In meinen Wiener Lehrjahren wurde ich gezwungen, ob ich wollte oder nicht, auch zur Frage der Gewerkschaften126 Stellung zu nehmen.

Da ich sie als einen unzertrennlichen Bestandteil der sozialdemokratischen Partei an sich ansah, war meine Entscheidung schnell und – falsch.

Ich lehnte sie selbstverständlich glatt ab.

Auch in dieser so unendlich wichtigen Frage gab mir das Schicksal selber Unterricht.

Das Ergebnis war ein Umsturz meines ersten Urteils.

Mit zwanzig Jahren hatte ich unterscheiden gelernt zwischen der Gewerkschaft als Mittel zur Verteidigung allgemeiner sozialer Rechte des Arbeitnehmers und zur Erkämpfung besserer Lebensbedingungen desselben im einzelnen und der Gewerkschaft als Instrument der Partei des politischen Klassenkampfes.

Daß die Sozialdemokratie die enorme Bedeutung der gewerkschaftlichen Bewegung begriff, sicherte ihr das Instrument und damit den Erfolg; daß das Bürgertum dies nicht verstand, kostete es seine politische Stellung. Es glaubte, mit einer naseweisen »Ablehnung« einer logischen Entwicklung den Garaus machen zu können, um in Wirklichkeit dieselbe nun in unlogische Bahnen zu zwingen. Denn daß die Gewerkschaftsbewegung etwa an sich vaterlandsfeindlich sei, ist ein Unsinn und außerdem eine Unwahrheit. Richtig ist eher das Gegenteil. Wenn eine gewerkschaftliche Betätigung als Ziel die Besserstellung eines mit zu den Grundpfeilern der Nation gehörenden Standes im Auge hat und durchführt, wirkt sie nicht nur nicht vaterlands- oder staatsfeindlich, sondern im wahrsten Sinne des Wortes »national«. Hilft sie doch so mit, die sozialen Voraussetzungen zu schaffen, ohne die eine allgemein# 1944: allgemein ersetzt durch: allgemeine nationale Erziehung gar nicht zu denken ist. Sie erwirbt sich höchstes Verdienst, indem sie, durch Beseitigung sozialer Krebsschäden, sowohl geistigen als aber auch körperlichen Krankheitserregern an den Leib rückt und so zu einer allgemeinen Gesundheit des Volkskörpers127 mit beiträgt.

Die Frage nach ihrer Notwendigkeit also ist wirklich überflüssig.

Solange es unter Arbeitgebern Menschen mit geringem sozialen# 1939: sozialen ersetzt durch: sozialem Verständnis oder gar mangelndem Rechts- und Billigkeitsgefühl