Die Organisation der nat.-soz. Bewegung <span class="pagenumber">[369]</span>

96 Diese Darstellung verzerrt die Parteigeschichte erheblich. Auch wenn München das Zentrum der NSDAP war und künftig bleiben sollte, bemühte sich die Parteiführung gleichwohl von Anfang an intensiv um die Gründung von Ortsgruppen außerhalb Münchens. Schon Anfang Februar 1920 nahm die DAP Kontakt mit Theodor Lauböck auf, einem völkischen Aktivisten aus Rosenheim, um ihn für die eigene Sache zu gewinnen. Lauböck fungierte bald als wichtige Verbindungsperson zwischen den Nationalsozialisten in Wien und München. Am 18. 4. 1920 wurde dann in Rosenheim die erste NSDAP-Ortsgruppe außerhalb Münchens gegründet. Auch sonst spielten einzelne Aktivisten für die Ausbreitung der NSDAP oft eine entscheidende Rolle. Zur Gründung weiterer Ortsgruppen kam es im August 1920 durch Oskar Körner in Starnberg – wo Anton Drexler bereits im März 1920 gesprochen hatte – und im September 1920 durch Hans Knodn in Passau. Aufgrund der großen Konkurrenz innerhalb der völkischen Bewegung konnte die NSDAP im Jahr 1920 nur sieben Ortsgruppen in Bayern (Rosenheim, Starnberg, Landsberg, Straubing, Landshut, Kolbermoor und Passau) sowie einige wenige außerhalb Bayerns (etwa in Dortmund und Stuttgart) gründen. Hitlers Betonung der Konzentration auf München ist demnach auch der Versuch einer nachträglichen Stilisierung eines im Grunde bescheidenen Ergebnisses.

Vgl. IfZ-Archiv, MA 734: Schreiben der DAP an Lauböck vom 7. 2. 1920; StA München, Pol. Dir. 6697: Verzeichnis der Polizeidirektion München vom 9. 5. 1923; BA Berlin, NS 26/183: Bericht vom 24. 5. 1935; Nationalsozialistisches Jahrbuch 1927, S. 75; Genuneit, Stuttgart, S. 82 – 84; Miesbeck, Bürgertum, S. 145 f.; Auerbach, Wurzeln, S. 71 – 74; Hille, Mitgliederstruktur, S. 14; Wladika, Vätergeneration, S. 619; Plöckinger, Soldaten, S. 150.

97 Die Idee einer Rednerschule für Parteiaktivisten wurde bereits im November 1919 diskutiert; Hitler erklärte sich damals bereit, ihre Leitung zu übernehmen. Realisiert wurde diese Idee vorerst aber nicht. Im Herbst 1925 bezeichnete Hitler die ersten konkreten Initiativen für eine Rednerschule seit 1924 gar als »Unsinn«. Erst im Zuge der ab 1928/29 stark steigenden Nachfrage nach guten Rednern entstand unter dem Gauleiter der NSDAP von Oberbayern, Fritz Reinhardt, eine Rednerschule, die am 10. 6. 1929 offiziell als »Reichsrednerschule« der NSDAP bestätigt wurde. Diese Bezeichnung ist allerdings etwas irreführend, da sich die Schulungen in erster Linie auf ideologische und politische Fragen konzentrierten, die rhetorische Ausbildung hingegen nachrangig war. Dies sollte dann auch nach 1933 so bleiben.

Vgl. Tyrell, Trommler, S. 29; Strobl, Rhetorik, S. 87 – 89; Paul, Aufstand, bes.S. 66 f., 124 f.; Plöckinger, Hitler, S. 40 f.; Rösch, NSDAP, Zitat S. 116.

98 In Wirklichkeit war die »unbedingte« Anerkennung der Münchner Zentrale keineswegs die wesentliche Bedingung für den Aufbau von NSDAP-Ortsgruppen außerhalb Münchens. Vielmehr hielten die parteiinternen Anweisungen zur Ortsgruppengründung von 1922 zwei Aspekte für die Gründung einer Ortsgruppe durch einen »opferwilligen« Vertrauensmann für unabdingbar: erstens detaillierte Informationen über die politischen Verhältnisse vor Ort, zweitens die Existenz von einem größeren »Kreis von Anhängern und Mitgliedern«. Beide Faktoren sollten einen raschen Zerfall neu gegründeter Gruppen verhindern. Die Frage der »Unterordnung« unter die »Zentralleitung« wird in den ausführlichen Anweisungen nicht angesprochen. In der Praxis besaß sie keine große Bedeutung für die Ortsgruppen, die meist über erhebliches Selbstbewusstsein verfügten und Konflikte mit der Parteiführung nicht scheuten. Erst 1926/27 begann diese ihren absoluten Führungsanspruch mehr und mehr durchzusetzen.

Vgl. Tyrell (Hrsg.), Führer, S. 39 – 45, Zitat S. 42. 

