Folgen der Außenpolitik des Reiches <span class="pagenumber">[219]</span>

122 Eine Anspielung auf das Republikschutzgesetz.

Vgl. Kap. I/10, Anm. 171.

Wie erschreckend gering im Vergleich hierzu die politische Toleranz der NSDAP war, hatte sich schon bei ihrem Putschversuch im November 1923 gezeigt. Am Morgen des 9. 11. erschien im Völkischen Beobachter eine Proklamation, in der unter anderem zu lesen war: »Die führenden Schufte des Verrats vom 9. November 1918, soweit sie nicht schon hinter Schloß und Riegel ihrer Aburteilung harren, sind ab heute als vogelfrei erklärt. Jeder Deutsche, welcher Ebert, Scheidemann, Oskar Cohn, Paul Levi, Theodor Wolff, Georg Bernhard und ihre Helfer und Helfershelfer ausfindig machen kann, hat die Pflicht, sie tot oder lebendig in die Hände der Völkischen Nationalregierung zu liefern.«

Vgl. Hitler und Kahr, S. 149; Hirschberg, Jude, S. 241; Piper, Rosenberg, Zitat S. 359 f.

123 Der bayerische Ministerpräsident Heinrich Held klagte etwa am 14. 7. 1925 vor dem Bayerischen Landtag: »Seit den letzteren fünf Jahren stehen die Länder in fortwährendem Kampfe mit dem Reiche auf finanziellem Gebiete. […] Das sind nach meinem Dafürhalten unhaltbare Zustände, (sehr richtig! rechts) und wenn sich die Dinge so weiter entwickeln, werden wir eines schönen Tages zur Provinz herabgesunken sein, ohne gemerkt zu haben, wie die Dinge gemacht worden sind.« Im Anschluss stimmten alle im Bayerischen Landtag vertretenen Parteien – mit Ausnahme der KPD – für eine Resolution, in der sie »Reichsregierung und Reichstag [baten], nicht Maßnahmen zu treffen, die das Eigenleben der Länder völlig zu untergraben geeignet sind und die den Ländern die Erfüllung der ihnen obliegenden großen sozialen und kulturellen Aufgaben unmöglich machen. […]. Der bayer[ische] Landtag erhebt weiter feierlichen Einspruch gegen die geplante Kontrolle der Finanzgebarung der Länder und Gemeinden durch das Reich, die auch mit dem letzten Rest von Selbständigkeit der Länder unverträglich wäre.«

Vgl. Augsburger Postzeitung vom 16. 7. 1925, »Ministerpräsident Held über den Finanzausgleich. Ein Appell des bayerischen Landtages an die Reichsregierung«; Verhandlungen des Bayerischen Landtags, II. Tagung 1924/25, Bd. 3, S. 443 – 446, Zitat S. 444 f.

125 Nach Artikel 48, AbS. 1 der Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. 8. 1919 konnte der Reichspräsident die Reichsexekution gegenüber einem Land des Deutschen Reichs verhängen, falls dieses »die ihm nach der Reichsverfassung oder den Reichsgesetzen obliegenden Pflichten nicht erfüllt« hatte. Zu diesen Pflichten zählte insbesondere die Bundestreue sowie die Achtung und Wahrung der existenziellen Erfordernisse des Bestands, der Sicherheit und der Wohlfahrt des Reichs. Ob freilich Streitigkeiten über finanzielle Abgaben der Länder mit dem Mittel der Reichsexekution entschieden worden wären, ist fraglich. Die Reichsexekution galt als ultima ratio. Vorgesehen war sie nur für den Fall, dass eine Konfliktlösung durch Verhandlungen oder ein gerichtliches Verfahren nicht mehr möglich war. Bis 1926 gab es nur drei Fälle von Reichsexekutionen – in Thüringen (1920), in Gotha (1920) und in Sachsen (1923). Anlass waren in allen drei Fällen sehr viel gravierendere Konflikte, da sich jedes Mal linksradikale Regierungen nicht mehr bereit zeigten, die Autorität der Reichsgewalt anzuerkennen.

Vgl. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 4, S. 731 – 743; Gusy, Weimar, S. 295 – 301; Weiler, Reichsexekution; Kap. I/10, Anm. 131.

