auftritt. Dann gibt es Streit und Hader, und in dem Maße, in dem der Mann der Frau nun fremder wird, kommt er dem Alkohol näher.55 Jeden Samstag ist er nun betrunken, und im Selbsterhaltungstrieb für sich und ihre Kinder rauft sich das Weib um die wenigen Groschen, die sie ihm, noch dazu meistens auf dem Wege von der Fabrik zur Spelunke, abjagen muß. Kommt er endlich Sonntag oder Montag nachts selber nach Hause, betrunken und brutal, immer aber befreit vom letzten Heller und Pfennig, dann spielen sich oft Szenen ab, daß Gott erbarm# 1939: erbarm ersetzt durch: erbarm’;
1944: erbarm
.

In Hunderten von Beispielen habe ich dieses alles miterlebt, anfangs angewidert oder wohl auch empört, um später die ganze Tragik dieses Leides zu begreifen, die tieferen Ursachen zu verstehen. Unglückliche Opfer schlechter Verhältnisse.

Fast trüber noch waren damals die Wohnungsverhältnisse.56 Das Wohnungselend des Wiener Hilfsarbeiters war ein entsetzliches. Mich schaudert noch heute, wenn ich an diese jammervollen Wohnhöhlen denke, an Herberge und Massenquartier, an diese düsteren Bil­der von Unrat, widerlichem Schmutz und Ärgerem.

Wie mußte und wie muß dies einst werden, wenn aus diesen Elendshöhlen der Strom losgelassener Sklaven über die andere, so gedankenlose Mitwelt und Mitmenschheit sich ergießt!57

Denn gedankenlos ist diese andere Welt.

Gedankenlos läßt sie die Dinge eben treiben, ohne in ihrer In­stinktlosigkeit auch nur zu ahnen, daß früher oder später das Schicksal zur Vergeltung schreiten muß, wenn nicht die Menschen zur Zeit noch das Schicksal versöhnen.

Wie bin ich heute dankbar jener Vorsehung, die mich in diese Schule gehen hieß# 1937: hieß ersetzt durch: ließ;
1939: hieß;
1944: ließ
.58 In ihr konnte ich nicht mehr sabotieren, was mir nicht gefiel. Sie hat mich schnell und gründlich erzogen.

Wollte ich nicht verzweifeln an den Menschen meiner Umgebung von damals, mußte ich unterscheiden lernen zwischen ihrem äuße­ren Wesen und Leben und den Gründen ihrer Entwicklung. Nur dann ließ sich dies alles ertragen, ohne verzagen zu müssen. Dann wuch­sen aus all dem Unglück und Jammer, aus Unrat und äußerer Verkommenheit nicht mehr Menschen heraus, sondern traurige Ergeb-