Die herannahende Katastrophe <span class="pagenumber">[166]</span>

6 Im Zweiten Burenkrieg (1899 – 1902) erreichte der Konflikt zwischen Großbritannien und den südafrikanischen Burenrepubliken seinen Höhepunkt. Die Buren waren Nachkommen der Siedler, die sich im 17. Jahrhundert in der niederländischen Kolonie am Kap der Guten Hoffnung niedergelassen hatten. 1806 hatte Großbritannien die Kolonie besetzt. Als Großbritannien 1834 die Sklaverei verbot, sahen sich die Buren ihrer wirtschaftlichen Grundlage beraubt, wichen in das Hinterland der Kolonie aus und gründeten dort 1852 die Südafrikanische Republik und 1854 den Oranje-Freistaat. 1877 annektierte Großbritannien die Südafrikanische Republik, doch konnte diese im Ersten Burenkrieg (1880/81) ihre Unabhängigkeit zurückerlangen. Die Entdeckung von Diamant- und Goldvorkommen am Ende des 19. Jahrhunderts zog dann Tausende von Goldgräbern aus den benachbarten britischen Kolonien in die Burenstaaten. Um ihre Identität zu wahren, verwehrten die Buren den Zuwanderern die politische und rechtliche Gleichstellung – ein Vorwand für den Zweiten Burenkrieg, der am 12. 10. 1899 begann. Nach ersten Erfolgen der zahlenmäßig überlegenen Buren trafen Anfang 1900 erhebliche britische Verstärkungen ein, die das Blatt wendeten. Großbritannien konnte die Burenstaaten erobern und erklärte sie zu Kronkolonien. Nach einem lang anhaltenden Guerillakrieg der Buren gegen die britischen Truppen reagierten die Briten mit dem Konzept der »verbrannten Erde«, errichteten Konzentrationslager und internierten darin fast 130.000 Zivilisten, meist Frauen und Kinder, von denen Tausende an Hunger und Krankheiten starben. Der Zweite Burenkrieg endete am 31. 5. 1902.  Die internationale Presse nahm großen Anteil am Geschehen und sympathisierte meist mit den Buren, auf deren Seite mehr als 2.000 Freiwillige aus Deutschland, Frankreich, Holland, Irland, Italien, Österreich-Ungarn, Russland und den USA kämpften. Nach seinem Sieg gliederte Großbritannien die Burenrepubliken in das Britische Empire ein, gewährte den Buren aber alle Rechte britischer Staatsbürger. 1910 wurde die Kapkolonie einschließlich der ehemaligen Burenstaaten mit Natal zur Südafrikanischen Union vereinigt und erhielt den Status eines britischen Dominions.

Vgl. Rosenbach, Reich, S. 290 – 292; Smith, Origins, bes.S. 404 – 412; Lugan, Guerre, bes.S. 207 f., 253; Bender, Burenkrieg, S. 35 – 48.

7 Hitler war erst zehn Jahre alt, als der Burenkrieg ausbrach, sodass diese Aussage wenig glaubwürdig scheint. Wahrscheinlicher ist, dass Hitler vom Burenkrieg aus den damals populären volkstümlichen Kolonialschriften, die sich an junge Leser richteten, erfuhr. Eine mögliche Quelle könnte die 1902 erschienene Schrift Aus dem Freiheitskampfe der Buren von Richard Runck gewesen sein. Runck hatte sich im zweiten Burenkrieg als Freiwilliger gemeldet, war zum Kommandeur des deutschen Freiwilligen-Korps aufgestiegen und im Sommer 1900 in britische Kriegsgefangenschaft geraten. Er beteiligte sich auch am Kampf gegen den Herero-Aufstand und war von 1914 bis 1918 an der deutschen Westfront im Einsatz. Aufgrund seiner Verwundungen und der Entbehrungen während seiner beiden Gefangenschaften – im Juli 1918 geriet er auch in französische Kriegsgefangenschaft –, starb Runck bereits 1922 in seinem Heimatdorf Rhodt.

Vgl. Runck, Freiheitskampfe; Carl, Lexikon, S. 588; Kaminski, Kinderbücher. 

8 Im Russisch-Japanischen Krieg (1904/05) prallten die expansiven Bestrebungen Russlands und Japans um die Vorherrschaft in Korea und in der Mandschurei aufeinander. Der Krieg begann am 8. 2. 1904 mit dem Angriff japanischer Kriegsschiffe auf die russische Pazifikflotte. Noch im selben Monat landeten erste japanische Verbände auf der koreanischen Halbinsel und drangen von Norden in die Mandschurei vor. Im August begannen sie mit der Belagerung der Seefestung Port Arthur (heute Lüshunkou), die am 2. 1. 1905 kapitulieren musste. Im März 1905 zwangen die Japaner in der Schlacht bei Mukden (heute Shenyang) die russische Hauptarmee zum Rückzug. Am 27./28. 5. 1905 vernichtete die japanische Flotte in der Seeschlacht von Tsushima schließlich die aus der Ostsee entsandte russische Baltische Flotte. Nach diesen schweren Niederlagen musste Russland am 5. 9. 1905 Frieden schließen und sich aus der Mandschurei zurückziehen. Japan hingegen festigte mit dem unerwarteten Sieg seine Vormachtstellung in Ostasien und wurde nun international endgültig als Großmacht anerkannt.

