Niemals Staatsbeamter <span class="pagenumber">[6]</span>

32 Während Hitlers Untersuchungshaft berichteten verschiedene Zeitungen von Hitlers Versagen in der Schule; überhaupt sei er nicht nur ein schlechter, sondern ein schwieriger Schüler gewesen. Für Aufsehen sorgte ein Artikel der Münchener Post vom 27. 11. 1923, der behauptete: »Genaue Kenner der Psyche haben Adolf Hitler immer schon rein pathologisch genommen, und zwar nicht erst seit der Zeit nach dem Kriege. Seine Jugendstreiche hatten schon für jeden fühlenden Menschen etwas direkt Abstoßendes. Er liebte damals bereits drastische Demonstrationsmittel. Seine Anhänglichkeit zur ›Los-von-Rom‹-Bewegung glaubte er am wirkungsvollsten als Hostienschänder dokumentieren zu sollen. So mußte er im Jahre 1904 von der Realschule in Linz (Oberösterreich) ausgestoßen werden, weil er bei der Kommunion die Hostie ausspuckte und in die Tasche steckte. Ein Bubenstreich zwar, aber doch charakteristisch: tiefste Verachtung und Schändung dessen, was anderen hochheilig ist.«Der Vorwurf des Hostienfrevels war in zweierlei Hinsicht gravierend: Zum einen war so etwas in einem katholisch geprägten Land wie Bayern undenkbar, zum anderen handelte es sich beim Vorwurf des Hostienfrevels um ein altes antisemitisches Stereotyp. Den – in der Tat unzutreffenden – Vorwurf des Hostienfrevels wies Hitler denn auch in einer am 6. 12. 1923 veröffentlichten Zuschrift an die Münchener Post entschieden zurück. Auch Hitlers ehemaliger Französischlehrer, Eduard Huemer, bezeichnete den Vorwurf am 12. 12. 1923 in einem Brief an Hitlers Anwalt Lorenz Roder als »ganz unbegründet und haltlos«. Damit war die Legende des Hostienfrevels allerdings nicht aus der Welt – eine Anspielung auf sie findet sich etwa in Lion Feuchtwangers Roman Erfolg (1930), in dem Hitler in der Figur des Rupert Kutzner karikiert wird.

Vgl. Münchener Post vom 27. 11. 1923, »Der Ludendorff-Hitler-Putsch« (Herv. i. Orig.); Jäckel/ Kuhn (Hrsg.), Hitler, Dok. 602; Feuchtwanger, Erfolg, S. 630; Jetzinger, Jugend, Zitat S. 105 (Herv. i. Orig.); Hesemann, Religion, S. 53; Blum, Hostienfrevel. Zur »Los-von-Rom«-Bewegung

vgl. Kap. I/3, Anm. 214.

33 Auch diese Passage erinnert an Richard Wagners Autobiografie Mein Leben. Mit Blick auf die Dresdner Gymnasialjahre heißt es dort: »Dem Leben zugewandt, war ich im Verkehr mit meinen Altersgenossen lebhaft und zu abenteuerlichen Streichen aufgelegt.« Noch im Zweiten Weltkrieg erzählte Hitler gern von Streichen während seiner Schulzeit, etwa gegen seinen Religionslehrer Franz Sales Schwarz. So behauptete er am 8. 1. 1942, sich »Bleistifte […] in den großdeutschen Farben« beschafft zu haben, um den habsburgisch gesinnten Schwarz gezielt zu provozieren. Auch habe er als »ewige[r] Frager« seinen Religionslehrer immer wieder in Verlegenheit gebracht, sodass dieser »oft nicht mehr ein und aus« gewusst habe. »Den reinen Prüfungsgegenstand«, so Hitler, »habe ich beherrscht wie kein anderer. Man konnte mir deshalb nichts machen. In der Religion habe ich lobenswert und vorzüglich gehabt, dafür im sittlichen Betragen ungenügend.« All dies sind freilich Stilisierungen. In Wahrheit erhielt Hitler in seinem letzten Schulzeugnis vom 16. 9. 1905 im Fach Religionslehre nur ein »genügend«.

Vgl. Hitler, Monologe, Zitate S. 185, 187; Jetzinger, Jugend, S. 103; Wagner, Leben, Zitat S. 22.  

auch der Vater sein mochte in der Durchsetzung einmal ins Auge gefaßter Pläne# 1944: Pläne ersetzt durch: Dinge und Absichten, so verbohrt und widerspenstig war aber auch sein Junge in der Ablehnung eines ihm nicht oder nur wenig zusagenden Gedankens.

Ich wollte nicht Beamter werden.

Weder Zureden noch »ernste« Vorstellungen vermochten an diesem Widerstande etwas zu ändern. Ich wollte nicht Beamter werden, nein und nochmals nein. Alle Versuche, mir durch Schilderungen aus des Vaters eigenem Leben Liebe oder Lust zu diesem Berufe# 1937: Berufe ersetzt durch: Beruf;
1939: Berufe erwecken zu wollen, schlugen in das Gegenteil um. Mir wurde gähnend übel bei dem Gedanken, als unfreier Mann einst in einem Bureau# 1937: Bureau ersetzt durch: Büro;
1939: Bureau;
1944: Büro sitzen zu dürfen; nicht Herr sein zu können der eigenen Zeit, sondern in auszufüllende Formulare den Inhalt eines ganzen Lebens zwängen zu müssen.

Welche Gedanken konnte dies auch erwecken bei einem Jungen, der doch wirklich alles andere war, aber nur nicht »brav« im landläufigen Sinne! Das lächerlich leichte Lernen in der Schule gab mir so viel freie Zeit, daß mich mehr die Sonne als das Zimmer sah.31 Wenn mir heute durch meine politischen Gegner in liebevoller Aufmerksamkeit mein Leben durchgeprüft wird bis in die Zeit meiner damaligen Jugend, um endlich mit Erleichterung feststellen zu können, welch unerträgliche Streiche dieser »Hitler« schon in seiner Jugend verübt hatte32, so danke ich dem Himmel, daß er mir so auch jetzt noch etwas abgibt aus den Erinnerungen dieser glückseligen Zeit.33 Wiese und Wald waren damals der Fechtboden, auf dem die immer vorhandenen »Gegensätze« zur Austragung kamen.

Auch der nun erfolgende Besuch der Realschule konnte dem wenig Einhalt tun.34

Freilich mußte nun aber auch ein anderer Gegensatz ausgefochten werden.

Solange der Absicht des Vaters, mich Staatsbeamter werden zu lassen, nur meine prinzipielle Abneigung zum Beamtenberuf an sich gegenüber stand# 1937: gegenüber stand ersetzt durch: gegenüberstand , war der Konflikt leicht erträglich. Ich konnte solange# 1939: solange ersetzt durch: so lange;
1944: solange auch mit meinen inneren Anschauungen etwas zurückhalten, brauchte ja nicht immer gleich zu widersprechen. Es genügte