Jüdische Verhetzungs-Taktik <span class="pagenumber">[208]</span>

50 An wen Hitler dabei dachte, hat er bereits früh, im NSDAP-Mitteilungsblatt vom 24. 9. 1921, zu erkennen gegeben: Dort machte er »die Juden Rathenau, Gradnauer, Schiffer, Levi usw., die Süddeutschen, Württemberger, Badenser und Bayern, Ebert, Wirth und Gessler« für die herrschenden politischen Verhältnisse verantwortlich. Andere rechtsradikale Kritiker wie Gottfried Feder oder Paul Bang verwiesen hingegen dezidiert auf den »Jude[n] Preuß«, der tatsächlich als »Vater« der Weimarer Verfassung gilt.

Hugo Preuß, Staatsrechtler und Rektor der Handelshochschule Berlin, war am 15. 11. 1918 zum Staatssekretär des Innern ernannt und mit der Ausarbeitung eines Verfassungsentwurfs beauftragt worden. Zwar galt er als »der am weitesten links gerichtete Staatsrechtslehrer des damaligen Deutschland«, doch erhielt die Reichsverfassung durch diese Weichenstellung einen bürgerlichen Charakter und nicht einen sozialistischen. Außerdem übersieht eine Argumentation, die den Entstehungsprozess dieser Verfassung auf wenige oder gar einen Protagonisten reduziert, wie komplex deren Entstehung in Wirklichkeit war. So besaß etwa Max Weber, der sich bei den Verhandlungen vehement und mit Erfolg für einen plebiszitären Reichspräsidenten »als Haupt der Exekutive und unmittelbare[n] Vertrauensmann der Massen« einsetzte, beträchtlichen Einfluss auf die zukünftige Staatsform. Nachdem Preuß am 3. 1. 1919 einen ersten Entwurf vorgelegt hatte, sorgten die Volksbeauftragten für die Aufnahme eines Grundrechtskatalogs (Entwurf II vom 20. 1. 1919), während die Bundesstaaten dann in Entwurf III (17. 2. 1919) ihre Interessen verankerten. Ein von Preuß redigierter Entwurf IV (21. 2. 1919) trug bereits Kompromisscharakter. Nach einer Generaldebatte in der Nationalversammlung, an der sich alle politischen Parteien beteiligten, verlagerten sich in der Zeit vom 4. 3. bis 18. 6. 1919 die weiteren Vorarbeiten in den Verfassungsausschuss. Das Ergebnis konnte dennoch längst nicht alle Abgeordneten überzeugen. In der Schlussabstimmung vom 31. 7. 1919 stimmten 262 Abgeordnete von SPD, Zentrum und DDP für den Entwurf, 75 Abgeordnete von DNVP, DVP, USPD und Bayerischem Bauernbund votierten dagegen. 67 Abgeordnete fehlten, darunter 44 aus den Reihen der SPD.

Vgl. Jäckel/ Kuhn (Hrsg.), Hitler, Dok. 296, Zitat S. 492 f.; Meister, Schuldbuch (^3/41919), S. 164; Feder, Staat (1924), S. 64; Gillessen, Preuß, S. 103 – 157; Mommsen, Weber, S. 356 – 415, Zitate S. 389, 405; Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 5, S. 1178 – 1205; Gusy, Reichsverfassung, S. 55 – 79, Zitate S. 70, 74; Weimar und die deutsche Verfassung; Lehnert, Preuß.

53 Ähnlich, teilweise in fast wörtlicher Übereinstimmung argumentierte die Vossische Zeitung im November 1918. Anders als Hitler erkannte sie freilich nicht »die Juden« als die Schuldigen, sondern die Preußen. Über das Verhältnis Preußen-Bayern schrieb die Zeitung, der Gedanke eines »Großpreußens« habe sich während des Ersten Weltkriegs zu einer »Gefahr für den Fortbestand des Reichsgedankens bei den Bundesstaaten« entwickelt. »Uebergriffe des Kriegspresseamts in die staatsrechtlichen Verhältnisse Bayerns, das Auftreten der Kriegswirtschaftszentralen in Berlin und eine ungezählte Menge von groben Taktlosigkeiten auf Seite preußischer Generale und sonstigen Vertreter des exklusiven Preußentums hatten die Stimmung in Bayern wesentlich gereizt und der Reichsfreudigkeit ganz entschieden Abbruch getan. […] In den bäuerlichen Kreisen Bayerns hat ferner das Verhalten norddeutscher Familien und Einzelpersonen in den Sommern 1917 und 1918 jede Sympathie für Preußen ausgelöscht. Die Art und Weise des Hamsterns und die empörende Art, mit der unzählige norddeutsche Kriegsgewinnler sich in Bayern benahmen, hat politisch geradezu verheerend gewirkt […].«

Vgl. Vossische Zeitung vom 27. 11. 1918, »Bayern und die Reichsfrage«; Anm. 33 in diesem Kapitel.

Linie die Betrogenen. Indem der föderative Gedanke solcherart belastet wurde, schaufelten ihm seine eigenen Anhänger das Grab. Man kann keine föderalistische Gestaltung des Reiches propagieren, wenn man das wesentlichste Glied eines solchen Staatsbaues, nämlich Preußen48, selbst heruntersetzt, beschimpft und beschmutzt, kurz als Bundesstaat, wenn möglich, unmöglich macht. Es war dies um so unglaublicher, als sich dabei der Kampf dieser sogenannten Föderalisten gerade gegen das Preußen wendete, das am wenigsten mit der Novemberdemokratie zusammengelegt#1929: zusammengelegt ersetzt durch: in Verbindung gebracht werden kann.49 Denn nicht gegen die Väter der Weimarer Verfassung, die übrigens selbst zum größten Teil Süddeutsche oder Juden waren50, richteten sich die#1930: gestrichen: die Schmähungen und Angriffe dieser sogenannten »Föderalisten«, sondern gegen die Vertreter des alten konservativen Preußens, also die Antipoden der Weimarer Verfassung. Daß man sich dabei besonders hütete, den Juden anzutasten, darf nicht wundernehmen, liefert aber vielleicht den Schlüssel zur Lösung des ganzen Rätsels.

So wie vor der Revolution der Jude die Aufmerksamkeit von seinen Kriegsgesellschaften51, oder besser von sich selbst, abzulenken verstand und die Masse, besonders des bayerischen Volkes, gegen Preußen umzustellen wußte52, so mußte er nach der Revolution auch den neuen und nun zehnmal größeren Raubzug irgendwie decken. Und wieder gelang es ihm, in diesem Fall, die sogenannten »nationalen Elemente« Deutschlands gegeneinander zu hetzen: konservativ eingestellte Bayern gegen ebenso konservativ denkende Preußen. Und wieder betrieb er es in gerissenster Weise, indem er, der allein die Geschicke des Reiches an seinen Fäden hielt, so grobe und so#1944: gestrichen: so taktlose Übergriffe provozierte, daß das Blut der jeweils Betroffenen dadurch immer#1929: eingefügt: mehr; 1930: gestrichen: mehr aufs neue in Wallung geraten mußte.53 Nie aber gegen den Juden, sondern immer gegen den deutschen Bruder. Nicht das Berlin von vier Millionen emsig arbeitenden, fleißigen, schaffenden Menschen 54 sah der Bayer, sondern das faule, zersetzte Berlin des übelsten Westens! 55 Doch nicht