Die »Einheitsfront« <span class="pagenumber">[349]</span>

94 Hitlers polemisch verharmlosende Darstellung wird den in mehrfacher Hinsicht dramatischen Folgen der Entscheidung für den »Passiven Widerstand« nicht gerecht. Dass dieser sehr wohl konkrete Opfer forderte, belegt etwa der »blutige Karsamstag« (31. 3. 1923), an dem 13 Arbeiter der Essener Krupp-Werke nach der Besetzung einer Wagenhalle durch französische Truppen getötet und 41 weitere verletzt wurden. Zu den Opfern auf deutscher Seite zählen darüber hinaus insgesamt rund 100.000 zwangsausgewiesene Beamte, Angestellte und Arbeiter, die sich den Weisungen der Besatzungsmacht widersetzt hatten. Hinzu kam eine chronische Nahrungsmittelknappheit im Besatzungsgebiet.

Vgl. Schwabe, Einführung, S. 4; Müller, Widerstand, bes.S. 192 – 229; Fischer, Verwerfungen; Wisotzky, Karsamstag.

95 Der Begriff »Passiver Widerstand« lässt sich schon im frühen 19. Jahrhundert nachweisen. Im politischen Sprachgebrauch gängig wurde er infolge der Revolution von 1848/49: In einer Sitzung der Preußischen Nationalversammlung vom 9./10. 11. 1848 hatte deren damaliger Präsident, Hans Victor von Unruh, einen bewaffneten Schutz der Versammlung durch eine Bürgerwehr für den Fall einer direkten Konfrontation mit Truppen Friedrich Wilhelms IV. mit den Worten abgelehnt: »Ich wäre entschieden der Meinung, daß hier nur passiver Widerstand geleistet werden könne […]. Wir dürfen, wenn wir den Boden im Lande nicht verlieren wollen, den Gewaltschritten der Krone nur passiven Widerstand entgegensetzen.« Schon am 11. 11. 1848 griff Bismarck diese Formulierung in einem Brief an seinen Bruder sarkastisch auf: »Die gekränkte Eitelkeit der Berliner fängt an, einer nüchternen Beurteilung Platz zu machen, der passive Widerstand erweist sich mehr und mehr als Deckmantel der Schwäche.«

Vgl. Büchmann, Worte, S. 706 f., Zitate S. 706.

97 Nach dem Einmarsch deutscher Truppen in das neutrale Belgien im August 1914 stilisierte das deutsche Militär den Widerstand der belgischen Bevölkerung zu einer groß angelegten Partisanenbewegung. Vor allem unerfahrene Einheiten und Offiziere reagierten darauf zum Teil völlig unverhältnismäßig. Eine große Rolle spielte hierbei die Erinnerung an den Deutsch-Französischen Krieg 1870/71, als französische Freischärler (Franctireurs) bis zu 1.000 deutsche Soldaten getötet hatten. Bei den deutschen Gewaltmaßnahmen in Belgien kamen insgesamt knapp 6.400 Zivilisten ums Leben, außerdem wurden 15.000 – 20.000 Gebäude zerstört. Die deutsche Seite versuchte dieses Vorgehen als Niederschlagung einer völkerrechtswidrigen Freischärlerbewegung zu legitimieren. Das Bayerische Reserve-Infanterie-Regiment 16, dem Hitler angehörte, war an diesen Kriegsgräueln unbeteiligt, da es zu einem Zeitpunkt an der Westfront eintraf, als die deutsche Führung das überzogene Vorgehen der Truppen nicht mehr förderte, sondern bereits unterband.

Vgl. Horne/ Kramer, Kriegsgreuel; Kramer, Franktireur; Weber, Krieg, S. 54 – 61; Leonhard, Büchse, bes.S. 170 – 174; Kap. I/6, Anm. 43.

erhielt seine Einheitsfront, gebildet aus nationalen Schwätzern und antinationalen Gaunern, und die internationalen Betrüger konnten bei staatlicher Bezahlung ihrer erhabensten#1944: erhabensten ersetzt durch: erhabenen Kampfesmission dienen, d. h. die nationale Wirtschaft zerstören, und zwar diesesmal#1933: diesesmal ersetzt durch: dieses Mal sogar auf Staatskosten. Ein unsterblicher Gedanke, durch einen bezahlten Generalstreik93 eine Nation zu erretten, auf jeden Fall aber die Parole, in die selbst der gleichgültigste Taugenichts noch#1933: noch ersetzt durch: doch mit voller Begeisterung einstimmen kann.

Daß man ein Volk nicht durch Beten frei macht, weiß man im allgemeinen. Ob man es aber nicht doch vielleicht frei zu faulenzen vermag, das mußte erst noch geschichtlich erprobt werden. Hätte Herr v.#1929: gestrichen: v. Cuno damals, statt zum bezahlten Generalstreik aufzufordern und diesen damit als die Grundlage der »Einheitsfront« aufzustellen, von jedem Deutschen nur zwei Stunden mehr Arbeit verlangt, dann würde der Schwindel dieser »Einheitsfront« sich am dritten Tage von selbst erledigt haben. Völker befreit man aber#1929: gestrichen: aber nicht durch Nichtstun, sondern durch Opfer.94

Allerdings ließ sich dieser sogenannte passive Widerstand95 an sich nicht lange halten. Denn nur ein vollkommen kriegsfremder Mensch konnte sich einbilden, okkupierende Armeen mit so lächerlichen Mitteln verscheuchen zu können. Das allein hätte aber doch der Sinn einer Aktion sein können, deren Kosten in die Milliarden gingen und die wesentlich mithalf, die nationale Währung bis in den Grund hinein zu zerstören.96

Natürlich konnten sich die Franzosen mit einer gewissen inneren Beruhigung in dem Augenblicke#1933: Augenblicke ersetzt durch: Augenblick im Ruhrgebiet häuslich einrichten, in dem sie den Widerstand sich solcher Mittel bedienen sahen. Sie hatten ja gerade durch uns selbst die besten Rezepte in der Hand, wie man eine störrische Zivilbevölkerung zur Raison#1937: Raison ersetzt durch: Räson;
1939: Raison bringt, wenn in ihrem Benehmen eine ernstliche Gefährdung der Okkupationsbehörden liegt. Wie blitzschnell hatten wir doch neun Jahre vorher die belgischen Franktireurbanden97 zu Paaren getrieben98 und der