar ist, ob dieser überhaupt wusste, wen er fotografierte und ob er das Foto dann gezielt an die Berliner Presse weitergab oder ob es nur durch Zufall entdeckt wurde. Obwohl das Bild bereits Anfang August 1919 erstmals in der nationalkonservativen Deutschen Tageszeitung erschien, wurde es erst infolge seiner Überarbeitung – durch Retuschen sowie die Fokussierung auf die beiden Politiker – und durch seine Platzierung auf dem Titel der eigentlich liberalen Berliner Illustrirten Zeitung zum Beginn einer »Verleumdungs und Hetzkampagne unvorstellbaren Ausmaßes«. Die Abbildung eines Staatsoberhaupts in Badehose und in legerer Haltung empfanden große Teile der deutschen Gesellschaft, die noch die Selbstdarstellung uniformierter Regenten in selbstbewusster Herrscherpose vor Augen hatten, als Skandal. Seinen Gegnern diente die Aufnahme als Beweis dafür, dass Ebert »unwürdig« und auch »unfähig« für das Amt des Reichspräsidenten sei. Bei öffentlichen Auftritten Eberts wurden fortan häufig Badehosen geschwenkt, während die Deutsche Tageszeitung eine Postkarte vertrieb, die das Badehosenfoto mit Bildern von Wilhelm II. und Hindenburg in Uniform unter der polemischen Überschrift »Einst und Jetzt« kontrastierte. Gegen diese Postkarte stellte Ebert im September 1919 Strafantrag – es war der erste von etwa 200 Beleidigungs- und Verleumdungsprozessen, die er während seiner Amtszeit führte –, erreichte damit aber nur einen Teilerfolg: Die Veröffentlichung sei – so das Gericht – zwar unrechtmäßig erfolgt, doch könne es deswegen die Angeklagten nicht verurteilen. Die Kampagne gegen den höchsten Vertreter des deutschen Staats, mediengeschichtlich ein Novum, ging weiter. »›Ebert in Badehose‹ wurde das wirkungsvollste, weil pöbelhafteste Argument gegen die Republik«, schrieb bereits 1923 der Journalist Joseph Roth.

Vgl. Birkenfeld, Rufmord, Zitat S. 455; Mühlhausen, Republik, S. 236 – 243, 310, 326; Albrecht, Macht, Zitat S. 56.

97 Perikles (zwischen 495 und 490 – 429 v. Chr.) entwickelte sich seit 443 v. Chr., mit seiner ersten Wahl ins Amt eines Strategen, zu einem der einflussreichsten wie berühmtesten Politiker des antiken Athen. Mit seinem politischen Wirken verbindet sich die Blütezeit, die »perikleische Ära«, aber auch der entscheidende Wendepunkt in der Geschichte des Stadtstaats. Sein überragendes rhetorisches Talent ermöglichte Perikles eine Politik, in deren Zentrum der Ausbau der attischen Demokratie und der Hegemonie im Attischen Seebund stand. Der von ihm befürwortete, allerdings nicht nach seinen Vorstellungen geführte Peloponnesische Krieg (431 – 404 v. Chr.) endete dann aber mit der völligen Niederlage Athens, die Perikles jedoch nicht mehr selbst miterlebte. 429 v. Chr. wurde er Opfer einer Pest-Epidemie im belagerten Athen. Schon in der Historiografie des 19. Jahrhunderts war die Bedeutung von Perikles, über den nur verhältnismäßig wenige Quellen vorliegen, umstritten. Hitlers Vorstellung orientiert sich an Einschätzungen wie die des Historikers Wilhelm Adolf Schmidt, für den Perikles »im Zenit des gesamten antiken oder classischen Weltalters« stand. Im Dritten Reich wurde Perikles – unter völliger Negierung zentraler historischer Fakten – zur »Führerfigur« einer Epoche stilisiert, die ein »einzigartiger Höhepunkt indogermanischen Menschentums« gewesen sei, so Helmut Berve, der seit 1940 als »Kriegsbeauftragter der deutschen Altertumswissenschaft« amtierte.

Vgl. Der Neue Pauly, Bd. 9, Sp. 567 – 572; Will, Perikles, Zitat S. 8; Christ, Spartaforschung, S. 40 – 50; Lehmann, Perikles, Zitat S. 163; Schubert, Perikles; Chapoutot, Nationalsozialismus, S. 274 – 277, Zitat S. 275; Kap. I/10, Anm. 174.

