Staatshoheit des Reiches <span class="pagenumber">[225]</span>

157 Obwohl mit der Reichsverfassung vom 11. 8. 1919 die deutsche Außenpolitik zu einer ausschließlichen Aufgabe des Reichs geworden war, konnten die deutschen Länder ihre diplomatischen Beziehungen untereinander in Form von Gesandtschaften und Konsulaten fortführen. Existierten 1918 etwa 60 innerdeutsche Gesandtschaften, so waren es 1925 immer noch etwa 30. Die meisten Vertretungen existierten in Preußen, wo die Länder Anhalt, Baden, Bayern, Braunschweig, Bremen, Hamburg, Hessen, Lübeck, Mecklenburg-Schwerin, Sachsen und Württemberg Gesandtschaften unterhielten. Hitlers Kritik ignoriert indes, dass sich in der Person dieser Gesandten meist noch zwei weitere Funktionen vereinigten, die verfassungsrechtlich vorgeschrieben waren, nämlich die eines Bevollmächtigten im Reichsrat sowie die eines Vertreters bei der Reichsregierung. Da die Gesandtschaften daneben noch viele andere praktische Aufgaben zu erledigen hatten, waren zumindest diejenigen der größeren Länder relativ großzügig besetzt. Die Sächsische Gesandtschaft in Berlin beispielsweise bestand 1931 aus einem Gesandten, zwei Ministerialdirektoren, zwei Ministerialräten, drei Legationsräten, einem Legationssekretär sowie etlichen Schreibkräften und sonstigem Dienstpersonal.

Vgl. Esch, Gesandtschaftsrecht; Stützel, Handlungsfähigkeit; Schreckenbach, Gesandtschaften; Benz, Süddeutschland, S. 223 – 249; Benz (Hrsg.), Politik, S. 9 – 26; Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 6, S. 452 f.; Handbuch der bayerischen Ämter, Gemeinden und Gerichte, S. 25 – 29.

158 Die innerdeutschen Gesandtschaften wurden bereits während der 1920er Jahre zum Ziel öffentlicher Kritik. Auch die Finanzverwaltungen erkannten bei ihnen Einsparungsmöglichkeiten. Infolge der knapper werdenden öffentlichen Mittel wurden bereits 1931 immer mehr innerdeutsche Gesandtschaften geschlossen. Der preußische Ministerpräsident Otto Braun sah damit – so sein Schreiben vom 22. 6. 1931 an verschiedene Landesregierungen – den »Gedanke[n] der innerdeutschen Gesandtschaften überhaupt als grundsätzlich aufgehoben«. Mit dem »Preußenschlag« vom 20. 7. 1932, der Ersetzung der geschäftsführenden preußischen Regierung durch einen Reichskommissar, sowie mit dem Gesetz über den Neuaufbau des Reichs vom 30. 1. 1934 schienen die innerdeutschen Gesandtschaften vollends ihre Daseinsberechtigung verloren zu haben. Ihre offizielle Auflösung durch das Gesetz über die Aufhebung des Reichsrats vom 14. 2. 1934 war vor allem ein formeller Akt. Es charakterisiert allerdings das Beharrungsvermögen dieser Länderrepräsentanzen, wenn viele unter neuem Namen – etwa Vertretung Bayerns in Berlin – meist bis 1944/45 in der Reichshauptstadt weiterhin existierten. Sie hatten nun vor allem wirtschaftliche, finanz- und kulturpolitische Aufgaben. Entsprechende Einrichtungen unterhielten damals Baden, Bayern, Braunschweig, Bremen, Hamburg, Hessen, Oldenburg, Sachsen, Thüringen und Württemberg. Weitere Vertretungen existierten in Form einer Verbindungsstelle der Provinz Schleswig-Holstein, Berlin und durch einen Vertreter des Protektorats Böhmen und Mähren.

Vgl. Schreckenbach, Gesandtschaften; Benz (Hrsg.), Politik, S. 9 – 26. Zu Hitlers Anstellung bei der Braunschweigischen Gesandtschaft in Berlin vgl. Anm. 153 in diesem Kapitel.