Vgl. Mehnert, Deutschland, 56 f.; Oberländer, Krieg, bes.S. 155 – 157; Gassert, Völker, S. 288 ff.; Kowner, Clash, S. 15; Zimmermann, Vision.

9 Der Russisch-Japanische Krieg hat Hitlers Japanbild entscheidend geprägt. Später kam er immer wieder darauf zurück. Dem japanischen Prinzen Chichibu Yasuhito erzählte er bei dessen Besuch in Berlin im September 1937, er habe als Schüler im Gegensatz zu vielen Klassenkameraden mit Japan sympathisiert. Als die Meldung vom japanischen Sieg in der Seeschlacht bei Tsushima eintraf, sei er jubelnd aufgesprungen. Eine ähnliche Bemerkung machte er am 21. 9. 1941: »Wie seinerzeit im russisch-japanischen Krieg die Nachrichten vom Erliegen Rußlands eintrafen, haben die tschechischen Knaben in meiner Klasse geweint, während wir anderen gejubelt haben. Aus dieser Zeit rührt mein Empfinden für Japan.« Der Passus vom »österreichischen Slawentum« ist eine Anspielung auf den von Russland propagierten Panslawismus, den »allslawischen« Nationalismus, der vor dem Ersten Weltkrieg besonders unter Tschechen und Serben vermehrt Zuspruch fand. Noch Zar Nikolaus II. erklärte in seinem Kriegsmanifest vom 2. 8. 1914: Russland habe »dem Schicksal der slawischen Völker, mit denen es durch den Glauben und das Blut eins ist, niemals untätig gegenübergestanden«.

Vgl. Hitler, Monologe, Zitat S. 64; Heresch, Nikolaus II., Zitat S. 193; Chapman, Issues, S. 142; Hübner, Hitler, S. 23 f. Zum Panslawismus vgl. Kap. II/14, Anm. 107.

10 1912/13 kam es zu zwei Kriegen auf dem Balkan. Während des Ersten Balkankriegs, der im Oktober 1912 begann, eroberte der zwischen Bulgarien, Griechenland, Montenegro und Serbien geschlossene »Balkanbund« fast alle europäischen Territorien des Osmanischen Reichs. Der Londoner Vertrag vom 30. 5. 1913 regelte ihre Aufteilung. Darin wurde die im November 1912 erklärte Unabhängigkeit Albaniens völkerrechtlich anerkannt; der überwiegend albanisch besiedelte Kosovo wurde Serbien zugesprochen. Da die bulgarische Führung mit der Londoner Regelung unzufrieden war, eröffnete sie am 29. 6. 1913 einen überraschenden Angriff auf Serbien und Griechenland. Nach erfolgreichen Gegenoffensiven von serbischen und griechischen, bald aber auch rumänischen und osmanischen Verbänden musste Bulgarien bereits nach wenigen Wochen kapitulieren. Für Bulgarien wurde der Zweite Balkankrieg zur Katastrophe: Es zählte 156.000 tote und verwundete Soldaten und verlor in den Friedensverträgen von Bukarest (10. 8. 1913) und Konstantinopel (29. 9. 1913) mit Ausnahme eines schmalen Landstreifens im Nordosten Mazedoniens alle zuvor eroberten Territorien.

Vgl. Boeckh, Balkankriegen; Hall, Wars; Clark, Schlafwandler, S. 330 – 338; Leonhard, Büchse, S. 59 – 67; Kap. II/15, Anm. 54.

11 Das Bild eines »nervös« gewordenen Europa ist ein Rekurs auf die seit dem späten 19. Jahrhundert intensiv geführte Debatte über das Krankheitsbild der Nervenschwäche, der »Neurasthenie«. Als primäre Krankheitssymptome galten körperliche wie geistige Erschöpfung, Antriebslosigkeit, Angstzustände, Kopfschmerzen, sexuelle Störungen und ein überhöhter Konsum von »Nervengiften« wie Alkohol, Tabak, Kaffee und Tee. Indem das Krankheitsbild der »Neurasthenie« mit Zeitphänomenen wie der Beschleunigung von Verkehr, Handel und Nachrichtenübermittlung, der Reizüberflutung durch moderne Massenmedien und der zunehmenden Hektik des Stadtlebens in Verbindung gebracht wurde, erhielt es zunehmend eine kultur- und gesellschaftskritische Konnotation.

