Anbiederung an Frankreich <span class="pagenumber">[282]</span>

112 Hitlers Überlegungen zu Großbritannien als einem möglichen deutschen Bündnispartner stießen in Teilen der NSDAP auf Ablehnung. Kritik formulierte vor allem ihr linker Flügel, der für eine Ostorientierung der deutschen Außenpolitik und ein Bündnis mit der Sowjetunion eintrat. Diese hielt vor allem Gregor Straßer für einen natürlichen Bündnispartner, wenn es darum ging, die Bestimmungen des von den Westmächten getragenen Versailler Vertrags zu durchbrechen und Deutschland eine Vormachtstellung in Mitteleuropa zu sichern: »Wenn wir Nationalsozialisten so zu einer prorussischen Einstellung kommen, dann nicht aus Liebe zu Rußland, am wenigsten aus Liebe zu Sowjetrußland, sondern ausschließlich im Interesse der Wiedergewinnung deutscher Freiheit! – Lautet so die Parole deutscher Gegenwart ganz klar: ›Mit Rußland gegen den Westen‹, so müssen wir uns darüber klar sein, daß diese Parole eine zeitlich begrenzte und in ihrer Zielsetzung negative ist! Wir Nationalsozialisten müssen darüber hinaus eine positive Zielsetzung haben, die lautet und kann nur lauten: ›Mitteleuropa unter deutscher Führung!!‹« Joseph Goebbels zeigte sich am 15. 2. 1926 in seinem Tagebuch geradezu entsetzt von Hitlers bündnispolitischen Plänen: »Hitler redet. 2 Stunden. Ich bin wie geschlagen. […] Russische Frage: vollkommen daneben. Italien und England naturgegebene Bundesgenossen. Grauenhaft! Unsere Aufgabe ist die Zertrümmerung des Bolschewismus. […] Wir müssen Rußland beerben!« Hinter der Aversion gegen Großbritannien stand immer auch der deutsch-britische Antagonismus aus dem Ersten Weltkrieg und die Vorstellung einer angeblich grundlegenden Unvereinbarkeit des deutschen und des britischen »Volkscharakters«, wie sie etwa Werner Sombart in seinem Traktat Händler und Helden (1915) vertreten hatte.

Vgl. Nationalsozialistische Briefe vom 15. 1. 1926, »Zu den aussenpolitischen Zielen des Jungdeutschen Ordens« (Zitat, Herv. i. Orig.); Goebbels, Tagebücher, Teil I, Bd. 1/II, Zitat S. 55; Sombart, Händler; Schildt, Arbeitsgemeinschaft, S. 81 – 86; Plöckinger, Geschichte, S. 102; Graml, Hitler, S. 13 – 19; Kap. I/4, Anm. 117; Anm. 91 in diesem Kapitel.

114 Gemeint sind Äußerungen aus dem Umfeld der Marineführung, insbesondere Adolf von Trothas, der bis zu seiner Verabschiedung nach dem Kapp-Putsch im Oktober 1920 Chef der Admiralität war. Ähnliche Vorstellungen wurden nach 1918 auch vom Bund deutscher Marinevereine und vom Deutschen Seeverein vertreten, dem Nachfolger des Deutschen Flottenvereins. Letzterer erreichte allerdings nie die Bedeutung seines Vorgängers, schon weil die Propagierung von »Seegeltung« ohne den Kristallisationspunkt einer Kriegsflotte realitätsfremd blieb. Die Mitgliederzahlen des Deutschen Seevereins gingen dann auch von etwa 37.000 (1925) auf rund 26.000 (1930) zurück. Insgesamt rechnete die deutsche Öffentlichkeit nach dem Versailler Vertrag nicht mehr mit einer Wiederherstellung der deutschen Seemachtstellung. Gleichwohl blieb das Thema publizistisch präsent: So bündelten etwa die Süddeutschen Monatshefte im Mai 1927 eine Anzahl kurzer Aufsätze zum Themenheft »Die deutsche Seemacht«.

Vgl. Trotha, Seemacht, S. 73; Janson, Sinn, S. 539 f., 544; Longerich (Hrsg.), Republik, S. 316 f.; Dülffer, Weimar, S. 39 f.; Schreiber, Reichsmarine, S. 152 – 154; Doepgen, Konferenz, S. 16 – 18, 103 f.; Salewski, Kriegsmarine, S. 191; Salewski, England, S. 216.