98 Hitler selbst sollte dies nicht beherzigen. Obwohl bereits im Winter 1941/42 sein strategisches Konzept gescheitert war, wollte er sich »der Verantwortung seines Wirkens« nie stellen. Anstatt den von ihm initiierten Krieg zu beenden, setzte er seine verbrecherische Politik und Kriegführung umso hemmungsloser fort, je mehr das Deutsche Reich in die Defensive gedrängt wurde. Es spricht für sich, wenn der weitaus größte Teil der circa 60 Millionen Toten des Zweiten Weltkriegs in der zweiten Kriegshälfte ums Leben kam. Hitler aber wollte, wie er es selbst formulierte, den Krieg erst »um fünf nach zwölf« beenden. Dessen schauriges Ende diente zuletzt nur noch der Inszenierung des eigenen Untergangs, den Hitler so weit wie nur irgend möglich hinauszögerte.

Vgl. Henke, Besetzung, Zitat S. 801; Fest, Untergang; Kap. II/13 Anm. 49.

vom Adel in keinerlei Weise etwa in der heutigen Dekadenz unserer oberen Zehntausend verkörpert zu sein braucht.92

Welche Verwüstungen# 1939: Verwüstungen ersetzt durch: Verwüstung;
1944: Verwüstungen diese Einrichtung moderner demokratischer Parlamentsherrschaft anrichtet, kann sich freilich der Leser jüdischer Zeitungen93 schwer vorstellen, soferne# 1939: soferne ersetzt durch: sofern er nicht selbständig denken und prüfen gelernt hat. Sie ist in erster Linie der Anlaß für die unglaubliche Überschwemmung des gesamten politischen Lebens mit den# 1939: gestrichen: unglaubliche Überschwemmung des gesamten politischen Lebens mit den; 1944: Text wieder eingefügt aber auch# 1926: gestrichen: aber auch minderwertigsten Erscheinungen unserer Tage. So sehr sich der wahrhaftige Führer von einer politischen Betätigung zurückziehen wird, die zu ihrem größten Teile nicht in schöpferischer Leistung und Arbeit bestehen kann, als vielmehr im Feilschen und Handeln um die Gunst einer Mehrheit, so sehr wird gerade diese Tätigkeit dem kleinen Geist entsprechen und diesen mithin auch anziehen.

Je zwergenhafter ein solcher Lederhändler94 heute an Geist und Können ist, je klarer ihm die eigene Einsicht die Jämmerlichkeit seiner tatsächlichen Erscheinung95 zum Bewußtsein bringt, um so mehr wird er dann# 1926: gestrichen: dann ein System preisen, das von ihm gar nicht die Kraft und Genialität eines Riesen verlangt, sondern vielmehr schon# 1926: gestrichen: schon mit der Pfiffigkeit eines Dorfschulzen96 vorliebnimmt, ja, eine solche Art von Weisheit lieber sieht als die eines Perikles97. Dabei braucht solch ein Tropf sich nie mit der Verantwortung seines Wirkens abquälen# 1937: abquälen ersetzt durch: abzuquälen .98 Er ist dieser Sorge schon deshalb gründlich enthoben, da er ja genau weiß, daß, ganz gleich, wie immer auch das Ergebnis seiner »staatsmännischen« Murkserei sein wird, sein Ende ja doch schon längst in den Sternen verzeichnet steht: er wird eines Tages einem anderen, ebenso großen Geist den Platz zu räumen haben. Denn dies ist mit ein Kennzeichen eines solchen Verfalls, daß nun# 1926: gestrichen: nun die Menge an großen Staatsmännern# 1937: an großen Staatsmännern ersetzt durch: großer Staatsmänner in eben dem Maße zunimmt, in dem der Maßstab des# 1937: des ersetzt durch: der;
1939: des einzelnen zusammenschrumpft. Er wird aber mit zunehmender Abhängigkeit von parlamentarischen Mehrheiten immer kleiner werden müssen, da sowohl die großen Geister es ablehnen werden, die Büttel blöder Nichtskönner und Schwätzer99 zu sein, wie umgekehrt die Repräsentanten der Majorität, das ist