159 Das war verfassungsrechtlich auch gar nicht vorgesehen. Vielmehr bestimmte Artikel 78 der Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. 8. 1919, dass die Pflege der auswärtigen Beziehungen »ausschließlich Sache des Reichs« sei. Ausnahmen gab es nur wenige; so konnten etwa die Länder in Angelegenheiten der Landesgesetzgebung »mit auswärtigen Staaten Verträge schließen«, wobei auch diese »der Zustimmung des Reichs« bedurften. Nur der Vatikan galt nicht als »auswärtiger Staat«, sodass Bayern dort noch eine Gesandtschaft unterhielt. Ansonsten aber war das aktive und passive Gesandtschaftsrecht mit außerdeutschen Mächten, über das die deutschen Länder bis 1918 verfügt hatten, endgültig aufgehoben; die Länderrepräsentanten beim Reich galten dezidiert »nicht als Gesandtschaften im völkerrechtlichen Sinne«.

Vgl. RGBl. 1919/II, S. 1398; Stützel, Handlungsfähigkeit, bes.S. 25 – 98; Wahl, Länder; Schreckenbach, Gesandtschaften; Benz, Auslandsbeziehungen; Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 6, S. 451 – 462; Jeserich/ Pohl/ Unruh (Hrsg.), Verwaltungsgeschichte, Bd. 4, S. 147 – 155.

162 Richtig daran ist, dass vor 1918 eine Reform des deutschen auswärtigen Diensts immer notwendiger schien. Kritisiert wurde damals vor allem die Organisation des Auswärtigen Amts sowie die sehr enge Rekrutierungsbasis der deutschen Diplomaten. Bis 1918 dominierte hier der Typus des preußischen, meist protestantischen Adligen mit abgeschlossenem Jurastudium. Die Folge waren ein Juristenmonopol und sozial weitgehend homogene Strukturen in allen höheren Positionen des Auswärtigen Amts. Zwischen 1871 und 1918 waren alle 36 Botschafter des Deutschen Reichs adlig, ferner 93 % der 70 deutschen Gesandten in und 71 % der 101 Gesandten außerhalb Europas. Nachdem Gustav Stresemann am 26. 10. 1916 im Reichstag betont hatte, wie falsch es sei, dass man für den »diplomatischen Dienst […] nicht Leute […] aus allen Kreisen herausnimmt«, wurde seit Mai 1918 mit einer Reform des auswärtigen Dienstes begonnen. Nach dem Ende der Monarchie schien es dann noch dringlicher, »die Wandlung, die Deutschland innerlich vollzogen hat, auch nach außen zum Ausdruck zu bringen«, so der Reichsminister des Auswärtigen Ulrich Graf Brockdorff-Rantzau am 10. 4. 1919 vor der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung. Mit der Reform beauftragt wurde der Geheime Legationsrat Edmund Schüler, der sich dabei auf vier Ziele konzentrierte: (1) eine Vereinigung der bisher getrennten diplomatischen und konsularischen Laufbahn; (2) eine organisatorische Gliederung der zentralen Abteilungen des Amts nach regionalen Gesichtspunkten; (3) Gründung einer selbstständigen Außenhandelsstelle des Amts; (4) personelle Erweiterung der Diplomaten aus den Bereichen Wirtschaft, Politik und Wissenschaft. Auch die Gründung eines eigenen Ressortarchivs, des Politischen Archivs, war Teil dieser Neustrukturierung. Obwohl Schülers Reform (1920) den auswärtigen Dienst erheblich modernisierte und professionalisierte, gelang es nicht, dessen Personalstruktur entscheidend zu verändern. Zwar kamen nun mehr Bürgerliche, zuweilen auch solche katholischer Konfession oder – noch seltener – jüdischer Herkunft, in den diplomatischen Dienst, doch entstammten auch in der Zeit der Weimarer Republik 80 % der Diplomaten der Oberschicht. Ihren Abschluss fand die Umstrukturierung des Auswärtigen Amts erst unter Gustav Stresemann.

Vgl. Brockdorff-Rantzau, Dokumente, Zitat S. 90 f.; Stresemann, Reichstagsreden, Zitat S. 54 f.; Doß, Amt; Kröger, Gründung; Conze, Amt, S. 48 – 61, 63, 67 f.

