»Völkisch« <span class="pagenumber">[383]</span>

174 In der völkischen Bewegung wurde immer wieder über den Zusammenhang zwischen Religion, Volk und Rasse spekuliert. Unterschiedliche »Denkschulen« und »arteigene« Religionsentwürfe standen konkurrierend nebeneinander. Hitler wandte sich sowohl gegen die vielfältigen Bestrebungen einer »Germanisierung« des Christentums als auch gegen neuheidnische, offen christentumsfeindliche Gruppierungen in der völkischen Bewegung. Beide verband vor allem ein stark antikatholischer Affekt, was aus Hitlers Sicht mit dem Modell einer schlagkräftigen, von inneren Feinden und Konflikten bereinigten »Volksgemeinschaft« unvereinbar war. Zum Ausdruck kam dies etwa in Hitlers Bruch mit Ludendorff im Jahr 1925 sowie in dem 1928 vollzogenen Parteiausschluss Artur Dinters, der 1927 die Geistchristliche Religionsgemeinschaft gegründet hatte. Umgekehrt warfen norddeutsche völkische Ideologen der Münchner Zentrale der NSDAP und damit auch Hitler lange Zeit vor, zu stark unter katholischem Einfluss zu stehen; Hitler, so die Anschuldigung, habe seinen »Frieden mit Rom« gemacht. Ein entsprechender Artikel Ernst von Reventlows löste einen heftigen Konflikt aus, der an dieser Stelle auch in Mein Kampf Spuren hinterlassen hat.

Vgl. Reichswart vom 7. 2. 1925, »Hitlers Frieden mit Rom«; Reichswart vom 7. 3. 1925, »Hitlers Programm«; Deuerlein (Hrsg.), Aufstieg, S. 242 f.; Schnurbein, Suche; Schnurbein/ Ulbricht (Hrsg.), Religion; Hirschauer, Dinter, bes.S. 62 – 67; Puschner, Religionsentwürfe; Plöckinger, Geschichte, S. 82 – 84; Meyers, Reformvorstellungen; Puschner, Deutschchristentum; Kap. I/10, Anm. 210.

177 Tatsächlich fehlt dieser Begriff im »25-Punkte-Programm« der NSDAP vom 24. 2. 1920.  Dass er bewusst vermieden wurde, ist indes unwahrscheinlich, da Hitler den Begriff in seinen Reden der Jahre 1919/20 häufig und meist positiv konnotiert verwendete. Auch hier wurde Hitlers Haftzeit zu einer Zäsur: Damals kam er zu der Überzeugung, dass sich die »außerordentlich unbestimmte Auslegung dieses Begriffs« für eine Bewegung nicht eigne, deren Kennzeichen die kompromisslose Abgrenzung von allen ähnlichen Organisationen war. Vielmehr bedurfte die NS-Bewegung nach Hitlers Überzeugung einer Bezeichnung, die ihre Alleinstellung und auch ihren Führungsanspruch unterstrich: »Die Bewegung hat deshalb auch früher mehr Wert auf ihr klar umrissenes Programm gelegt, sowie auf die bei ihr eingeführte einheitliche Tendenz ihres Kampfes, als auf einen zu mehr oder minder phrasenhaften Auslegungen geeigneten, nicht klar definierten Begriff« – so Hitler am 26. 2. 1925 anlässlich der Neugründung der NSDAP.

Vgl. Hitler, Reden, Bd. I, Dok. 1, Zitate S. 3. 

178 Eine einheitliche und verbindliche Definition des Begriffs »völkisch« existierte nicht, obwohl sich seit der Jahrhundertwende verschiedene Theoretiker immer wieder an ihr versucht hatten. Vor allem nach 1918, als das Lager der Völkischen stark wuchs und damit noch heterogener wurde, wurde der Begriff immer diffuser. Sehr unterschiedliche politische Gruppierungen und kulturkritische Theorien stützten sich damals auf den Begriff des »Völkischen« und versuchten sich damit auch von all dem abzugrenzen, was unter dem Oberbegriff »national« firmierte. Insgesamt zerfiel das völkische Lager in »verschiedene, sich teils überlappende – schwerpunktmäßig antisemitisch, (lebens)reformerisch, eugenisch/rassenhygienisch, kulturell und religiös ausgerichtete – Teilbewegungen«. Das wichtigste verbindende Element blieb dabei stets der Rassenantisemitismus.