Vgl. Radkau, Zeitalter.

12 Hitlers Beschreibung der Stimmung vor dem Ersten Weltkrieg und zu Kriegsbeginn vereinigt mehrere gängige Topoi. Zum einen hatten die häufigen außenpolitischen Krisen vor dem Ersten Weltkrieg in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung eine latente Kriegsbereitschaft oder zumindest »Kriegsergebenheit« erzeugt. Die Spannungen, so hofften viele, würden sich in einem kurzen, »reinigenden Gewitter« entladen, das die Nation sowohl im Innern als auch nach außen hin festigen würde. Gleichwohl knüpften nur wenige an den Krieg so große Erwartungen wie etwa der ADV. Zum anderen hat diese Passage eine religiöse Konnotation. Katholische wie protestantische Theologen waren der Überzeugung, Deutschland führe einen »gerechten« und deshalb von Gott »gesegneten« Krieg. Mit zunehmender Kriegsdauer und steigenden Verlusten setzte sich allerdings immer mehr das Motiv des Leidens und der göttlichen Prüfung durch. Noch stärker als in Deutschland war die religiöse Aufladung allerdings in Frankreich. Dort wurde der Krieg gar als »Kreuzzug«, »Heiliger Krieg« und »Religionskrieg gegen das Böse« gedeutet.

Vgl. Chickering, Alldeutschen; Krumeich, Gott; Wirsching, Augusterlebnis, S. 193 – 196; Blaicher, Strafgericht, S. 318 f., 322. 

Niedertracht des Schicksals angesehen. Ich war eben schon als Junge kein »Pazifist« und alle erzieherischen Versuche in dieser Richtung wurden zu Nieten.

Wie ein Wetterleuchten kam mir da der Burenkrieg vor.6

Ich lauerte jeden Tag auf die Zeitungen und verschlang Depeschen und Berichte und war schon glücklich, Zeuge dieses Heldenkampfes wenigstens aus der Ferne sein zu dürfen.7

Der russisch-japanische# 1944: russisch-japanische ersetzt durch: Russisch-Japanische Krieg8 sah mich schon wesentlich reifer, allein auch aufmerksamer. Ich hatte dort schon# 1926: schon ersetzt durch: bereits aus mehr nationalen Gründen Partei ergriffen und mich damals beim Austrag unserer Meinungen# 1944: Meinungen ersetzt durch: Meinung sofort auf Seite der Japaner gestellt. Ich sah in einer# 1944: einer ersetzt durch: der Niederlage der Russen auch eine Niederlage des österreichischen Slawentums.9

Seitdem waren nun# 1926: gestrichen: nun viele Jahre verflossen, und was mir einst als Junge wie fauliges# 1933: fauliges ersetzt durch: faules Siechtum erschien, empfand ich nun als Ruhe vor dem Sturme. Schon während meiner Wiener Zeit lag über dem Balkan jene fahle Schwüle, die den Orkan anzuzeigen pflegt, und schon zuckte manchmal auch ein hellerer Lichtschein auf, um jedoch rasch in das unheimliche Dunkel sich wieder zurückzuverlieren. Dann aber kam der Balkankrieg10, und mit ihm fegte der erste Windstoß über das nervös gewordene Europa11 hinweg. Die nun kommende Zeit aber# 1930: gestrichen: aber lag wie ein schwerer Albdruck# 1937: Albdruck ersetzt durch: Alpdruck auf den Menschen, brütend wie fiebrige Tropenglut, so daß das Gefühl der herannahenden Katastrophe infolge der ewigen Sorge nun# 1926: gestrichen: nun endlich zur Sehnsucht wurde; der Himmel möge endlich dem Schicksal, das nicht mehr zu hemmen war, den vollen# 1930: vollen ersetzt durch: freien Lauf gewähren. Da fuhr denn auch schon der erste gewaltige Blitzstrahl auf diese# 1930: diese ersetzt durch: die Erde nieder: das Wetter brach los, und in den Donner des Himmels mengte sich das Dröhnen der Batterien des Weltkriegs# 1939: Weltkriegs ersetzt durch: Weltkrieges;
1944: Weltkriegs .12

Als die Nachricht von der Ermordung des Erzherzogs Franz Ferdinand13 in München eintraf (ich saß gerade zu Hause und hörte nur ungenau den Hergang der Tat), faßte mich zunächst# 1944: eingefügt: die Sorge, die Kugeln möchten vielleicht aus den Pistolen deutscher Studenten stammen, die aus Empörung über die dauernde Verslawungsarbeit14 des Thronfolgers das deutsche Volk von diesem inneren Feinde befreien