102 Das Verhältnis zwischen ehrenamtlicher und bezahlter Parteiarbeit sorgte für ständigen parteiinternen Konfliktstoff seit Rudolf Schüßler, ein Vertrauter und Regimentskamerad Hitlers, Anfang November 1919 erster Geschäftsführer der DAP geworden war. Die prinzipielle Ablehnung von Leitungsfunktionen für Parteiangestellte blieb bis Ende März 1920 ein entscheidender Vorteil für Hitler. Von der Reichswehr versorgt, konnte er sich professionell der Parteiarbeit widmen, ohne – wie andere Funktionäre – seinen Lebensunterhalt verdienen zu müssen. Das Prinzip der Ämtertrennung wurde von der NSDAP mit Vehemenz vertreten, um sich von den verachteten »Bonzen« anderer Parteien abzugrenzen. Mit der Übernahme des Eher-Verlags und des Völkischen Beobachters Ende 1920 wurde dies freilich zunehmend schwieriger. Am 21. 1. 1921 wurde daher festgelegt: »Solange die nationalsozialistische deutsche Arbeiterpartei besteht, darf niemals ein leitendes Mitglied sowohl des engeren Aktionsausschusses als auch des Arbeitsausschusses der Parteileitung eine bezahlte Stellung in der Partei, sei es in der Geschäftsführung oder in der Parteizeitung, inne haben.« In der Satzung vom 29. 7. 1921 wurde dieses Prinzip noch einmal bekräftigt: »Kein leitendes Mitglied irgendeines Ausschusses darf eine bezahlte Stelle in der Partei, sei es in der Geschäftsführung oder in der Parteizeitung, inne haben.« Nach der Neugründung der Partei im Februar 1925 wurde dieses Prinzip jedoch aufgegeben: In der Satzung vom 21. 8. 1925 findet sich kein Hinweis mehr dazu, in der vom 22. 5. 1926 rückte schließlich der Geschäftsführer der Partei sogar ausdrücklich in die Parteileitung auf.

Vgl. StA München, Pol. Dir. 6708: Versammlungsprotokoll vom 21. 1. 1921; VB vom 27. 5. 1920, »Die Weltverbesserer«; Unser Schicksalsweg zu Hitler, S. 21; Jäckel/ Kuhn (Hrsg.), Hitler, Dok. 233; Hitler, Reden, Bd. I, Dok. 64, 146; Tyrell (Hrsg.), Führer, Zitat S. 36; Joachimsthaler, Weg, S. 294; Plöckinger, Soldaten, S. 147.

gaben# 1939: ergaben ersetzt durch: ergeben;
1944: ergaben sich folgende Richtlinien für den inneren Aufbau der Bewegung95:

a) Konzentration der gesamten Arbeit zunächst auf einen einzigen Ort, München.96 Heranbildung einer Gemeinde von unbedingt verläßlichen Anhängern und Ausbildung einer Schule für die spätere Verbreitung der Idee.97 Gewinnung der notwendigen Autorität für später durch möglichst große sichtbare Erfolge an diesem einzigen# 1930: einzigen ersetzt durch: einen Ort.

Um die Bewegung und ihre Führer bekanntzumachen# 1933: bekanntzumachen ersetzt durch: bekannt zu machen , war es nötig, den Glauben an die Unbesiegbarkeit der marxistischen Lehre an einem Orte sichtbar# 1930: gestrichen: sichtbar für alle# 1930: eingefügt: sichtbar nicht nur zu erschüttern, sondern die Möglichkeit des Gegenteils# 1930: des Gegenteils ersetzt durch: einer entgegengesetzten Bewegung zu beweisen.

b) Bildung von Ortsgruppen erst dann, wenn die Autorität der Zentralleitung in München als unbedingt anerkannt gelten darf.98

c) Die Bildung von Bezirks-, Gau- oder Landesverbänden erfolgt ebenfalls nicht nur nach dem Bedarf an sich, sondern nach Erreichung der Sicherheit einer bedingungslosen Anerkennung der Zentrale.99

Weiter aber ist die Bildung organisatorischer Formen abhängig von den vorhandenen, als Führer in Betracht kommenden Köpfen.100

Es gibt dabei zwei Wege:

a) Die Bewegung verfügt über die notwendigen finanziellen Mittel zur Heran- und Ausbildung befähigter Köpfe zum späteren Führertum. Sie setzt das dabei gewonnene Material dann planmäßig nach den Gesichtspunkten taktischer und sonstiger Zweckmäßigkeit ein.

Dieser Weg ist der leichtere und schnellere; er erfordert jedoch große Geldmittel, da dieses Führermaterial nur besoldet in der Lage ist, für die Bewegung arbeiten zu können.

b) Die Bewegung ist infolge des Mangels an Geldmitteln101 nicht in der Lage, beamtete Führer einzusetzen, sondern ist zunächst auf ehrenamtlich tätige angewiesen.102

Dieser Weg ist der langsamere und schwerere.

Die Führung der Bewegung muß große Gebiete unter Umständen brach liegen# 1937: brach liegen ersetzt durch: brachliegen lassen, soferne# 1937: soferne ersetzt durch: sofern sich nicht aus den Anhängern ein Kopf herausschält, fähig und gewillt, sich der Leitung zur Verfügung zu