126 Die Gültigkeit des Friedensvertrags von Versailles vom 28. 6. 1919 begründet sich für das Deutsche Reich nicht allein außen- und machtpolitisch, sondern auch völkerrechtlich. »Die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts gelten als bindende Bestandteile des deutschen Reichsrechts«, legte Artikel 4 der Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. 8. 1919 fest. Doch ging die Reichsverfassung im Hinblick auf den Versailler Vertrag noch einen Schritt weiter. In Artikel 178, AbS. 2 hieß es: »Die Bestimmungen des am 28. Juni 1919 in Versailles unterzeichneten Friedensvertrags werden durch die Verfassung nicht berührt.« Die zeitgenössische Staatsrechtslehre hat den Versailler Vertrag sogar als »Oberverfassung des deutschen Reichs« bezeichnet. Für das Deutsche Reich bedeutete dies, dass seine territoriale, außenpolitische sowie finanz- und wirtschaftspolitische Souveränität teilweise empfindlich eingeschränkt war. Aufgrund dieser Umstände verstand es sich von selbst, dass die Revision des Versailler Vertrags das zentrale Ziel der deutschen Außenpolitik bildete.

Vgl. RGBl. 1919/II, S. 1381, 1417; Pohl, Reichsverfassung, S. 4; Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 4, S. 486 – 475; Krüger, Außenpolitik.

127 Eine Anspielung auf die BVP, eine der mächtigsten Parteien in Bayern, die am 12. 11. 1918 auf einer Tagung in Regensburg gegründet worden war. Von ihrem Selbstverständnis war die BVP konservativ, katholischklerikal und dezidiert föderalistisch. Ihr bis zum 28. 10. 1923 angenommenes »Bamberger Programm« bejahte zwar den Verbleib Bayerns im Deutschen Reich, forderte jedoch die »Rückkehr zur bundesstaatlichen Form des Reiches«, also zu Verhältnissen wie vor 1918. Gegenüber der Reichsregierung in Berlin wurde die Haltung der BVP vor allem von vier Faktoren bestimmt: (1) von der Furcht vor dem »roten« Berlin und dem »roten« Preußen; (2) von der Furcht vor der protestantischen Dominanz im Deutschen Reich; (3) von der Furcht, die Reichsregierung könne versuchen, Bayern zu stark zu dominieren; (4) von der Furcht vor der Überlegenheit der Großindustrie über einen primär agrarisch geprägten Staat wie Bayern.

Vgl. Mommsen (Hrsg.), Parteiprogramme, S. 506 f.; Gordon, Hitlerputsch, S. 34 – 37; Schönhoven, Volkspartei; Becker, Sonderweg; Kap. II/2, Anm. 7.

mals die Liebe auch nur eines einzigen Deutschen erwerben. In der übergroßen Sorge, die Republik vor ihren eigenen Bürgern durch Paragraphen und Zuchthaus zu schützen, liegt die vernichtendste Kritik und Herabsetzung der gesamten Institution selbst.122

Allein auch aus einem anderen Grunde ist die von gewissen Parteien heute aufgestellte Behauptung, daß das Schwinden der Reichsfreudigkeit den Übergriffen des Reiches auf bestimmte Hoheitsrechte der Länder zuzuschreiben wäre, unwahr.123 Angenommen, das Reich hätte die Erweiterung seiner Kompetenzen nicht vorgenommen, so glaube man doch ja nicht, daß dann die Liebe der einzelnen Länder zum Reich eine größere wäre, wenn nichtsdestoweniger die Gesamtabgaben#1944: Gesamtabgaben ersetzt durch: Gesamtausgaben dieselben sein müßten wie jetzt.124 Im Gegenteil: Würden die einzelnen Länder heute Abgaben in der Höhe zu tragen haben, wie sie das Reich zur Erfüllung der Versklavungsdiktate braucht, so würde die Reichsfeindlichkeit noch unendlich viel größer sein. Die Beiträge der Länder an das Reich wären nicht nur sehr schwer hereinzubringen, sondern müßten geradezu auf dem Wege#1944: Wege ersetzt durch: Weg der Zwangsexekution125 eingetrieben werden. Denn da die Republik nun einmal auf dem Boden der Friedensverträge steht und weder den Mut noch irgendwie die Absicht besitzt, sie zu brechen126, muß sie mit ihren Verpflichtungen rechnen. Schuld daran sind jedoch wieder nur die Parteien, die ununterbrochen den geduldigen Wählermassen von der notwendigen Selbständigkeit der Länder vorreden127, dabei aber eine Reichspolitik fördern und unterstützen, die ganz zwangsläufig zur Beseitigung auch der letzten dieser sogenannten »Hoheitsrechte« führen muß.

Ich sage zwangsläufig#1937: zwangsläufig ersetzt durch: »zwangsläufig«;
1939: zwangsläufig deshalb, weil dem heutigen Reich gar keine andere Möglichkeit bleibt, seinen durch eine verruchte Innen- und Außenpolitik aufgebürdeten Lasten gerecht zu werden.128 Auch hier treibt ein Keil den anderen, und jede neue Schuld, die das Reich durch seine verbrecherische Vertretung deutscher Interessen nach außen auf sich lädt, muß im Innern durch einen stärkeren Druck nach unten ausgeglichen werden, der seinerseits wieder die allmäh-