115 Den Verlust der Kolonien durch den Versailler Vertrag (Art. 118 – 127) empfanden weite Teile der deutschen Öffentlichkeit als Demütigung. Gegen den »Raub der Kolonien« protestierten nicht nur die Abgeordneten der Verfassunggebenden Nationalversammlung, sondern auch 3,8 Millionen Deutsche auf insgesamt rund 63.000 Unterschriftenlisten. Während der 1920er Jahre engagierte sich vor allem die Deutsche Kolonialgesellschaft, zu der sich 1922 die Koloniale Reichsarbeitsgemeinschaft und der Deutsche Kolonialverein zusammengeschlossen hatten, für eine Rückgabe der Kolonien. Ein Höhepunkt war die vom 31. 7. bis 4. 8. 1926 abgehaltene, von 15 Verbänden getragene »Hamburger Kolonialwoche«. Begrenzte Unterstützung fanden die Kolonialrevisionisten auch durch das – in seinen Möglichkeiten freilich eingeschränkte – Auswärtige Amt sowie durch Firmen und Banken, die am Überseehandel beteiligt waren. Für eine Wiedergewinnung von Kolonien warben schließlich auch die Autoren der florierenden Kolonialliteratur, etwa Hans Grimm in seinem Bestseller Volk ohne Raum (1926).

Vgl. RGBl. 1919/II, S. 895 – 899; Die Deutsche Nationalversammlung im Jahre 1919, Bd. 1, S. 152; Bd. 2, S. 1019 f.; Bd. 4, S. 2248, 2657, 2681 f.; Bd. 5, S. 3437, 3439, 3441, 3444; Freytag (Hrsg.), Quellen, Dok. 83; Liebert, Kolonien, S. 799; Logan, Mandates, S. 26 – 60; Rogowski, Kolonialrevisionismus; Conrad, Kolonialgeschichte, S. 117 f.; Vordermayer, Bildungsbürgertum, S. 60 – 68; Kap. I/4, Anm. 169.

glaubte, in jedem gerissenen Trick des französischen Henkers sofort das erste Anzeichen einer sichtbaren Gesinnungsänderung erblicken zu dürfen111, d. h. natürlich: die#1929: dürfen, d. h. natürlich: die ersetzt durch: dürfen. Die tatsächlichen Drahtzieher unserer Politik haben diesem irrsinnigen Glauben niemals gehuldigt. Für sie war das Anbiedern an#1929: an ersetzt durch: mit;
1937: an;
1939: mit;
1944: an Frankreich nur das selbstverständliche Mittel, auf solche Weise jede praktische Bündnispolitik zu sabotieren. Sie waren sich über Frankreichs und seiner Hintermänner Ziele nie im unklaren. Was sie zwang, so zu tun, als ob sie dennoch ehrlich an die Möglichkeit einer Änderung des deutschen Schicksals glaubten, war die nüchterne Erkenntnis, daß im anderen Falle#1944: Falle ersetzt durch: Fall ja wahrscheinlich#1939: wahrscheinlich ersetzt durch: wahrlich;
1944: wahrscheinlich unser Volk selbst einen anderen Weg gegangen wäre.

Es ist natürlich auch für uns#1929: eingefügt: schwer, in den Reihen der eigenen Bewegung schwer#1929: gestrichen: schwer, England als möglichen Bundesgenossen für die Zukunft erscheinen zu lassen#1929: erscheinen zu lassen ersetzt durch: hinzustellen.112 Unsere jüdische Presse113 verstand es ja immer wieder, den Haß besonders auf England zu konzentrieren, wobei so mancher gute deutsche Esel#1929: Esel ersetzt durch: Gimpel dem Juden bereitwilligst auf die hingehaltene Leimrute kroch, vom »Wiedererstarken« einer deutschen Seemacht schwätzte114, gegen den Raub unserer Kolonien protestierte, ihre Wiedergewinnung empfahl115 und somit half, das Material zu liefern, das der jüdische Lump dann seinen Stammesgenossen in England zur praktischen propagandistischen Verwertung überweisen konnte. Denn daß wir heute nicht um »Seegeltung« usw. zu kämpfen#1929: kämpfen ersetzt durch: kämpen [sic!];
1930: kämpfen haben, das sollte allmählich auch in den Köpfen unserer politisierenden bürgerlichen Einfaltspinsel aufdämmern. Die Einstellung der deutschen Nationalkraft auf diese Ziele, ohne die gründlichste vorherige Sicherung unserer Stellung in Europa, war schon ein Unsinn#1929: gestrichen: ein Unsinn vor dem Kriege#1929: eingefügt: ein Unsinn. Heute gehört eine solche Hoffnung zu jenen Dummheiten, die man im Reiche der Politik mit dem Wort Verbrechen#1937: Verbrechen ersetzt durch: »Verbrechen«;
1939: Verbrechen belegt.

Es war schon#1929: gestrichen: schon wirklich manchmal zum Verzweifeln, wenn man zusehen mußte, wie die jüdischen Drahtzieher es fertig brachten#1944: fertig brachten ersetzt durch: fertigbrachten, unser Volk mit heute höchst nebensächlichen Dingen zu beschäftigen, zu Kundgebungen und Protesten aufzuputschen, während in