163 Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme war genau die gegenläufige Tendenz zu beobachten. Die Kulturpolitik des NS-Staats wurde rücksichtslos zentralisiert und im Wesentlichen auf drei Zentralbehörden verteilt – das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung sowie das Reichsministerium des Innern. Da die eigentliche Zuständigkeit beim Reichspropagandaministerium lag, erhielt dieses im September 1933 mit der Reichskulturkammer einen entsprechenden Unterbau, der mit seinen Fachkammern für Presse, Rundfunk, Film, Theater, Schriftum, Bildende Künste und Musik das gesamte kulturelle Leben des nationalsozialistischen Deutschlands zentral regeln und kontrollieren sollte. Dass die Durchsetzung dieser zentralisierten Kulturpolitik dann nicht durch die Länderverwaltungen erfolgte, sondern durch die Gaupropaganda-Ämter der NSDAP, unterstreicht nochmals die durch und durch zentralistisch organisierte nationalsozialistische Kulturpolitik.Wenn deren Wirkung in der Praxis dennoch begrenzt blieb, so lag dies nicht nur an den Beharrungskräften der regionalen Kultur und ihrer institutionellen Träger. Folgenreicher war, dass sich »dieser kulturpolitische Unitarismus« in einem grundlegenden Konflikt mit den völkischen Ideologemen der NS-Weltanschauung befand, »die geradezu nach partikularen kulturellen Aktivitäten verlangten. Blut, Boden, Volkstum, Stamm, Landschaft, Heimat und Verwurzelung sind ideologische Schlüsselbegriffe, die in unzähligen Propaganda- und Legitimationstexten bis zum Überdruß benutzt wurden. Damit wurde der traditionellen Orientierung der Bevölkerung an überschaubaren und vertrauten Strukturen entsprochen und den mit den industriellen Modernisierungsprozessen verbundenen Entwurzelungs und Existenzängsten entgegengewirkt.«

Vgl. Dahm, Zentralismus, Zitat S. 127; Thumser, Kulturpolitik; Kulturpolitik im Gau Oberdonau; Steber, Brücke; Schmidt, Kulturpolitik; Steber, Gleichgewicht.

das Volk, ist es klar, daß ihren souveränen Interessen alles andere sich unterzuordnen hat. Insbesondere können wir keinem einzelnen Staat innerhalb der Nation und des diese vertretenden Reiches eine machtpolitische Souveränität und Staatshoheit zubilligen. Der Unfug einzelner Bundesstaaten, sogenannte Vertretungen im Ausland und untereinander zu unterhalten, muß aufhören und wird einmal aufhören.157 Solange derartiges möglich ist, dürfen wir uns nicht wundern, wenn das Ausland immer noch Zweifel in die Festigkeit unseres Reichsgefüges setzt und demgemäß sich benimmt. Der Unfug dieser Vertretungen ist um so größer, als ihnen neben den Schäden nicht der geringste Nutzen zugeschrieben werden kann.158 Interessen eines Deutschen im Auslande, die durch den Gesandten des Reiches nicht gewahrt werden können, vermögen noch viel weniger durch den Gesandten eines im Rahmen der heutigen Weltordnung lächerlich erscheinenden Kleinstaates wahrgenommen zu werden.159 In diesen kleinen Bundesstaaten kann man wirklich nur Angriffspunkte erblicken für besonders von einem Staat immer noch gern gesehene Auflösungsbestrebungen innerhalb und außerhalb des Deutschen Reiches.160 Auch dafür dürfen wir Nationalsozialisten kein Verständnis haben, daß irgendein altersschwach gewordener Adelsstamm seinem meist schon sehr dürr gewordenen Reis durch Bekleidung des Gesandtenpostens neuen Nährboden gibt.161 Unsere diplomatischen Vertretungen im Ausland waren schon zur Zeit des alten Reiches so jämmerlich, daß weitere Ergänzungen der damals gemachten Erfahrungen höchst überflüssig sind.162

Die Bedeutung der einzelnen Länder wird in Zukunft unbedingt mehr auf kulturpolitisches Gebiet zu verlegen sein.163 Der Monarch, der für die Bedeutung Bayerns das meiste tat, war nicht irgendein störrischer, antideutsch eingestellter Partikularist, als#1930: als ersetzt durch: sondern vielmehr der ebenso großdeutsch gesonnene wie kunstsinnig empfindende Ludwig I. Indem er die Kräfte des Staates in erster Linie für den Ausbau der kulturellen Position Bayerns verwendete und nicht für die Stärkung der machtpolitischen, hat er Besseres und Dauerhafteres geleistet, als dies sonst je möglich gewesen wäre. Indem er München damals aus dem Rah-