Die Hegemonie Frankreichs <span class="pagenumber">[272]</span>

58 Ein in Technik und Betriebswirtschaftslehre gängiger Begriff. In einem sicherheitspolitischen Sinn verwendete ihn am 12. 12. 1923 auch schon der damalige Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer in einem Schreiben an den Präsidenten der Interalliierten Rheinlandkommission Paul Tirard. Adenauer verwarf darin die mögliche »Schaffung eines Pufferstaates zwischen Frankreich und Deutschland«, da ein solcher Staat »immer die Wiedervereinigung mit Deutschland betreiben« und somit »für Frankreich […] keine Sicherheit auf die Dauer bringen« würde. Von der »Schaffung eines westdeutschen Bundesstaates im Verbande des Reiches« versprach sich Adenauer hingegen »die größte Sicherheit für einen langen Frieden« – vorausgesetzt, dieser Bundesstaat bekäme »dieselben Rechte und Pflichten wie alle übrigen Bundesstaaten« und würde keinem »ausländischem Einfluß direkt unterstellt werden«. »Der Sicherheits-Koeffizient, der in der Schaffung eines solchen Bundesstaates für Frankreich bestehen würde, verliert an Bedeutung proportional mit jeder Beeinträchtigung der staatsrechtlichen Stellung dieses Bundesstaates innerhalb des Deutschen Reiches«.

Vgl. Schulz (Hrsg.), Adenauer, Dok. 41, Zitat S. 224 f.; Kap. II/15, Anm. 23.

59 In diesem Zukunftsszenario zeigt sich die Wirkung verschiedener Waffensysteme, die erstmals im Ersten Weltkrieg eingesetzt worden waren: Schwerste Artillerie wie das deutsche »Paris-Geschütz« waren potenziell in der Lage, die Distanz des Ärmelkanals zu überbrücken. Auch kamen zwischen 1914 und 1918 deutsche Flugzeuge und Luftschiffe bei Aufklärungs- und Angriffsflügen gegen Großbritannien zum Einsatz. In insgesamt 51 Angriffen warfen deutsche Zeppeline rund 5.800 Bomben ab, die etwa 550 Zivilisten töteten. Mit dem Einsatz der U-Boot-Waffe hatte die deutsche Führung ab 1915 die Hoffnung verknüpft, die britische Überlegenheit zur See durch das systematische Versenken von Handelsschiffen brechen zu können. All diese neuartigen Waffensysteme konnten die in sie gesetzten Hoffnungen damals jedoch (noch) nicht erfüllen. Sie wurden in viel zu geringer Stückzahl produziert und erwiesen sich oft als technisch unausgereift.

Vgl. Güth, Organisation, S. 280 f., 300 – 302, 313; Köhler, Organisationsgeschichte, bes.S. 294, 297, 301, 309; Matuschka, Organisationsgeschichte, S. 248; Tarrant, Kurs, S. 132, 161; Rahn, War, bes.S. 125 – 128; Kemp, U-Boot-Verluste, S. 115 – 126; Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4, S. 143 – 146; Rohwer, U-Boot-Krieg; Schmidt, Zeppelin; Wolz, Deutschland.

61 Eine polemische Zuspitzung, die der britischen Stellung in der internationalen Staatenordnung nach 1918 nicht gerecht wird: Mit Frankreich hatte sich Großbritannien am 16. 5. 1916 in einem geheimen Abkommen über die Aufteilung der Erbmasse des Osmanischen Reichs geeinigt. Nach dem Ersten Weltkrieg erhielt Großbritannien Palästina, den Irak und Transjordanien als Mandatsgebiete. Auch in Afrika, wo Großbritannien den Ostteil der ehemaligen deutschen Kolonie Kamerun und Tanganyika (ehemals Deutsch-Ostafrika) übernahm, konnte von einer nennenswerten Schwächung Großbritanniens im Verhältnis zu Frankreich keine Rede sein. Dagegen trifft zu, dass Großbritannien an nahezu allen Rändern seines Empires auf zunehmende amerikanische Wirtschaftsinteressen traf. Dies galt sowohl für den Nahen und Mittleren, aber auch für den Fernen Osten sowie für Lateinamerika, wo die USA inzwischen den Panamakanal kontrollierten. Noch gravierender erwiesen sich für Großbritannien seine Kriegsschulden gegenüber den USA in Höhe von 4,7 Milliarden Dollar. Außerdem wirkte der Erste Weltkrieg als Katalysator für die Unabhängigkeitsbewegungen in den britischen Dominions. Diese waren während des Kriegs für Großbritannien ein Reservoir nicht nur für Rohstoffe und Nahrungsmittel gewesen, sondern auch für Rekruten. Dass die britische Propaganda zudem mit der Formel gearbeitet hatte, der Krieg werde auch für das Selbstbestimmungsrecht der Völker geführt, musste das Selbstbewusstsein der Kolonien weiter stärken. Erste Anzeichen hierfür waren bereits 1919 zu erkennen, als Australien, Neuseeland, Kanada und Südafrika auf einer Teilnahme an den Friedensverhandlungen bestanden, sowie am Irischen Unabhängigkeitskrieg (1919 – 1921), aus dem Irland geteilt hervorging. 1923 musste die britische Krone ihren Dominions schließlich eine autonome Außenpolitik zugestehen.

