Die deutsche Ostmark <span class="pagenumber">[9]</span>

46 Eine damals geläufige Kritik, die vor allem Autoren verbreiteten, die selbst in Grenzregionen des Deutschen Reichs aufgewachsen waren. In der Rede Selbstbesinnung in deutscher Not, gehalten am 1. 6. 1919 im Leipziger Stadttheater, rechnete etwa der in Posen geborene Philosophieprofessor Felix Krueger die mangelnde Sensibilität für die Belange der »Auslandsdeutschen« zu den fehlenden »geistigen Voraussetzungen« der Deutschen für einen siegreichen Kriegsausgang. Mit Blick auf die Zeit vor 1914 beklagte er: »Wenn wir Akademiker auf die Pflichten unseres Reiches gegen unterdrückte Stammesbrüder hinwiesen […], wie oft begegneten wir dann bei Mitbürgern, die zur Führung berufen schienen, einem nichtverstehenden Lächeln.«

Vgl. Krueger, Selbstbesinnung, Zitat S. 8 (Herv. i. Orig.).

47 Besonders fassbar wurden die Konflikte der verschiedenen Ethnien der Habsburgermonarchie in einem nicht enden wollenden Sprachenstreit, von dem besonders der öffentliche Raum: Behörden, Kirchen, aber auch Schulen betroffen war. Anders als in der ungarischen Hälfte der Doppelmonarchie gab es in der österreichischen Reichshälfte keine einheitliche Staatssprache. Gesprochen wurden hier viele Sprachen, etwa Deutsch, Polnisch, Tschechisch, Ruthenisch, Serbisch, Kroatisch, Slowenisch, Italienisch, Jiddisch, Rumänisch und auch Russisch. Dass diese Heterogenität zu Konflikten führte, dürfte Hitler im Jahr 1903 selbst erlebt haben, als es in Linz zu Auseinandersetzungen über eine in tschechischer Sprache gehaltene Predigt kam, die der Linzer Bischof Franz Maria Doppelbauer mit Blick auf die in Linz ansässigen, tschechischen Arbeiter genehmigt hatte. Der Gemeinderat reagierte darauf mit einem Dringlichkeitsantrag, den angeblich zu »Demonstrationen mißbrauchten tschechischen Gottesdienst einzustellen«. Ferner rief er die ansässigen Unternehmer auf, künftig »nur [noch] deutsche Gehilfen und Lehrlinge« einzustellen. Auch vor dem oberösterreichischen Landtag, der sich am 12. 10. 1903 gegen die Abhaltung »böhmischer Gottesdienste« verwahrte, musste sich Doppelbauer rechtfertigen.

Vgl. Sutter, Stellung, S. 296 – 317; Slapnicka/ Marckhgott, Aufbau, S. 76 – 78; Hamann, Wien, Zitate S. 30; Zinnhobler, Bistum, S. 76 – 80.  Zum Sprachenstreit in der Habsburgermonarchie vgl. Kap. I/3, Anm. 60, 73.

können, einem 52-Millionen-Staate# 1939: 52-Millionen-Staate ersetzt durch: Zweiundfünfzig-Millionen-Staate;
1944: 52-Millionen-Staate 44 so sehr seinen Stempel aufzuprägen, daß ja gerade in Deutschland sogar die irrige Meinung entstehen konnte, Österreich wäre ein deutscher Staat. Ein Unsinn von schwersten Folgen, aber ein doch glänzendes Zeugnis für die zehn Millionen Deutschen der Ostmark.45 Von dem ewigen unerbittlichen Kampfe um die deutsche Sprache, um deutsche Schule und deutsches Wesen hatten nur ganz wenige Deutsche aus dem Reiche eine Ahnung.46 Erst heute, da diese traurige Not vielen Millionen unseres Volkes aus dem Reiche selber aufgezwungen ist, die unter fremder Herrschaft vom gemeinsamen Vaterlande träumen und sich sehnend nach ihm, wenigstens das heiligste# 1937: heiligste ersetzt durch: heilige;
1939: heiligste;
1944: heilige Anspruchsrecht der Muttersprache zu erhalten versuchen, versteht man in größerem Kreise, was es heißt, für sein Volkstum kämpfen zu müssen. Nun vermag auch vielleicht der eine oder andere die Größe des Deutschtums aus der alten Ostmark des Reiches zu messen# 1939: messen ersetzt durch: ermessen;
1944: messen , das, nur auf sich selbst gestellt, Jahrhunderte lang# 1937: Jahrhunderte lang ersetzt durch: jahrhundertelang das Reich erst nach Osten beschirmte, um endlich in zermürbendem Kleinkrieg die deutsche Sprachgrenze zu halten, in einer Zeit, da das Reich sich wohl für Kolonien interessierte aber nicht für das eigene Fleisch und Blut vor seinen Türen# 1944: Türen ersetzt durch: Toren .

Wie überall und immer, in jeglichem Kampf, gab es auch im Sprachenkampf47 des alten Österreich drei Schichten:

die Kämpfer, die Lauen und die Verräter.

Schon in der Schule begann diese Siebung einzutreten. Denn es ist das Bemerkenswerte des Sprachenkampfes wohl überhaupt, daß seine Wellen vielleicht am schwersten gerade die Schule, als Pflanzstätte der kommenden Generation, umspülen. Um das Kind wird dieser Kampf geführt und an das Kind richtet sich der erste Appell dieses Streites:

»Deutscher Knabe, vergiß nicht, daß du ein Deutscher bist«48, und# 1939: bist«, und ersetzt durch: bist!« und

»Mädchen, gedenke, daß du eine deutsche Mutter werden sollst«.# 1939: sollst«. ersetzt durch: sollst!« 49

Wer der Jugend Seele kennt, der wird verstehen können, daß gerade sie am freudigsten die Ohren für einen solchen Kampfruf öffnet. In hunderterlei Formen pflegt sie diesen Kampf dann zu