Die Gewinnung der breiten Massen <span class="pagenumber">[353]</span>

21 Im Gegensatz zu solchen Vorstellungen wurde in der britischen Politik und Öffentlichkeit nach dem Ersten Weltkrieg die eigene Lage sehr viel pessimistischer beurteilt. Dass sich Großbritannien nach 1918 »zu den Verlierern auf der Siegerseite« rechnen konnte, hatte viele Gründe: Zwar erreichte das britische Weltreich, territorial betrachtet, 1919 die stärkste Ausdehnung, doch reichten die militärischen Machtmittel künftig nicht mehr aus, »um im Ernstfall […] den Bestand dieses Reiches aus eigener Kraft zu verteidigen«; »Appeasement« wurde so zu einer (außen-)politischen Maxime, zu der es »für die alternde Weltmacht keine Alternative gab«. Überdies waren die britischen Dominions im Krieg politisch aufgewertet worden, was zu einem stärkeren Willen nach Selbstständigkeit sowie zu lauter werdenden Autonomiewünschen führte. Die britische Wirtschaft litt infolge des Ersten Weltkriegs unter einer um das Zehnfache angestiegenen Staatsverschuldung; den USA schuldete Großbritannien knapp eine Milliarde Pfund. Der einsetzende weltwirtschaftliche Strukturwandel schwächte überdies die Stellung der britischen Textilindustrie sowie den Schiff- und Kohlebergbau. Die enormen Staatsschulden – verbunden mit der Annahme, dass internationale Konflikte auf absehbare Zeit mithilfe des Völkerbunds friedlich gelöst werden könnten – führten in Großbritannien zu drastischen Kürzungen der Militärausgaben, insbesondere bei der enorm kostspieligen Kriegsmarine.

Vgl. Niedhart, Geschichte, Zitate S. 149, 156; Fischer, Expansion, bes.S. 185 – 189; Wende, Großbritannien, bes.S. 91 f.; Bond/ Murray, Forces, S. 98 f., 101. 

22 Hitlers Verachtung für das Bürgertum hat verschiedene Wurzeln und ist nicht nur Ausdruck seiner Minderwertigkeitsgefühle, die vor allem während seiner Wiener Zeit genährt worden waren. Sie resultiert auch aus seinen Erfahrungen der Jahre 1918 bis 1923.  Der überraschend schnelle Zusammenbruch der alten monarchischen Ordnung – für den freilich andere Gründe ausschlaggebend waren als die »Feigheit« des Bürgertums – wie auch die schwächliche Reaktion der bayerischen Justiz auf den Putschversuch vom 8./9. 11. 1923 förderten in Hitler die Überzeugung von der strukturellen Schwäche des Bürgertums und seiner Politiker. Diese Ansicht sollte sich in der Endphase der Weimarer Republik in gewisser Weise zugunsten Hitlers bestätigen. So wurde etwa das am 13. 4. 1932 durch das Reichsministerium des Innern ausgesprochene Verbot von SA und SS bereits am 16. 6. 1932 wieder aufgehoben. Hinzu kamen die naiven wie illusorischen »Zähmungsversuche«, mit denen bürgerlich-konservative Spitzenpolitiker glaubten, die NS-Bewegung kontrollieren und für ihre eigenen Zwecke einspannen zu können. Nirgends kam diese folgenschwere Fehleinschätzung sprechender zum Ausdruck als in den Äußerungen des ersten Vizekanzlers im Kabinett Hitler, Franz von Papen, nachdem Hitler zum Reichskanzler ernannt worden war: »Wir haben ihn uns engagiert«, glaubte Papen verlautbaren zu dürfen: »In zwei Monaten haben wir Hitler in die Ecke gedrückt, daß er quietscht.«

Vgl. Jasper, Zähmung; Longerich, Bataillone, S. 153 – 156; Schildt, Konservatismus, S. 173 – 189; Kershaw, Hitler, Bd. 1, S. 473 – 527; Blasius, Ende, bes.S. 40 – 54, 96 – 102; Hildebrand, Reich (2009), Zitate S. 1 f.; Wirsching, »Mehrheitsgesellschaft«, S. 16 – 18; Ullrich, Hitler, Bd. 1, bes.S. 182 – 187, 342 – 348, 354 – 358, 384 – 420; Kap. II/9, Anm. 113.

Die Frage der Wiedergewinnung der politischen Macht unseres Volkes ist aber# 1926: gestrichen: aber schon deshalb in erster Linie eine Frage der Gesundung unseres nationalen Selbsterhaltungstriebes, als# 1930: als ersetzt durch: weil jede vorbereitende Außenpolitik sowie jede Bewertung eines Staates an sich erfahrungsgemäß sich weniger nach# 1930: eingefügt: den vorhandenen Waffen richtet als nach der bewußten und# 1930: gestrichen: bewußten und erkannten oder doch vermuteten moralischen Widerstandsfähigkeit einer Nation. Die Bündnisfähigkeit eines Volkes wird viel weniger bestimmt durch vorhandene tote Waffenmengen als durch das ersichtliche Vorhandensein eines flammenden nationalen Selbsterhaltungswillens und heroischen Todesmutes. Denn ein Bund wird nicht mit Waffen geschlossen, sondern mit Menschen.19 So wird das englische Volk so lange als wertvollster Bundesgenosse auf der Welt zu gelten haben20, solange es in seiner Führung und im Geiste der breiten Masse jene Brutalität und Zähigkeit erwarten läßt, die entschlossen ist# 1944: ist ersetzt durch: sind , einen einmal begonnenen Kampf ohne Rücksicht auf Zeit und Opfer mit allen Mitteln bis zum siegreichen Ende durchzufechten, wobei die augenblicklich vorhandene militärische Rüstung in keinem Verhältnis zu der anderer Staaten zu stehen braucht.21

Begreift man aber, daß die Wiedererhebung der deutschen Nation eine Frage der Wiedergewinnung unseres politischen Selbsterhaltungswillens darstellt, so ist es auch klar, daß dem nicht genügt wird durch eine Gewinnung von an sich schon wenigstens dem Wollen nach nationalen Elementen, als vielmehr# 1930: als vielmehr ersetzt durch: sondern nur durch die Nationalisierung der bewußt antinationalen Masse.

Eine junge Bewegung, die sich mithin# 1944: gestrichen: mithin als Ziel die Wiederaufrichtung eines deutschen Staates mit eigener Souveränität stellt, wird# 1944: eingefügt: mithin ihren Kampf restlos auf die Gewinnung der breiten Massen einzustellen haben. So jämmerlich auch im allgemeinen unser sogenanntes »nationales Bürgertum« ist, so unzulänglich seine nationale Gesinnung auch erscheint, so sicher ist von dieser Seite aber# 1926: gestrichen: aber ein ernstlicher Widerstand gegen eine kraftvolle nationale Innen- und Außenpolitik einst nicht zu erwarten.22 Selbst wenn aus den bekannt borniertkurzsichtigen Gründen heraus das deutsche Bürgertum wie schon einst einem Bismarck gegenüber in der Stunde