Warum keine Wehrverbände <span class="pagenumber">[186]</span>

169 Im Grunde wird hier bereits die Auseinandersetzung mit Ernst Röhm als dem künftigen Stabschef der SA antizipiert, die schließlich am 30. 6. 1934 in der Liquidierung der Obersten SA-Führung, dem »Röhm-Putsch«, kulminierte. Diese interne Säuberungswelle hatte verschiedene Ursachen: Röhm, der klassische »Typus des antibürgerlich ausgerichteten politischen Soldaten«, hielt auch Monate nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler die »nationalsozialistische Revolution« für noch nicht beendet, obwohl Hitler genau dies am 6. 7. 1933 öffentlich verkündet hatte. Röhm hielt dagegen, die Ziele der Revolution seien »noch nicht erreicht«. Außerdem verfolgte Röhm ein weiteres Ziel: Die konsequente Militarisierung der SA, die er in Form einer gewaltigen Milizarmee als dritte Bewaffnete Macht neben Reichswehr und Polizei etablieren wollte. Er sah darin die Voraussetzung für die totale Militarisierung der deutschen Gesellschaft und für eine Wiederaufrüstung. Tatsächlich wuchs die SA zwischen Januar 1933 und Juni 1934 von ca. 450.000 auf 4.500.000 Mann; bei ihrer Entwaffnung im Sommer 1934 fanden sich 177.000 Karabiner und 1.900 Maschinengewehre. Hitler wollte indes von dem Konzept einer relativ unprofessionellen Milizarmee nichts wissen. Bedroht davon fühlte sich auch die Reichswehr, die sich »als alleiniger Waffenträger der Nation« verstand – so der General Werner von Blomberg am 21. 4. 1934. Die Ermordung Röhms und seiner Gefolgsleute sowie die Entmachtung der Obersten SA-Führung beendeten dann definitiv alle Versuche, die SA zu einer paramilitärischen Organisation auszubauen.

Vgl. Müller, Heer, S. 88 – 141, Dok. 9, Zitat S. 603 (Herv. i. Orig.); Longerich, Bataillone, S. 179 – 219, Zitate S. 181, 202; Hancock, Röhm, S. 131 – 166.

172 Angesichts der Heterogenität der Freikorps ist es kaum möglich, von einer übergreifenden Mentalität ihrer Angehörigen zu sprechen und ihnen prinzipiell »militärischen Gehorsam« zu attestieren. Ein Teil der Freikorps war auf die Reichsregierung bzw. die jeweiligen Landesregierungen vereidigt. Zugleich wurde in zahllosen Befehlen und Aufrufen immer wieder an Disziplin und Gehorsam appelliert. Doch blieben die Unterschiede zwischen den Verbänden groß: »Der deutsche Frontsoldat marschiert auf, rechts, links und in der Mitte. Lassen wir den Kolonnen Zeit, sich über die Marschrichtung klar zu werden«, schrieb Ernst Jünger schon 1926. Neben diesen politisch-mentalen Unterschieden gab es nicht wenige Freikorps-Angehörige, die sich an einem romantisierten Bild des Landsknechts orientierten, versehen mit Attributen wie Freiheit, Ungebundenheit, Kampflust und auch Anarchie. Nicht zu Unrecht galten viele Freikorps-Offiziere als »militärische Desperados«. Ein Angehöriger des Freikorps Werdenfels charakterisierte seinen Verband als einen »Sauhaufen ohne jegliche Disziplin und soldatischen Ernst«. »Der Marsch nach München war für diese Männer nichts weiter als eine ›Gaudi‹.« Auch in der Behandlung der gefangenen Gegner oder der Zivilbevölkerung zeigten sich solche Disziplinlosigkeiten, da ein Teil der Freikorps ihre Auseinandersetzungen nicht nach den Regeln des Kriegsrechts führten, sondern nach den Prinzipien eines Bürgerkriegs, dessen Spielregeln sich zunehmend verselbstständigten.

Vgl. Jünger, Aufmarsch, Zitat S. 55; Sauer, National Socialism, Zitat S. 412; Hürter, Heerführer, S. 86 – 96; Sprenger, Landsknechte, S. 104 – 126; Kortetz, Freikorps, S. 125 – 143, Zitat S. 135; Keller, Wehrmacht, S. 135 f.; Anm. 45, 47.

Rein sachlich kann eine Wehrausbildung eines Volkes nicht durch private Verbände durchgeführt werden, außer unter Beihilfe ungeheuerster staatlicher Mittel. Jeder andere Glaube fußt auf großer Überschätzung eigenen Könnens.169 Es ist nun einmal ausgeschlossen, daß man mit sogenannter »freiwilliger Disziplin« über einen bestimmten Umfang hinaus Organisationen aufbauen kann, die militärischen Wert besitzen. Es fehlt hier die wichtigste Stütze der Befehlsgewalt, nämlich die Strafgewalt. Wohl war es im Herbst oder besser noch im Frühjahr 1919 möglich, sogenannte »Freikorps« aufzustellen170, allein nicht nur, daß sie damals zum größten Teil durch die Schule des alten Heeres171 gegangene Frontkämpfer besaßen, sondern die Art der Verpflichtung, die sie den einzelnen auferlegten, unterwarf diese wenigstens auf befristete Zeit ebenso unbedingt dem militärischen Gehorsam.172

Dies fehlt einer freiwilligen »Wehrorganisation« von heute vollständig. Je größer ihr Verband wird, um so schwächer wird die Disziplin, um so geringer dürfen die Anforderungen sein, die man im einzelnen an die Leute stellt, und um so mehr wird das Ganze den Charakter der alten unpolitischen Krieger- und Veteranenvereine annehmen.173

Eine freiwillige Erziehung zum Heeresdienst ohne sichergestellte unbedingte Befehlsgewalt wird in großen Massen nie durchzuführen sein. Es werden immer nur wenige die Bereitwilligkeit besitzen, sich aus freien Stücken einem Zwang zum Gehorsam zu unterwerfen, wie er beim Heere als selbstverständlich und natürlich gilt#1944: gilt ersetzt durch: galt.

Weiter läßt sich eine wirkliche Ausbildung nicht durchführen infolge der lächerlich geringen Mittel, die für einen solchen Zweck einem sogenannten Wehrverbande zur Verfügung stehen.174 Die beste, zuverlässigste Ausbildung müßte aber gerade die Hauptaufgabe einer solchen Institution sein. Seit dem Kriege sind nun acht Jahre verflossen, und seit dieser Zeit ist kein Jahrgang unserer deutschen Jugend mehr planmäßig ausgebildet worden.175 Es kann aber doch nicht die Aufgabe eines Wehrverbandes sein, die bereits ausgebildeten Jahrgänge von einst zu erfassen, da man ihm sonst sofort mathematisch vorrechnen kann, wann das letzte Mitglied diese Korporation