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44 In der zeitgenössischen europäischen Japanliteratur wurde dies ganz anders dargestellt: Bei der Mehrheit der Autoren bestand Konsens darüber, dass Japan zwar westliche Technik und Wissenschaften übernommen habe, die Basis des Staates hingegen nach wie vor auf alten japanischen Traditionen beruhe. Aus japanischer Sicht, die freilich zeitgenössisch in den deutschen Medien kaum rezipiert wurde, bestand der Erfolg des mit der Meiji-Restauration 1868 eingeleiteten Modernisierungsprojekts gerade darin, Techniken, Institutionen und Infrastruktur aus Westeuropa und den USA selektiv aufzunehmen, zugleich aber einen modernen Nationalstaat zu schaffen, dessen ethisches Fundament die traditionellen Normen und Werte der vormodernen japanischen Kriegerelite bildeten. Diese Strategie fand ihren programmatischen Ausdruck im Slogan »Japanischer Geist – Westliche Technik« (wakon yôsai).

Neben vielen kritischen, teils auch rassistischen Einlassungen zu Japan wurde dieser Prozess von einigen deutschen Beobachtern auch nachdrücklich gelobt, etwa von dem Geopolitiker Karl Haushofer in seinen Betrachtungen über Groß-Japans Wehrkraft, Weltstellung und Zukunft (1913). Die »Eigenschaften« der Japaner seien »in erster Linie einer sehr glücklichen Blutmischung zwischen dem malaiischen, dem mongolischen und dem Aino-Element« zu verdanken. »Der so entstandene Rassenwert« präge sich »vor allem in der japanischen Volksleistung« aus. Aufschlussreich ist, dass Haushofer – im Konsens mit anderen Japankennern seiner Zeit – auf genuin japanische Einflüsse im Militär Japans hinwies, während er die Bedeutung »klug auswählender Nachahmung« deutlich relativierte. Mit Haushofers Forschungen war Hitler wahrscheinlich nicht nur durch Rudolf Heß, sondern auch durch eigene Lektüre vertraut: Am 19. 5. 1924 berichtete Heß in einem Brief aus Landsberg, Hitler würde gerade Haushofers »Japan-Buch« lesen, womit sehr wahrscheinlich dessen Arbeit Japan und die Japaner (1923) gemeint war.

Vgl. BA Bern, NL Heß, J 1. 211 – 1989/148, 31 (Privater Schriftwechsel 1923), Dok. 22; Haushofer, Dai Nihon, Zitate S. 7 f., 9; Heß, Briefe, S. 328; Mathias-Pauer, Meinungen, S. 120 ff.; Spang, Haushofer (2000), S. 591 – 608; Spang, Haushofer (2013), S. 365 – 393. 

45 Literarische Schreibweise des Wortes Brunnen. »Bronnen«, »Bronn« und »Bronne« kamen in der deutschen Dichtung immer wieder vor, beispielsweise in Goethes Faust I: »Das Pergament[,] ist das der heil’ge Bronnen, Woraus ein Trunk den Durst auf ewig stillt?« Auch Houston Stewart Chamberlain verwendete den Ausdruck »Bronnen« in seinem Hauptwerk Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts. Sehr markant hat Richard Wagner das Wort in seiner Oper Tannhäuser (Aufzug 2, Szene 4) herausgestellt. »Bronnen« steht hier als Begriff im Mittelpunkt des berühmten Sängerwettstreits. So singt der Titelheld Heinrich Tannhäuser: »In vollen Zügen trink’ ich Wonnen, in die kein Zagen je sich mischt: denn unversiegbar ist der Bronnen, wie mein Verlangen nie erlischt.«

Vgl. Grimm, Wörterbuch, Bd. 2, Sp. 397; Chamberlain, Grundlagen, Bd. 1, S. 559; Wagner, Werke, Bd. 25, S. 508 – 515, Zitat S. 510; Goethe, Werke, Abt. 1, Bd. 7/1, Zitat S. 39.

46 Gemeint ist die wirtschaftliche Öffnung Japans, welche die USA 1853/54 erzwang und in deren Folge westliche Technologien nach Japan eingeführt wurden. Zunächst betraf dies die Rüstungstechnik und den modernen Schiffbau. Außerdem wurden europäische und amerikanische Fachleute ins Land geholt, um Schmelz- und Gusstechniken vorzuführen. Zugleich experimentierten fortschrittliche japanische Fürsten mit der Umstrukturierung ihrer Heere nach europäischem Vorbild. Nach der Meiji-Restauration (1868) kam auch dem Eisenbahnbau, dem Aufbau eines Telegrafennetzes und der systematischen Förderung von Industrie und Bergbau eine Schlüsselrolle zu. Außerdem wurden westliche Rechts- und Bildungssysteme importiert. In den 1870er und 1880er Jahren wirkten an den gerade gegründeten japanischen Hochschulen de facto auf jedem Gebiet ausländische Gelehrte. Der komplexe Umstrukturierungsprozess erfasste praktisch alle Bereiche der Gesellschaft, Politik und Wirtschaft und dauerte bis um 1890. Danach wurde er moderater und mit der Maßgabe fortgesetzt, beim Aufbau des modernen japanischen Staates die japanischen Traditionen als Basis zu bewahren. Institutionell waren vor allem die Verfassung von 1889 (nach preußisch-deutschem Vorbild) sowie das Parlament und das Rechtssystem (1898 Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs) von weitreichender Bedeutung, hatten doch die Westmächte die Revision solcher Verträge, die Japan benachteiligten (»Ungleiche Verträge«) für den Fall in Aussicht gestellt, dass Japan sich dem institutionellen und juristischen Standard »zivilisierter Nationen« angleiche.