Vgl. DBFP, Bd. 4, S. 245 – 251; Watt, Bull; Albertini, England, S. 62 – 67, 75 f.; Niedhart, Geschichte, S. 152 f.; Ebersold, Machtverfall, S. 9 – 13; Cloarec, Entente, S. 23 – 27; Thomas, Empire, S. 38 – 53, bes.S. 42 f.; Wende, Empire, S. 220 f., 244 – 247; Knortz, Wirtschaftsgeschichte, S. 96; Heideking/ Mauch, Geschichte, S. 224, 229, 244 f.

Deutschland als Militärstaat war im Jahre 1914 eingekeilt zwischen zwei Länder, von denen das eine über die gleiche Macht und das andere über eine größere verfügte.57 Dazu kam die überlegene Seegeltung Englands. Frankreich und Rußland allein boten jeder übermäßigen Entwicklung deutscher Größe Hindernisse und Widerstand. Die außerordentlich ungünstige militärgeographische Lage des Reiches konnte als weiterer Sicherheitskoeffizient58 gegen eine zu große Machtzunahme dieses Landes gelten. Besonders die Küstenfläche war militärisch betrachtet für einen Kampf mit England ungünstig, klein und beengt, die Landfront demgegenüber übermäßig weit und offen.

Anders die Stellung Frankreichs von heute: Militärisch die erste Macht, ohne einen ernstlichen Rivalen auf dem Kontinent, in seinen Grenzen nach dem Süden gegen Spanien und Italien so gut wie sichergestellt, gegen#1930: sichergestellt, gegen ersetzt durch: geschützt; gegen Deutschland garantiert#1930: garantiert ersetzt durch: gesichert durch die Ohnmacht unseres Vaterlandes, in seiner Küste in langer Front vor den Lebensnerven des britischen Reiches hingelagert. Nicht nur für Flugzeuge und Fernbatterien bilden die englischen Lebenszentren lohnende Ziele, sondern auch der Wirkung des U-Bootes gegenüber wären die Verkehrsstränge des britischen Handels#1937: Handels ersetzt durch: Handelns;
1939: Handels
1929: gestrichen: auf das ungünstigste auf das ungünstigste# bloßgelegt. Ein U-Bootkrieg#1937: U-Bootkrieg ersetzt durch: U-Boot-Krieg, gestützt auf die lange atlantische Küste sowohl als#1937: eingefügt: auch; 1939: wieder gestrichen: auch auf die nicht minder großen Strecken der französischen Randgebiete des Mittelländischen Meeres in Europa und#1944: und ersetzt durch: oder Nord-Afrika#1937: Nord-Afrika ersetzt durch: Nordafrika;
1939: Nord-Afrika;
1944: Nordafrika, würde zu verheerenden Wirkungen führen.59

So war die Frucht des Kampfes gegen die Machtentwicklung Deutschlands politisch die Herbeiführung der französischen Hegemonie im#1929: im ersetzt durch: auf dem Kontinent. Das militärische Ergebnis: die Festigung Frankreichs als erste Vormacht zu Lande und die Anerkennung der Union als gleichstarke Seemacht.60 Wirtschaftspolitisch: die Auslieferung größter britischer Interessengebiete an die ehemaligen Verbündeten.61

So wie nun Englands traditionelle politische Ziele eine gewisse Balkanisierung62 Europas wünschen und benötigen, genau