Hitler selbst benutzte den Begriff »völkisch« bis 1923 sehr häufig und in den verschiedensten Zusammenhängen. Nur selten grenzte er sich davon ab. Als 1924 jedoch abermals eine hitzige, freilich fruchtlose Diskussion über die Definition des »Völkischen« geführt wurde, äußerte sich Hitler zunehmend kritischer, ehe er sich nach seiner Haftentlassung dann entschieden von dem Begriff distanzierte. In seinem Aufruf vom 26. 2. 1925 zur Neugründung der NSDAP behauptete Hitler dann, sich »immer gegen die Sammelbezeichnung ›Völkisch‹ gewehrt« zu haben, »weil die außerordentlich unbestimmte Auslegung dieses Begriffes selbst schädlichen Versuchen Tür und Tor« öffne. Ernst Graf zu Reventlow kritisierte Hitlers Entscheidung gegen den Begriff des »Völkischen« – zumal sie auch im parteieigenen Blatt, dem Völkischen Beobachter, verbreitet worden war, wie Reventlow süffisant notierte; Hitler solle überlegen, die Zeitung doch in »Nationalsozialistischer deutscher Arbeiter-Beobachter« umzubenennen. Aus dem Sprachgebrauch der Nationalsozialisten verschwand der Begriff in der Folgezeit freilich nicht, gerade seine von Hitler beklagte Unbestimmtheit und Vieldeutigkeit sicherte ihm vielmehr eine gewisse Bedeutung.

Vgl. Reichswart vom 7. 3. 1925, »Hitlers Programm«; Jäckel/ Kuhn (Hrsg.), Hitler, Dok. 347, bes.S. 551; Hitler, Reden, Bd. I, Dok. 1, Zitat S. 3; Broszat, Ideologie, S. 56; Faye, Sprachen, Bd. 1, S. 197 – 205; Puschner, Völkisch, Zitat S. 57; Gerstner, Erlösung, S. 80 f.; Breuer, Völkischen, S. 7 – 21; Plöckinger, Geschichte, S. 80 f.; Kap. II/14, Anm. 89.

lichen Verfechtern eines kommenden deutschen Staates gegenüber# 1930: gestrichen: gegenüber vorzuziehen. Dabei sind diese Menschen noch maßlos eingebildet, wollen trotz aller Beweise ihrer vollkommenen Unfähigkeit alles besser verstehen und wissen und# 1930: gestrichen: wissen und werden zu einer wahren Plage für alle# 1944: alle ersetzt durch: die geradlinigen und ehrlichen Kämpfer, denen Heldentum nicht nur in der Vergangenheit verehrungswürdig erscheint, sondern die sich auch bemühen, der Nachwelt durch ihr Tun in der Gegenwart# 1930: ihr Tun in der Gegenwart ersetzt durch: eigenes Handeln ein gleiches Bild zu geben.

Dabei# 1930: Dabei ersetzt durch: Auch läßt es sich manches Mal# 1930: manches Mal ersetzt durch: oft nur schwer unterscheiden, wer von diesen Leuten aus innerer Dummheit oder Unfähigkeit so# 1930: gestrichen: so handelt, oder wer aus bewußten# 1930: bewußten ersetzt durch: bestimmten Gründen nur so tut. Besonders vor# 1930: vor ersetzt durch: bei den sogenannten religiösen Reformatoren altgermanischen Wesens# 1930: altgermanischen Wesens ersetzt durch: auf altgermanischer Grundlage habe ich immer die Empfindung, sie seien geschickt# 1930: sie seien geschickt ersetzt durch: als seien sie von jenen Mächten# 1930: eingefügt: geschickt , die den Wiederaufstieg unseres Volkes nicht wünschen. Führt doch ihre ganze Tätigkeit das Volk vom gemeinsamen Kampfe# 1930: Kampfe ersetzt durch: Kampf gegen den gemeinsamen Feind, den Juden, weg, um es statt dessen seine Kräfte in ebenso unsinnigen wie unseligen inneren Religionsstreitigkeiten verzehren zu lassen.174 Gerade aus diesen Gründen aber ist die Aufrichtung einer starken Zentralgewalt im Sinne der unbedingten Autorität der Führung in der Bewegung nötig.175 Nur durch sie allein kann solchen verderblichen Elementen das Handwerk gelegt werden. Allerdings sind aus diesem Grunde aber auch# 1930: gestrichen: aber auch die größten Feinde einer einheitlichen, stramm geführten und geleiteten Bewegung# 1930: eingefügt: auch in den Kreisen dieser völkischen Ahasvere176 zu finden. Sie hassen in der Bewegung die Macht, die ihrem Unfug steuert.

Nicht umsonst hat die junge Bewegung sich einst auf ein bestimmtes Programm festgelegt und das Wort »völkisch« dabei nicht verwendet.177 Der Begriff völkisch# 1937: völkisch ersetzt durch: »völkisch«;
1939: völkisch;
1944: »völkisch« ist infolge seiner begrifflichen Unbegrenztheit keine mögliche Grundlage für eine Bewegung und bietet keinen Maßstab für die Zugehörigkeit zu einer solchen. Je praktisch# 1926: gestrichen: praktisch undefinierbarer dieser Begriff# 1926: eingefügt: praktisch ist, je mehr und umfangreichere Deutungen er zuläßt, um so mehr steigt aber auch die Möglichkeit, sich auf ihn zu berufen.178 Die Einschiebung eines derartig# 1944: derartig ersetzt durch: derart unbestimmbaren und so vielseitig auslegbaren Begriffes in den politischen Kampf führt zur Aufhebung jeder strammen Kampfgemeinschaft,