Vgl. Zöllner, Geschichte, S. 140 – 308; Distelrath, Dynamik, S. 246 – 260; Oberländer, Großmacht; Mathias, Entstehen; Kap. II/13, Anm. 178, 192.

47 Anspielung auf den starken Kulturtransfer von China und Korea nach Japan in der Kofun-Periode (3. – 7. Jahrhundert n. Chr.), durch den der Buddhismus (im Jahre 538 oder 552) ebenso importiert wurde wie die chinesische Schrift sowie kontinentales Kunsthandwerk und Architektur. Karl Haushofer schrieb dazu in seiner Studie Japan und die Japaner (1923), das japanische »Rassengemisch« sei zu einer Einheit geworden, als es »im 6.– 7. Jahrhundert n. Chr. gleichzeitig Buddhismus und Schrift, chinesische Staatsphilosophie und Staatsstruktur über Korea aus China« übernommen habe. Die japanische Kultur sei eine Tochter der chinesischen Kultur. Schon Joseph Arthur de Gobineau nannte Japan in seinem Versuch über die Ungleichheit der Menschenrassen eine »Kopie Chinas«. In der verqueren Sicht völkischer Rassenideologen war die Kultur Chinas und Koreas durch »arische« Einflüsse entstanden. So behauptete Guido von List in seiner Schrift Die Namen der Völkerstämme Germaniens und deren Deutung (1908), alle asiatischen und afrikanischen Kulturstaaten des Altertums seien »immer und nur von Ariern begründet« worden; allein unter ihrem Einfluss hätten sie sich erhalten können.

Vgl. Gobineau, Versuch, Bd. 2, Zitat S. 360; List, Namen, Zitat S. 5; Haushofer, Japan, S. 41 (Zitat), 77; Kreiner, Grundlagen; Blümmel, Dominanz, S. 81 – 93; Kleine, Buddhismus, S. 1 – 13. 

Grundlage ebenso hellenischer Geist und germanische Technik sein wird, wie dies bei uns der Fall ist. Nur die äußere Form wird (zum Teil wenigstens) die Züge asiatischer Wesensart tragen. Es ist nicht so, wie manche meinen, daß Japan zu seiner Kultur europäische Technik nimmt, sondern die europäische Wissenschaft und Technik wird mit japanischen Eigenarten# 1939: japanischen Eigenarten ersetzt durch: japanischer Wesensart;
1944: japanischen Eigenarten verbrämt. Die Grundlage des tatsächlichen Lebens ist aber# 1926: gestrichen: aber nicht mehr die besondere japanische Kultur, obwohl sie (weil äußerlich infolge des inneren Unterschiedes für den# 1944: den ersetzt durch: die Europäer mehr in die Augen springend) die Farbe des Lebens bestimmt, sondern die gewaltige wissenschaftlich-technische Arbeit Europas und Amerikas, also arischer Völker. Auf diesen Leistungen allein kann auch der Osten dem allgemeinen menschlichen Fortschritt folgen. Dies ergibt die Grundlage des Kampfes um das tägliche Brot, schafft Waffen und Werkzeuge dafür, und nur die äußere Aufmachung wird allmählich dem japanischen Wesen angepaßt.44

Würde ab heute jede weitere arische Einwirkung auf Japan unterbleiben,# 1930: eingefügt: angenommen Europa und Amerika angenommen# 1930: gestrichen: angenommen zugrunde gehen, so könnte eine kurze Zeit noch eine Fortentwicklung# 1930: gestrichen: eine Fortentwicklung des heutigen Aufstieges# 1930: des heutigen Aufstieges ersetzt durch: der heutige Aufstieg Japans in Wissenschaft und Technik erfolgen# 1930: erfolgen ersetzt durch: anhalten ; allein schon in wenigen Jahren würde der Bronnen45 versiegen, das japanische Leben# 1930: das japanische Leben ersetzt durch: die japanische Eigenart gewinnen, aber die# 1930: eingefügt: heutige Kultur erstarren und wieder in den Schlaf zurücksinken, aus dem sie vor sieben Jahrzehnten durch die arische Kulturwelle aufgescheucht wurde.46 Daher ist, genau so wie die heutige japanische Entwicklung arischem Ursprung das Leben verdankt, auch einst in grauer Vergangenheit fremder Einfluß und fremder Geist der Erwecker der damaligen japanischen Kultur gewesen.47 Den besten Beweis hierfür liefert die Tatsache der späteren Verknöcherung und vollkommenen Erstarrung derselben. Sie kann bei einem Volke nur eintreten, wenn der ursprünglich schöpferische Rassekern verlorenging, oder die äußere Einwirkung später fehlte, die den Anstoß und das Material zur ersten Entwicklung auf kulturellem Gebiete gab. Steht aber fest, daß ein Volk seine Kultur in den wesentlichsten# 1944: wesentlichsten ersetzt durch: wesentlichen Grundstoffen von fremden Rassen erhält, aufnimmt und verarbeitet, um dann nach dem Verluste