Aus dem Leben der »Volksvertreter« <span class="pagenumber">[3]</span>

8 Reichstagsabgeordnete erhielten in Deutschland seit 1906 eine jährliche Aufwandsentschädigung in Höhe von 3.000 Reichsmark. 1912 entsprach dies rund der Hälfte des jährlichen Nominaleinkommens eines preußischen Staatsanwalts und etwa 60 % des Einkommens eines Oberlehrers in Preußen, Bayern oder Sachsen. Bis 1906 hatte Artikel 32 der Reichsverfassung bestimmt, dass Mitglieder des Reichstags keinerlei Besoldung oder Entschädigung beziehen dürften. Hintergrund dieser Bestimmung war Bismarcks Intention, Vertreter der Unter- und Mittelschicht möglichst vom Reichstag fernzuhalten. Erst in der Weimarer Republik wurden monatliche Diäten von zunächst 1.000 Mark während einer ganzen Legislaturperiode gezahlt, womit den Reichstagsabgeordneten erstmals »eine staatsrechtliche Anerkennung als Staatsdiener zuteil« wurde. Seit 1930 profitierte davon auch die NSDAP selbst, als die Münchner Parteizentrale begann, von den Diäten ihrer Reichstagsabgeordneten Pflichtabgaben zu erheben. Indirekt hatte die NSDAP schon zuvor finanzielle Vorteile aus ihren Reichstagsmandaten gezogen. Konsequenter als andere Parteien nutzten die Nationalsozialisten die Freifahrtscheine der Reichsbahn, die ihre Abgeordneten erhielten, um die Mandatsträger mit organisatorischen und propagandistischen Aufgaben in ganz Deutschland zu betrauen.

Vgl. Döring, Arm, S. 455 f.; Fattmann, Bildungsbürger, S. 104; Mergel, Kultur, S. 108 – 123, Zitat S. 109.

9 Hitlers polemische und oberflächliche Darstellung offenbart, wie wenig er von dem »schwierigen Spiel« des Weimarer Parlamentarismus begriffen hatte und wie wenig er bereit war, sich mit der Funktionsweise des Reichstags ernsthaft auseinanderzusetzen. Sein Verdikt war maßgeblich von den oberflächlichen Eindrücken beeinflusst, die er in den Jahren 1908/09 bei Besuchen des – hochgradig dysfunktionalen – Wiener Reichsrats gewonnen hatte; im Kapitel Allgemeine politische Betrachtungen aus meiner Wiener Zeit und Sonstiges (I/3) beschreibt er ausführlich diese Erfahrungen. Hitlers Polemik ist darüber hinaus als Seitenhieb gegen die »Reichsführerschaft« der 1924 in den Reichstag eingezogenen Nationalsozialistischen Freiheitspartei um Erich Ludendorff und Gregor Straßer zu verstehen, von der sich Hitler damals deutlich distanzierte.

Vgl. Raithel, Spiel; Zehnpfennig, Kampf (2000), S. 174; Plöckinger, Geschichte, S. 80 f.; Kap. I/3, S. 77 – 79 sowie die dortige Kommentierung; Kap. II/8, Anm. 35.

Dann wird in letzter Eile noch hineingeflickt, was Platz hat, so lange bis man mit gutem Gewissen hoffen darf, das Heer der normalen Spießer samt ihren Weibern wieder beruhigt zu haben und hochbefriedigt zu sehen. So kann man dann#1929: gestrichen: dann innerlich also gerüstet im Vertrauen auf den lieben Gott und die unerschütterliche Dummheit der wahlberechtigten Bürger den Kampf um die »neue Gestaltung« des Reiches, wie man sagt, beginnen.

Wenn dann der Wahltag vorbei ist, die Parlamentarier für fünf#1937: fünf ersetzt durch: vier;
1939: fünf Jahre ihre letzte Volksversammlung gehalten#1929: gehalten ersetzt durch: abgehalten haben, um sich von der Dressur des Plebs hinweg zur Erfüllung ihrer höheren und angenehmeren Aufgaben zu begeben, löst sich die Programmkommission#1944: Programmkommission ersetzt durch: Programm-Kommission wieder auf und der Kampf um die Neugestaltung der Dinge erhält wieder die Formen des Ringens um das liebe tägliche Brot: Dieses heißt aber beim Parlamentarier Diäten.8

Jeden Morgen begibt sich dann#1929: gestrichen: dann der Herr Volksvertreter in das Hohe Haus, und wenn schon nicht ganz hinein, so doch wenigstens bis in den Vorraum, in dem die Anwesenheitslisten aufliegen. Im angreifenden Dienste für das Volk tragen sie dann dort ihre Namen ein und nehmen#1929: tragen sie dann dort ihre Namen ein und nehmen ersetzt durch: trägt er dort seinen Namen ein und nimmt als wohlverdienten Lohn eine kleine Entschädigung für diese fortgesetzten zermürbenden Anstrengungen entgegen.9

Nach vier Jahren oder in sonstigen kritischen Wochen, wenn die Auflösung der parlamentarischen Körperschaft#1930: Körperschaft ersetzt durch: Körperschaften wieder näher und näher zu rücken beginnt, beschleicht die Herren plötzlich ein unbezähmbarer Drang. So wie der Engerling nicht anders#1937: nicht anders ersetzt durch: nichts anderes;
1939: nicht anders kann, als sich zum Maikäfer zu verwandeln, so verlassen nun#1929: gestrichen: nun diese parlamentarischen Raupen das große gemeinsame Puppenhaus und flattern nun# flügelbegabt [sic!] hinaus zum lieben Volk. Sie reden nun#1929: gestrichen: nun wieder zu ihren Wählern, erzählen von der eigenen enormen Arbeit und der böswilligen Verstocktheit der andern#1939: andern ersetzt durch: anderen, bekommen aber von der unverständigen Masse statt dankbaren Beifall#1937: Beifall ersetzt durch: Beifalls
1933: manchesmal ersetzt durch: manches Mal
1937: diese ersetzt durch: die;
1939: diese manchesmal# rohe, ja gehässige Ausdrücke an den Kopf geworfen. Wenn sich diese# Undankbarkeit des Volkes bis zu einem gewissen Grade steigert, kann nur ein einziges Mittel helfen: Der#1944: Der ersetzt durch: der Glanz der Partei muß wieder aufgebügelt werden, das Programm ist verbesserungsbedürftig, die Kommission tritt erneut ins Leben, und der Schwindel beginnt von